Wir trafen uns mit Jonas Kaufmann an der
St. Patricks Cathedral und gingen dann zusammen ins österreichische
Kulturinstitut, wo uns Herr Dr. Hohenstein netterweise sehr kurzfristig
einen Veranstaltungsraum in seinem Institut - einem faszinierenden Neubau
mit viel Glas und Stahl - zur Verfügung stellte.
JF: Wann hast Du Dich entschieden, Opernsänger zu werden, was für eine
Ausbildung hast Du genossen?
JK: Ich war auf einem normalen humanistischen Gymnasium und habe
eigentlich sehr spät entschieden Opernsänger zu werden. Es war eine sehr
gute Allgemeinbildung, jedoch nicht für den Gesang, denn so viele
altgriechische Opern gibt es ja nicht.Ich hatte Mathe, Physik und Musik
als Leistungskurse. Eigentlich kam ich zu der Musik wie die Jungfrau zum
Kinde, denn Musik habe ich nur als Leistungskurs gewählt, weil man mich
bekniet hat, denn es fehlte just noch eine Person, um überhaupt einen Kurs
zustande zu bekommen.
JF: Wie ging es dann mit dem Studium weiter?
JK: Ich habe angefangen Mathe zu studieren, doch sehr bald gesehen, dass
es mir zu theoretisch ist. Dann habe ich mich in Salzburg am Mozarteum und
in München zum Musikstudium beworben. Ich habe dann in Salzburg
angefangen, bin dann aber nach 4 Wochen nach München gewechselt.
JF: Wie sah denn das Studium bei Dir aus?
JK: Man hat 1000 Nebenfächer – Ballett, Fechten, Gehörbildung und, und,
und - aber nur 2 x 45 Minuten Gesang in der Woche. Das ist meiner Ansicht
nach viel zu wenig. Es ist auch verboten sich außerhalb der Hochschule
Unterricht zu nehmen.
JF: Wie lernt man Gesang?
JK: Lernen ist schwierig und kann auf verschiedene Weisen geschehen. Man
kann mit Bildern arbeiten, nicht mechanisch mit Anleitungen für das rechte
oder linke Stimmband. So stellt man sich z.B. vor, man hätte eine Birne im
Mund, so formt man den Mund, das Zwergfell, den Kehlkopf etc.. Eigentlich
hat man ja nur drei kleine Stimmbänder und nun geht es darum aus denen
möglichst viel rauszuholen. Da gibt es verschiedene Mechanismen, man muss
z.B. darauf achten, dass die Kehle sich entspannt, der Mund richtig
geformt ist, die Zunge nicht im Weg ist, das Zwergfell nach unten zeigt,
der Rücken gerade ist – so ist die Luftsäule gerade, es entsteht
Entspannung, dies gibt Resonanz, und umso mehr Klang gibt es. Das hängt
alles miteinander zusammen.
JF: Wie ist das mit den Lehrern?
JK: Jeder hat sein eigenes Vokabular. Bei einigen versteht man was sie
meinen, bei anderen nicht. So kann es immer sein, dass einem ein Lehrer
liegt, der andere nicht. Aber es ist natürlich immer individuell, der eine
findet den einen Lehrer gut, der andere den anderen.
JF: Wie formt und entwickelt man seine Stimme?
JK: Es ist ganz wichtig, dass man seine „eigene Stimme“ findet - und das
ist manchmal gar nicht so einfach.Man kann nur dann viel und lange singen
wenn man wirklich seine eigene Stimme gefunden hat und nicht etwas
nachsingt bzw. seine Stimme verstellt. Nur dann hat die Stimme auch die
Möglichkeit sich zu entwickeln. Man muss aufhören, sich zu manipulieren,
etwas singen zu wollen, was eigentlich gar nicht seine eigene Stimme ist,
bzw. nicht zu der eigenen Stimme passt. Erst dann wenn man sich nicht mehr
manipuliert, dann hat man seine Stimme gefunden.Und wen man dann seine
Stimme gefunden hat, geht es darum, sie zu verfeinern.
JF: Muss man dazu ein reifer Erwachsener sein?
JK: Das hat viel mit Vertrauen in sich selbst zu tun und Entspannung. Nur
so kann der eigene Klang wirklich voll ausgenutzt werden. JF: Wie hast Du
Deine Stimme gefunden? JK: Ich habe einen Lehrer gefunden – erst nach
Abschluss des Studiums – der mir geholfen hat, meine Stimme zu finden. Ein
Amerikaner, der in Trier war – heute ist er 82 Jahre alt.
JF: Wo war Dein erstes Engagement? Was hast Du da gesungen?
