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Die Welt, 30.09.15 |
Von Manuel Brug |
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Nun ward der Herbst unseres Tenorvergnügens
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Der Klangritter von hohen B: Der Tenor Jonas Kaufmann räumt mit
Giuseppe Verdi und Giacomo Puccini bis in die Popcharts ab. Ob CD, Kino oder
Oper, er ist überall. Und er ist immer exzellent.
"Vincero" – "ich werde siegen", singt er. Und "Ergeti un trono vicino al
sol" – "ich möchte dir einen Thron nahe der Sonne errichten." Wollen wir das
nicht alle? Im ersten Arien-Fall, als in das chinesischen
Prinzessinnen-Phantom Turandot verliebter Prinz Calaf, lässt Jonas Kaufmann
dabei das hohe B auf dem "vin-ceee-ro" so richtig schön männlich und
testosteronsatt aufgehen, um auf dem "o" noch mal markig nachzulegen, bis
die baritonal eingedunkelte Stimme geschmackvoll in den Wogen des Orchesters
untergeht.
Im zweiten Arien-Fall, als in die äthiopische
Königstochter Aida verschossener ägyptischer Feldherr Radamès, tut er das
Gegenteil: Er nimmt das hohe B in einem großen Diminuendo-Bogen zurück,
lässt es feinsinnig morendo (verlöschend) über dem zarten Streichergeglitzer
ausklingen.
Weltmeister im italienischen Fach
Das hohe B, es ist, ähnlich wie der money shot im Porno, die money note
für die Tenöre. Das C hat nicht jeder, und hoch klingt das B trotzdem. Es
ist jene Note die das Publikum kribbelnd macht, die sämtliche Erwartungen
einlöst, die allen das Gefühl gibt, hier wird wirklich etwas geleistet, man
bekommt den tönenden Gegenwert für sein Geld.
Und keiner erfüllt
solches gegenwärtig idealer im italienischen Fach als ein Deutscher: der
Tenor Jonas Kaufmann. Wobei er dabei weibliche Konkurrenz hat. Nicht wenige
Besetzungschefs sind augenblicklich überzeugt, dass auch Anja Harteros und
Diana Damrau zu den besten Fachvertreterinnen bei Verdi, Puccini, Donizetti
und Bellini gehören.
Doch was ihre Popularität angeht, da können
jene Damen mit dem dreitagebärtige Lockenkopf, der gleichzeitig kernig und
kindlich, soft und markant wirkt, in keiner Weise mithalten. Wo man in der
gerade anhebenden Klassiksaison hinschaut, überall ist der 45-jährige
Münchner schon. Kein Wunder, denn der bewegt sich, nach durchaus nicht
kurzen Lehr- und Wanderjahren, gegenwärtig auf dem Höhepunkt seiner
Karriere.
Möge der noch lange andauern. Denn was Jonas Kaufmann in
dem Mund nimmt, oder besser: aus ihm herausschallen lässt, er macht nichts
falsch. Er ist einer der wenigen Künstler, der dabei ist, das Klassikgetto
zu verlassen, dessen krachlederne Wiesnausflüge mit der neuen Freundin
ebenso jenseits der Eingeweihten Medienthema sind wie seine neuen CDs oder
Opernauftritte. Und derer sind in diesen Tagen nicht wenige – Ergebnis
überlegener, sonst nur aus dem Popgeschäft bekannter Vermarktung und
Terminplanung. Kein Zweifel, nun ward der Herbst unsers Tenorvergnügens.
Der gut klingende Junge will jetzt reif erscheinen
"Ich kümmere mich nicht um mein sexy Image", versucht Kaufmann einem
glaubhaft zu versichern. Stimmt natürlich nicht. Aber der gut klingende
Junge will jetzt reif erscheinen, dabei weiterhin mit seinen vokalen
Möglichkeiten verführen. Eigentlich folgerichtig, dass er das nach dem
höchst verkaufsträchtigen Operetten- und Rundfunkschlager-Album samt Tournee
"Du bist die Welt für mich" nun mit "Nessun dorma. The Puccini-Album"
fortsetzt. Was sich ausgezahlt hat: Die Platte schaffte es aus dem Stand
unter die Top 10 der deutschen Popcharts (!), am 8. Oktober gibt es ein im
Juni an der Mailänder Scala aufgezeichnetes Puccini-Konzert in den deutschen
Kinos, die Puccini-Konzerttournee folgt.
