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Merkur, 14. Mai 2016 |
Tobias Hell |
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Jonas Kaufmann: „Wir sind in goldenen Händen“
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Am Pfingstmontag haben Richard Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ im Münchner Nationaltheater in einer Starbesetzung Premiere - wir sprachen mit Jonas Kaufmann und Wolfgang Koch |
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Eine Premiere der „Meistersinger von Nürnberg“,
das allein bedeutet den Ausnahmezustand für die Bayerische Staatsoper. Die
1A-Besetzung tut noch ihr Übriges: Jonas Kaufmann ist erstmals in einer
szenischen Produktion des Stücks zu erleben, Generalmusikdirektor Kirill
Petrenko steht am Pult, den Sachs übernimmt Wolfgang Koch.
Wagner ist
für sie beide nichts Neues. Sowohl Wolfgang Koch als auch Jonas Kaufmann
haben sich in Bayreuth (und nicht nur dort) mehrfach ihre Sporen im
Heldenfach verdient. Und doch ist diese Premiere der „Meistersinger“ etwas
Besonderes: Wagners großes Lustspiel am Ort der Uraufführung. Für Kaufmann
bedeutet die Produktion von Regisseur David Bösch nach einem einmaligen
konzertanten Auftritt 2006 in Edinburgh nun das mit Spannung erwartete
szenische Rollendebüt.
„Ich habe mir die Aufnahme neulich mal wieder
angehört und das Schlimmste befürchtet“, sagt der Star. „Natürlich gibt es
gewisse Dinge, die ich heute anders mache, aber generell bin ich gar nicht
so uneinverstanden mit dem Stolzing von vor zehn Jahren.“ Keine sehr lange,
aber trotzdem keine leichte Partie sei dies. „Ich glaube, wir haben mit der
Regie einen guten Weg gefunden, dass wir zeigen, wie Stolzing in diese
Gesellschaft hineinpasst – oder eben gerade nicht.“
Schwierigkeiten
bietet für Jonas Kaufmann vor allem der Text. Immerhin hat der Ritter aus
dem Frankenland die Melodie seines Preisliedes wieder und wieder in
verschiedenen Variationen zu singen: „Die alten Recken im Ensemble hier
haben mir gesagt, sie hätten noch keinen Stolzing erlebt, der von Anfang bis
Ende keinen einzigen Dreher im Text hatte. Wobei ich nicht weiß, ob mich das
beruhigen oder eher beunruhigen soll.“
Aufmunternde Worte kommen auf
jeden Fall von Wolfgang Koch, für den es nach Bielefeld, Wien, London und
Berlin bereits die fünften „Meistersinger“ sind. Keine Textvariante des
Stolzing könne schließlich so kompliziert sein wie die Hammerschläge des
Sachs im zweiten Akt, wie der Bariton laut lachend anmerkt. „Dieses Klopfen
ist völlig unorganisch, eben weil es die Schwächen von Beckmessers Lied
illustrieren soll.“ Aber Spaß beiseite: „Es ist dieser Bogen, den man finden
muss für die gewaltige Entwicklung, die Sachs durchläuft. Auch in seiner
Beziehung zu den anderen Figuren.“
Voll des Lobes über die
Zusammenarbeit mit Kirill Petrenko ist neben Koch auch Kaufmann, der
regelrecht ins Schwärmen gerät. „Ihm gelingt es, aus der Partitur Farben und
Stimmen herauszukitzeln, die man selten so hört. Und wenn da ein ,Piano‘
steht, dann spielt das Orchester bei ihm auch tatsächlich piano. Da sind wir
wirklich in goldenen Händen.“
Keineswegs ausblenden lässt sich trotz
allem bei diesem Stück die Rezeptionsgeschichte. Besonders für Wolfgang
Koch, der mit der berüchtigten Schlussansprache des Sachs wohl eine der
heikelsten Stellen zu interpretieren hat. Man weiß, dass die „Meistersinger“
vor allem in den braunen Jahren missbraucht wurden. „Aber die Frage, die
Sachs aufwirft, beschäftigt uns eigentlich bis heute“, sagt Koch. „Was ist
unsere Identität? Für Sachs sind das die Sprache und die Kultur. Und wenn
man in den Text schaut vor allem die Kultur des deutschen Bürgertums. Es
geht darum, diese Kultur und diese Sprache zu pflegen. Auch ohne dass
deshalb gleich irgendwelche Rechtsradikalen auftauchen – obwohl uns dies
nicht nur durch 1933 widerlegt wurde.“
Dass Wagner durch sein Leben
und seinen Opportunismus zu diesem Missbrauch geradezu einlud, liegt für
Koch ebenso klar auf der Hand. Gedanken, die auch Jonas Kaufmann
beschäftigen, der an den historischen Kontext der Entstehungszeit erinnert:
„Das ist ein Patriotismus, der damals einem bis dahin in dieser Form nicht
existenten Deutschland geschuldet war. Natürlich sehen wir das heute nach
zwei Weltkriegen und viel falschem Gebrauch dieser Worte ganz anders. Und
natürlich kommen einem dann diese Gedanken. Deshalb guckt Pegida auch in
unserer Inszenierung einmal kurz um die Ecke.“
Uneinig sind sich die
beiden Herren lediglich, wenn es um die berühmte Tabulatur geht, auf der die
Regeln des Meistergesangs schon weit vor Wagners Zeiten fixiert wurden.
„Diese Regeln müssen eben auch mit Leben gefüllt sein“, meint Koch: „Wenn
sie nur hohle Form sind, bringen sie nichts. Wer keinen Inhalt mitzuteilen
hat, dem hilft auch die perfekte Form nicht weiter.“ Der Bariton spricht
also ganz im Geist seiner Bühnenfigur, während Kollege Kaufmann den
Richtlinien der Meister überraschenderweise positive Aspekte abgewinnt.
„Wenn man streng nach den Regeln urteilt, hat man wenigstens etwas, woran
man sich orientieren kann. Etwas, das über die reine emotionale Empfindung
oder den persönlichen Geschmack des Einzelnen hinausgeht. Das merkt man ja
unter anderem auch, wenn man Kritiken liest, dass sich das oft gar nicht so
leicht in Worte fassen lässt. Da haben es unsere Meistersinger mit ihren
Regeln einfacher. Ob schön oder nicht, davon ist da kaum die Rede.“
Wie auf der Bühne einigt man sich aber auch hier schnell auf einen
Kompromiss – auch wenn er diesmal vom Darsteller des Stolzing ausgeht. „Er
ist schon ein kleiner Angeber, der alles anfangs nicht ganz ernst nimmt“,
sagt Kaufmann. „Er sagt sich: Was soll’s? Bei mir auf dem Land finden mich
alle toll, dann werde ich das in der Stadt schon auch reißen. Aber wenn
Sachs ihm nicht was aus der Nase kitzeln würde… Nur damit hat er am Ende die
Chance zu gewinnen.“ Und was wohl passiert wäre, wenn Widersacher Beckmesser
versucht hätte, mit seinem ursprünglichen regelkonformen Lied den
Sängerwettstreit zu gewinnen? „Dann wäre womöglich die Sache für Stolzing
ganz anders gelaufen.“ |
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