JK: In Saarbrücken, unter „KuJoSchi“, Kurt Josef Schildknecht hatte ich
mein erstes Engagement.Alle sagten dort immer, ich sei so jung, ich solle
leichtere und zartere Partien singen, weil das zu mir passen würde. Ich
habe das auch eine Weile gemacht, aber mir hat das keine Freude gemacht –
den anderen wahrscheinlich auch nicht. Ich habe mir sogar überlegt
aufzuhören. Dann kam ich zu meinem amerikanischen Lehrer, der sagte „sing
doch endlich einmal mit Deiner Stimme“. Das habe ich dann auch gemacht,
ich habe tiefere, vollere Partien gesungen. Meine Freunde haben mit mir
viel darüber diskutiert, ob es das Richtige sei. Aber wenn ich stundenlang
so singen kann, ohne heiser zu werden und die Stimme ist morgens prima,
dann kann es ja nicht so schlecht sein.
JF: Wie und wann kam der Schritt von Saarbrücken weg?
JK: Bei einem Verlängerungsvertrag in Saarbrücken habe ich gesagt, welche
Partien ich gerne singen würde, außerdem wollte ich eine Gehaltserhöhung.
Eine kleine Gehaltserhöhung habe ich bekommen, aber die Stücke, die ich
gerne singen wollte, bekam ich nicht.Ich habe dann spontan in Saarbrücken
gekündigt, ohne etwas Neues zu haben. Dann habe ich meinen heutigen
Manager angerufen, mit dem ich dann viele Projekte gemacht habe. An vielen
Theatern ist das schwierig, hier geht es bei der Auswahl des Spielplans in
erster Linie darum, was das Publikum gerne hört, dann ob man einen
Regisseur für das Stück findet und erst in dritter Linie darum, was die
Sänger gerne singen möchten und gut für ihre Stimme ist.Es gibt einige
wenige Theater, da ist es anders. Z.B. ist das in Frankfurt/Main im Moment
für die Sänger ziemlich gut. Es wird geschaut, was die am besten singen
können und Frankfurt hat hiermit auch sehr großen Erfolg und eine
hervorragende Qualität. Wichtig ist wirklich, ob das Ensemble zufrieden
ist, dann ist die Qualität auch gut. Auch ist es für das Ensemble immer
besser, wenn sie selber singen können und nicht so viele Gäste engagiert
werden.
JF: Wie übst Du heute Deine Partien?
JK: Heute habe ich keinen Lehrer mehr, meine Frau hört bei einigen Proben
zu, sie korrigiert mich gut und scharf. Es ist wichtig dass die Kontrolle
durch jemanden erfolgt, zu dem man Vertrauen hat.
JF: Wann war das letzte Vorsingen?
JK: Das war 2001, da war ich in Chicago, vorher habe ich mit Jimmy Levine
gearbeitet, der hat mich in Chicago angerufen und daraus ist der jetzige
Vertrag für die Traviata an der Met geworden.
JF: Wann kam der große Durchbruch?
JK: Keine Ahnung.
JF: In Salzburg? Wie bist Du denn nach Salzburg gekommen?
JK: Nach Salzburg hat mich Mortier geholt. Das hat sich über verschiedene
Schritte ergeben. Ich habe mal in Klagenfurth eine Partie im Titus
gesungen. Caroline Gruber hat Regie geführt.
JF: War das erfolgreich?
JK: Na, wir haben auf jeden Fall viel Spaß gehabt. Da hat Eva Maria Wiese
angerufen, ob ich nicht rüber kommen könnte nach Salzburg, und ich so habe
bei Mortier vorgesungen. 5 oder 6 Arien mit allem Drum und Dran. Dann hat
er gesagt, dass er sich einen Faust/Busoni gut vorstellen könnte und er
auf mich zurückkommen wollte.Das nächste Mal dass ich Mortier gesehen habe
war nach einer Vorstellung der Entführung aus dem Serail von Mozart in
Brüssel, bei der er mich nach der Vorstellung in der Garderobe
angesprochen hatte „Guten Tag, mein Name ist Gerard Mortier, sie werden
mich nicht kennen, aber ich fand sie wundervoll.“ Da sagte ich ihm, dass
ich gerade bei ihm vorgesungen habe und er mit mir über Faust/Busoni
gesprochen habe. Da fiel es ihm wieder ein und es war ihm, glaube ich
furchtbar peinlich, vor allem, weil er ja ein so hervorragendes
Menschengedächtnis hat.
JF: Was für Partien singst Du heute?
