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Prolog, Mai 2017 |
Peter Dusek |
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JONAS KAUFMANN ALS CAVARADOSSI
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Ein Exempel grenzenloser Begeisterung |
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Wiener
Staatsoper, 16. April 2016: man gibt Tosca in einer Superbesetzung mit
Angela Gheorghiu, Jonas Kaufmann und Bryn Terfel, am Pult steht Jesús López
Cobos. Zwei Akte lang lodern die Leidenschaften – und der Geist von Giacomo
Puccini scheint präsent. Doch im 3. Akt wird es spektakulär: Jonas Kaufmann
beginnt die berühmte Sternenarie in zartestem – leicht melancholisch
verschleiertem – Piano, steigert sich mit seiner dunklen Heldentenor-Stimme,
die in der strahlenden Höhe an Franco Corelli erinnert, zur Höchstform und
verwandelt das Publikum in einen „Hexenkessel“ der Begeisterung. Jubel,
Bravi, „Bis“-Rufe und Extase-Pfiffe. Die Arie E lucevan le stelle dauert
gute drei Minuten, der Applaus – mit ständig sich steigenden Phonzahlen –
dauert nun schon doppelt so lang. Da gibt Jonas Kaufmann nach: er wiederholt
die Arie Und es blitzten die Sterne. Nun ist das Publikum so hypnotisiert,
dass es nicht nochmals in einen unwiederholbaren Begeisterungstaumel
verfallen will. Und prompt kommt es nun zum Eklat: Floria Tosca – alias
Angela Gheorghiu – erwartet sich nach der Wiederholung neuerlich einen
Jubelorkan und verpasst ihren Auftritt. Erst mit zweiminütiger Verspätung
beginnt das Finale ordnungsgemäß. Man kann dieses Exempel grenzenloser
Begeisterung – wie heute üblich – auf YouTube nacherleben. Oder man kann
gespannt sein, wie die aktuelle Tosca-Serie mit Angela Gheorghiu und Jonas
Kaufmann in der Wiener Staatsoper diesmal ausfallen wird. Jedenfalls können
sich die Fans des 1969 in München geborenen Tenors auf diese Tosca-Serie
freuen. Jonas Kaufmann hat ein turbulentes Jahr – inklusive Sing-Pause –
hinter sich. Aber seit seiner Rückkehr auf die Bühne beim Wiener Opernball
2017 mit der Arie des Don José und dem Lehár-Schlager Dein ist mein ganzes
Herz steht fest: der attraktive Sänger setzt seine schier unglaubliche
Karriere ungemindert fort – er feierte als Lohengrin in Paris und mit der
anspruchsvollen Rolle des Andrea Chénier in München rauschende Erfolge. Und
im nächsten Monat plant er sein Otello-Debüt in Covent Garden/London.
Wie wird man jedoch ein so begehrter Sänger? Die Anfänge des Startenors
waren jedenfalls alles andere als außergewöhnlich. In einer Opernwerkstatt
verglich er seine Anfänge mit den vielzitierten Galeeren-Jahren von Giuseppe
Verdi. Aufgewachsen ist er zwar mit seiner älteren Schwester in einer
gutbürgerlichen Familie in München. Fürs Klavierspielen sind seine Finger
aber noch zu klein – so entdeckt er als Ersatzhandlung das Chorsingen.
Dennoch beginnt er nach dem Abitur ein Mathematik-Studium und singt so
nebenbei im Zusatzchor des Gärtnerplatz-Theaters. Erst mit 20 Jahren
entscheidet er sich endgültig für die Oper und beginnt ein Studium der Musik
an der Hochschule für Musik und Theater in München. In der Saison 1993/1994
debütiert er in Regensburg als Caramello in der Nacht in Venedig. Im Mai
1994 singt er seinen ersten Tamino in einer konzertanten Zauberflöte im
Münchner Prinzregenten-Theater. Dann geht er zwei Jahre nach Saarbrücken.
