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BR Klassik, 11.07.2019 |
von Michael Atzinger |
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Sendung: "Allegro" am 10. Juli 2019
DAS GEBURTSTAGSPORTRÄT ZUM ANHÖREN |
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DIE GEHEIMNISSE DES JONAS K.
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STARTENOR JONAS KAUFMANN ZUM 50. GEBURTSTAG |
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1989, mit 20 Jahren, beginnt der Münchner Jonas
Kaufmann ein Musikstudium in seiner Heimatstadt – als Tenor. 1999 debütiert
er bei den Salzburger Festspielen in Ferruccio Busonis "Doktor Faust".
Kaufmann wird Ensemblemitglied in Zürich und feiert 2006 an der New Yorker
Met mit dem Alfredo in Verdis "Traviata" ein sensationelles Debüt. Nikolaus
Bachler holt Kaufmann 2009 an die Bayerische Staatsoper, verpflichtet ihn
als Lohengrin und bindet ihn fest ans Haus. Es ist der Beginn einer
Weltkarriere. Am 10. Juli feierte Jonas Kaufmann seinen 50. Geburtstag.
Der Mann hat Mut: Mitten in Neapel, in einem der berühmtesten
Opernhäuser Italiens, dem Teatro San Carlo, präsentiert Jonas Kaufmann seine
neue CD mit neapolitanischen Schlagern– in der "Höhle des Löwen", wie er
sagt. Als Deutscher! Doch die Einheimischen sind hingerissen und feiern ihn:
"Er wirkt nicht wie ein Deutscher, er ist so warmherzig, er wirkt eher wie
ein Neapolitaner." So eine Besucherin des Teatro. Das ist vermutlich Jonas
Kaufmanns Geheimnis: Er ist und macht nicht immer das, was andere für
naheliegend halten: "Mir ist es so ergangen, dass man von einem deutschen
Tenor erwartet hat, zu klingen wie ein junger deutscher Tenor: sehr hell und
leicht und kopfig", erzählt er. "Und ich habe nun mal keine solche Stimme."
DAMPFTOPF OTELLO Am Opernhaus Zürich hat er zu Beginn seiner Karriere
alles ausprobieren können. Um zu schauen, was seiner Stimme gut tut. Diesem
lyrischen Tenor mit Lust auf mehr. Dunkel getönt, baritonal abgefedert – und
mit dieser organisch eingebunden, scheinbar mühelos sich öffnenden
glänzenden Höhe. Jonas Kaufmann lernt schnell. Und er hat genaue
Vorstellungen davon, was er wann singen möchte. Erst mit Ende 40 wagt er
sich an seinen ersten Otello – diese auch für Verdi einzigartige Partie: "Es
ist dieser unglaubliche Druck, den dieser Dampftopf permanent hat, der mal
in großen Explosionen und mal im Piano entweicht. Ab er es ist eben kein
zartes, weiches, liebevolles Piano, sondern immer eines durch die Zähne",
erklärt Kaufmann diese Partie. "Immer verbissen, immer ironisch, immer
höhnisch."
DIE ROLLEN DURCHDRINGEN Und dies ist ein anderes
Geheimnis von Jonas Kaufmann: seine analytischen Fähigkeiten, die
intellektuelle Durchdringung seiner Rollen. Ohne verblasenes Geschwurbel,
immer nachvollziehbar. Er stellt Menschen auf die Bühne. Einen vom Krieg
traumatisierten Otello. Einen vom Vater psychisch vernichteten Don Carlo.
Einen Lohengrin ohne Superhelden-Status: "Das ist ein fast gebrochener Held,
der sich eingestehen muss, dass er hier versagt und sich leider emotional zu
weit aus dem Fenster gelehnt hat, daher die Konsequenzen ziehen und gehen
muss." Und so nimmt Kaufmann die erste Strophe in der Gralserzählung im
Pianissimo.
DARSTELLUNG DIFFIZILER CHARAKTERE In Bizets "Carmen"
wehrt er sich gegen ein triumphal herausgeschleudertes hohes B am Schluss
der Blumenarie des Don José: "Letztlich tut er das, was ein Mann gar nicht
gerne tut: Er redet über seine Gefühle. Er kehrt sein Innerstes nach außen
und macht sich verletzlich. In dieser Arie erklärt er alles: durch welche
Phasen er gegangen ist, wie er gelitten hat und was er alles versucht hat,
um davon loszukommen. Und die Quintessenz ist: Ich liebe dich! Endlich, nach
fünf Minuten Arie, sagt er das. Wie kann man das plötzlich laut machen?"
Kaufmann hinterfragt seine Rollen, will wissen, warum seine Figuren handeln,
wie sie handeln. Zum Beispiel der Don José: "Man muss versuchen, von
Anbeginn der Oper nicht nur den Schwiegermutter-Traum zu spielen, sondern
auch diese Unberechenbarkeit aufblitzen zu lassen. Wenn man ihn als braven
Schönling darstellt, der keiner Fliege was zuleide tut, kommt man der Sache
nicht nahe genug. Der Mann hat ein Problem, auch mit überschäumenden
Emotionen. Und das zeigt sich auch am Schluss."
BEÄNGSTIGEND INTENSIV
Damit kämen wir zu einem weiteren Geheimnis dieses Jonas Kaufmann: Er ist
ein fulminanter Darsteller. Beängstigend intensiv, ohne überflüssige Geste,
immer psychologisch "richtig". Und wer ihn in Bizets "Carmen" erlebt,
fürchtet um Leib und Leben der Hauptdarstellerin schon lange, bevor sie
ihren letzten Ton gesungen hat.
SEIN EIGENER HERR Mit Franco
Corelli und Mario del Monaco hat man Kaufmann immer wieder verglichen. Als
er gefragt wird, wie er seinen Otello anlegen möchte – eher wie die "alten
Helden" (die er alle in- und auswendig kennt) oder wie Domingo, kommt eine
typische Antwort: "Ich bin dann immer versucht zu sagen: Ich mach’s wie
Kaufmann. Ich bin ein großer Fan von alten Aufnahmen. Ramon Vinay, Mario del
Monaco, Jon Vickers sind natürlich große Vorbilder. Trotzdem muss es jeder
so machen, wie er es empfindet und wie er es kann."
RESPEKT VOR GUTEN
DIRIGENTEN Jonas Kaufmann steht jetzt seit fast 15 Jahren im
internationalen Rampenlicht. Aber er schmückt sich nie mit sich selber. Er
ist ein Teamplayer, ist neugierig, lässt sich auf Regieexperimente ein – und
schätzt Wagner-Dirigenten wie Kirill Petrenko, die die Sänger nicht im
Orchesterschwall ertrinken lassen: "Kirill Petrenko ist immer ein Garant
dafür, dass Sänger zu ihrem Recht kommen, das heißt, dass sie nicht
überfahren und nicht zugedeckt werden. Das ist wichtig, denn nur ein
Dirigent, der Rücksicht auf ein paar Stimmbänder nimmt, die gegen ein
100-Mann-Orchester ankämpfen müssen, ist für mich auch ein guter
Operndirigent."
OHNE GRENZEN Und vor allem – ein letztes Geheimnis
– lässt Jonas Kaufmann sich nicht eingrenzen: Er singt in Opernhäusern und
Open Air, er liebt Wagner und Puccini, singt beide Partien in Mahlers "Lied
von der Erde" – und wenn man meint, er habe sein Repertoire jetzt weitgehend
abgeschritten, bringt er eine Operetten-CD heraus. Oder eben neapolitanische
Ohrwürmer.
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