JK: In 2003 war ich der Entführung schon entwachsen. Es gibt bei den
Tenören eigentlich eine Zweiteilung – das Spektrum geht vom fein,
beweglichen Tenor, ohne Koloraturen bis zum stimmintensiven Tenor, der
sehr schwere und sehr lange Partien singt. Ich bin eher am im zweit
genannten Spektrum. Ich habe früher auch viel Rossini gemacht, den Barbier
kann ich schon machen, er ist aber nicht wirklich Meines. Anderen Sängern
fällt dies viel leichter, warum soll ich das also machen. Den Alfredo aus
Traviata singe ich gerne, Don Carlos ist z.B. auch eine ideale Sache für
mich. Da warte ich noch drauf, das angeboten zu bekommen.Ostern 2006 singe
in z.B. in Zürich den Parsival und im Herbst singe ich (11/06) in Convent
Garden in London in Carmen.
JF: Wie oft übst Du, trainierst Du Deine Stimme?
JK: Ich brauche jeden Tag Gesang. Ich halte es wie mit dem Sport. Manchmal
singe ich nur 15 Minuten aber manchmal auch X Stunden.Jeder Sänger muss
das für sich wissen, wie er das am Besten handhabt. Manche brauchen vor
einer großen Aufführung Ruhe, aber ich mache es nicht so. Ich trainiere
lieber vorher, fange z.B. mit wenigen Tönen an, werde dann größer, über
zwei Oktaven, dann drei.
JF: Wie ist das mit den Proben an der MET?
JK: Jede Oper wird 3 Wochen geprobt, ca. 6 Stunden am Tag. Das begleitet
der Regieassistent. Für modernere, neuere Opern braucht man die Zeit, aber
bei klassischen Opern ist das schon ziemlich viel Probenzeit.
JF: Die Inszenierung gestern von Zefirelli von der Traviata ist ja eine
ziemlich neue Produktion.
JK: Ja, die ist von 1998. Aber von seiner letzten Inszenierung zu dieser
hat er nicht sehr viel geändert. Es war schon eine großes Wagnis, dass er
im 2. Akt die Farbe der Blumen von rot auf blau geändert hat.
JF: Das Publikum an der MET ist ungewöhnlich und klatscht viel - stört
das mit dem ständigen Klatschen?
JK: Das Publikum hier klatscht wirklich sehr viel, das stört aber gar
nicht. Sobald ein kleines Loch ist, wird geklatscht, aber da gewöhnt man
sich dran.
JF: Wie lernst Du neue Partien?
JK: Meist mit Klavier und Korepititor. Nicht so gerne von einer CD, sonst
lernt man die Fehler mit die ggf. auf der CD sind.
JF: Wie ist das an der MET in New York zu singen?
JK: Das ist so ziemlich der letzte Schritt auf der Karriereleiter eines
Sängers und es ist wundervoll.
JF: Wie ist das mit der Öffentlichkeit hier, mit Sponsoren, muss man
sich als Star viel um die kümmern? Ist das anstrengend?
JK: Es ist richtig, dass hier in den USA sehr viel Öffentlichkeitskontakt
mit den Sängern stattfindet. Das ist aber ganz und gar nicht anstrengend.
Das gehört dazu. Man muss bedenken, dass hier die Oper sich fast rein
durch private Förderung finanziert und das ist toll.
JF: Wie wird Deiner Meinung die Arbeit an der MET in Zukunft – auch
unter neuer Leitung aussehen?
JK: Ja das ist richtig, die MET bekommt einen neuen Intendanten. Es gab
hierzu kürzlich eine Pressekonferenz, Peter Gelb wird das Haus hier
übernehmen. Er will moderne Sachen spielen, auch will er Projekte mit
Jugendlichen stärken. Das muss natürlich alles finanziert werden, und im
Moment ist das Publikum hier sehr alt. Aber es ist ein tolles,
vielversprechendes Projekt.
JF: Was hältst Du von moderner Musik? Singst Du gerne Modernes?
JK: Einiges finde ich sehr schön. Für meine eigene Arbeit ist es jedoch
aufwendiger ein modernes Stück einzustudieren, komplizierte Partien zu
erlernen als Klassisches. Auch kann es sein, dass man dann nur für eine
Inszenierung alles lernt und der Aufwand nur einmal zum Tragen kommt, weil
moderne Opern in so wenigen Häusern auf dem Spielplan stehen. Ich muss
zugeben, das ist auch ein bisschen eigene Bequemlichkeit, auf der anderen
Seite hat man immer zu wenig Zeit
JF: An welchen Häusern bist Du heute?
JK: Ich bin z.B. in Zürich festes Ensemble Mitglied und das macht mir viel
Spaß.
JF: Wenn man vor Publikum singt, hilft es da, wenn man einige Leute im
Publikum kennt?
JK: Das ist natürlich schön, aber es ist nicht so entscheidend.
JF: Nun haben wir schon ganz lange Deine Zeit in Anspruch genommen,
ganz herzlichen Dank für das spannende Interview!
Tosender Applaus für den Star Tenor.
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