Lortzing, Mozart und Johann Strauß sind seine Komponisten, keine Rede von
den großen Werken von Verdi, Puccini und Wagner. In den Folgejahren agiert
er als Freelancer und sammelt wertvolle Erfahrungen. Seine wichtigsten
Partien sind weiterhin der Belmonte, der Ferrando und schon – als Vorbote
des späteren Heldentenors – der Florestan. Wichtig wird 2003 eine Traviata
in Chicago. Denn mit dieser Oper beginn am 4. Februar 2006 an der MET die
Geschichte des „Startenors Jonas Kaufmann“. Attraktion des Abends war auch
damals Angela Gheorghiu, die zu den absoluten MET-Lieblingen gehörte. Jonas
Kaufmann, der drei Jahre zuvor James Levine vorgesungen hatte, hoffte auch
auf ein positiv gestimmtes Publikum. In der Biographie von Thomas Voigt
„Jonas Kaufmann“ (Henschel 2010) wird dieser Abend im Untertitel
zusammengefasst: „Meinen die wirklich mich?“ Und im Detail beschreibt Thomas
Voigt: „Violetta stirbt in den Armen ihres Geliebten, der Vorhang fällt. Was
danach passierte gehört zu den schönsten Momenten im Leben von Jonas
Kaufmann. "Zuerst hat sich das ganze Team verbeugt, danach kamen die
Solovorhänge. Angela Gheorghiu wurde mit Bravos überschüttet. Ich komme raus
– und die Leute springen von den Sitzen auf und schreien. Das habe ich
einfach nicht fassen können, das hat mich buchstäblich umgehauen!"
Tatsache ist – das ist die Geburtsstunde des attackierenden Spinto-Tenors
Jonas Kaufmann. Erst jetzt traut er sich Partien wie Parsifal, Lohengrin
oder Stolzing zu, in Zürich übernimmt er Don Carlo, an der Wiener Staatsoper
beginnt er 2006 noch mit dem Tamino. Sein Ruhm setzt aber mit dem Don José
in Carmen (London) ein. Werther (u.a. an der MET) und Des Grieux werden zu
neuen Erfolgspartien. Ebenso der Cavaradossi, den er in Wien erstmals 2009
mit Riesen-Jubel verkörpert. Und den endgültigen Durchbruch an die
Weltspitze erzielt er 2010 mit einem neuen Lohengrin in Bayreuth. Seither
ist das „Jonas Kaufmann“-Fieber kontinuierlich angewachsen. Unzählige CD-
und DVD-Einspielungen spiegeln diese Entwicklung. Jonas Kaufmann tritt mit
Anna Netrebko und Erwin Schrott in der Berliner Waldbühne auf und mit Elı¯na
Garanca in Baden-Baden und ist Star bei den Londoner Proms. Immer neue (und
dramatischere) Rollen kommen hinzu: Radames, Alvaro und Turridu. Manrico und
Bacchus (Salzburger Festspiele).
Und welchen Stellenwert nimmt Wien
in der Karriere von Jonas Kaufmann ein? Seine ersten Erinnerungen sind eher
„brüchig“-skurril. Während seiner Studienjahre hatten seine Eltern eine
Pechsträhne: sein Vater verletzte sich beim Sport und bekam einen
Streck-Gips; dann brach sich die Mutter den Arm und trug ebenfalls einen
Gips. Um damit zurande zu kommen verbrachte Jonas Kaufmann mit den
behinderten Eltern einige Wochen in einem Sanatorium am Neusiedlersee. Und
von dort brach er zu Kultur-Ausflügen nach Wien auf. Zum ersten – noch wenig
beachteten Auftritt in Wien kam es dann im Jahr 2003 mit dem Oratorium von
Ludwig van Beethoven Christus am Ölberge – mit dem RSO und Bertrand de
Billy. Auch im Jahr des sensationellen MET-Debüts 2006 trat er kaum beachtet
am 6. Juni 2006 als Tamino in einer Wiener Zauberflöten-Reprise unter
Michael Halász auf. Dann ging’s aber Schlag auf Schlag: mit dem zweifachen
Des Grieux in Manon im April 2009 und besonders mit dem ersten Wiener
Cavaradossi in Tosca am 9. Mai 2009 setzte auch im Haus am Ring das „Jonas
Kaufmann“- Fieber ein. Seither sang er Werther (2011), Faust (2012),
Parsifal (2013) und schließlich im Oktober 2013 sogar ein Rollendebüt: In La
fanciulla del west setzte er im Verdi-Wagnerjahr einen Kontrast-Akzent. Der
Dick Johnson wurde – neben Nina Stemme als Minnie – unter Franz Welser-Möst
ein Triumph für Jonas Kaufmann und das gesamte Team. Der Kurier titelte „Ein
Volltreffer im Wilden Westen“, der Standard konstatierte ein „Happy End im
Camp des Triebstaus“ und OE24 wollte gar wissen „Kaufmann und Stemme
verzaubern Oper“. Und im Vorjahr wiederholte er seinen eingangs
beschriebenen Triumph in Tosca. Nächste Saison wird er auch in Wien den
Andrea Chénier übernehmen – eine weitere Corelli-Partie! Man darf gespannt
sein, wie diese unglaubliche Karriere weitergeht. |
Foto: Wiener Staatsoper
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