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BR Klassik, 21.11.2018 |
von Annika Täuschel |
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MOUNT EVEREST UNTER DEN TENOR-PARTIEN
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auch als Podcast |
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Es braucht nicht vielmehr als ein Taschentuch,
um den Feldherrn Otello vor Eifersucht rasend zu machen. Und es braucht
einen fiesen, bösartigen Intriganten wie Jago, der dem Feind das Gift
portionsweise verabreicht. Verdis Musikdrama "Otello" ist schwierig zu
besetzen, vor allem was die Titelpartie angeht – eine echte
Heldentenor-Rolle. Otello ist die erste Neuproduktion der laufenden Saison
an der Bayerischen Staatsoper, mit Kirill Petrenko am Pult des
Staatsorchesters, mit Anja Harteros als Desdemona und Jonas Kaufmann als
Otello. Regie führt Amélie Niermeyer. Premiere ist am 23. November.
Als Jonas Kaufmann 2017 sein Otello-Debüt in London gegeben hat, hat er die
Heldentenor-Partie mit der Besteigung des Mount Everest verglichen. Gut ein
Jahr später in der Neuproduktion von Verdis "Otello" an der Bayerischen
Staatsoper bewegt sich Kaufmann immer noch im Himalaya.
Er ist
vielleicht mittlerweile ohne Sauerstoffgerät zu bewältigen, aber er bleibt
für mich trotzdem ein Everest. Jonas Kaufmann über Otello
Otello ist eine der schwierigsten Tenor-Partien der italienischen Oper.
Anfangs ist er Held und gefeierter Triumphator, am Ende zerfressen von
Eifersucht, gebrochener Ehemann und Mörder seiner Frau. Er muss jubeln
können, gleich beim ersten Auftritt, und verliert seine Stimme ob der
eigenen Obsessionen.
GROSSE EMOTIONALE BANDBREITE Schwierig ist
für Jonas Kaufmann die emotionale Bandbreite der Partie: "Wenn man es
generalisieren will, ist es die Emotion hinter der Musik und dem Charakter,
ob nun laut oder leise, das ist eigentlich egal", sagt Kaufmann. Der
Dampftopf stehe permanent unter Druck. Das möge die Stimme nicht. Auch wenn
es nur psychologischer Druck sei – körperlich umsetzen müsse man ihn
trotzdem. Kaufmann habe dabei das Gefühl, dass er diese Töne, auch wenn sie
in der Partitur normal aussähen, nicht normal singen könne.
SPÄTWERK
VERDIS Das Musikdrama um den Mohren Otello, eine Geschichte vom Aufstieg
und Fall eines Außenseiters, eine Geschichte über Zweifel und Vertrauen,
über Heimtücke und Intrige, ist Giuseppe Verdis vorletzte Oper. 1887 wurde
sie an der Mailänder Scala uraufgeführt. Acht Jahre lang hat der über
70-jährige Verdi mit seinem Librettisten Arrigo Boito intensiv daran
gearbeitet, beide haben Shakespeares Vorlage genial für die Opernbühne
adaptiert.
GRAUSAME DREIECKSGESCHICHTE Bei der Münchner
Neuproduktion mit Generalmusikdirektor Kirill Petrenko am Pult des
Bayerischen Staatsorchesters ist die Regisseurin Amélie Niermeyer die
Interpretin der grausamen Dreiecksgeschichte um den fiesen Intriganten Jago,
um Otello und seine unschuldige Frau Desdemona. Für Niermeyer steht schon
der Beginn der Oper unter keinem guten Stern. Der Otello auf der Bühne des
Nationaltheaters sei kein Superheld. Aus dem Krieg kehre er völlig erschöpft
heim.
Daher zeigen wir eher einen Mann, der auch Unsicherheiten,
auch etwas Rohes und Unruhiges hat. Amélie Niermeyer über den Otello
Wichtig ist für die Regisseurin vor allem die Figur der Desdemona, in
München von Anja Harteros gesungen. Die Figur sei ihr sonst oft ein wenig zu
passiv, erklärt Niermeyer, "das war für mich ein wichtiger Punkt in der
Vorbereitung, als ich gespürt habe, dass man vieles aus der Not der
Desdemona und dem Kampf um ihre Liebe erzählen könnte."
DESDEMONA IST
KEINE SCHWACHE FRAU Desdemona ist in Niermeyers Otello-Inszenierung
natürlich das Haupt-Opfer von Jagos Intrige, aber dennoch ist sie keine
schwache Frau. Sie trägt ihren Anteil: "Manchmal hat man fast das Gefühl,
dass sie bohrt, weil sie auch will, dass Otello akzeptiert, dass sie eine
eigene Meinung hat und sich politisch einmischen kann." Desdemona spüre, so
Niermeyer, dass Otello darauf aggressiv reagiere und sie mache es dennoch.
Diese Dimension sei für sie sehr spannend, weil Desdemona damit auch die
Tragödie befördere, so die Regisseurin.
MENSCHLICHES PHÄNOMEN Die
Tragödie: ein Mord und ein Selbstmord, eigentlich wegen nichts und wieder
nichts. Möglich wird sie, weil Otello, der Außenseiter, der
Nicht-Integrierte so unsicher und verführbar ist, dass dagegen sogar die
bedingungslose Liebe seiner Frau verliert. Ein allzu menschliches Phänomen,
zeitlos, heutig. Und trotzdem nicht entschuldbar, findet Regisseurin Amélie
Niermeyer. Ein Mord an einer Frau aus Eifersucht sei zwar durch nichts zu
erklären oder zu verteidigen. Dennoch sei es interessant, dass man über
diese spannende Psychologie des Otello spüre, wie solche Dinge im Leben
passieren können. |
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