Auf der CD wird der 1924 an
Kehlkopfkrebs gestorbene Italiener als letzter Repertoirekönig der
italienischen Oper, als Komponist für das Zeitalter der technischen
Reproduzierbarkeit präsentiert. "Puccini hat er es verstanden, wirkliche,
eindeutige und doch sehr individuelle 'Schlager' zu schreiben", findet
Kaufmann.
"Eine späte Puccini-Arie ist wie ein Hit-Melodie heute,
ganz bewusst auf kurze Spielzeit und einen nicht zu langen
Aufmerksamkeitsmoment konzipiert. Da ist sehr zeitgenössisch, so wie Puccini
ja generell ein moderner Künstler war. Einer, der sich für damalige
Erfolgsstücke wie Belascos ,Butterfly' oder "The Girl from the Golden West"
interessierte, für Schönberg und Strawinsky, für schnelle Autos und
Grammophone. Das kulminiert dann alles in ,Turandot'. Puccini ist der letzte
Volkskomponist geworden, aber mit Anspruch. Man darf es sich mit ihm nicht
zu leicht machen."
Und leicht macht es sich Jonas Kaufmann in der Tat
nicht. Und er findet trotzdem in diesen 16 CD-Nummern die richtige Mischung
aus Präzision und Loslassen, Genuss und Arbeit, pädagogischem Eros und
Fanbeglückung. Zumal er gleich zu Anfang mit vier Exzerpten aus "Manon
Lescaut", dem gern unterschätzen, vor allem für den Tenor schweren Frühwerk
("davor habe ich allergrößten Respekt", gibt er zu), eine bedeutenden und
prominenten Hörplatz einräumt. Da ist zudem, wie auf dem gleichzeitig
erscheinenden Opern-DVD-Mitschnitt, Kristine Opolais seine dramatisch
zupackende Partnerin, und Kaufmann führt den Puccini-Tenor nicht als
isoliertes Arien-Alien vor, sondern blüht auf im Geben und Nehmen mit der
Sopranpartnerin.
Tenor-Routine auf allerhöchstem Niveau
Die Ausschnitte aus "La Bohème", "Tosca", "Butterfly", "La Rondine" (ein
früher Durchbruch für ihn in London, 2004 an der Seite Angela Gheorghius)
und auch "Turandot" (der Calaf wartet noch auf eine – schon angedachte –
Bühnenverwirklichung, so wie eventuell der Pinkerton), die sind für ihn
natürlich Tenor-Routine auf allerhöchstem Niveau, ein sich Messen mit
illustren Rollenvorgängern und würdiges Einreihen in der Porträtgalerie.
Der glutvolle, sinistre Luigi im "Tabarro" ergänzt dieses Figuren,
während für den Rinuccio im "Gianni Schichi" mit seiner ariosen
Florenz-Liebeserklärung die Stimme natürlich längst zu schwer geworden ist;
aber ein wenig vokale Verkleidung schafft ein Kaufmann mit links. Besonderen
Wert legt der Sänger freilich auf die beiden Arien aus den Frühwerken "Le
Villi" und "Edgar": "Die sind wie ein Experimentierkasten. Puccini ist schon
deutlich erkennbar, aber die Soli sind schwerer, länger und viel komplexer.
Er will hier alles zeigen, was er kann."
Sehr wichtig scheint für
Jonas Kaufmann, und man hofft, dass er die Rolle noch länger im Repertoire
halten wird, der Dick Johnson im "Mädchen aus dem goldenen Westen". Kein
Strahlemann, ein geläuterter Verbrecher, der um seine Minnie kämpft, die ihn
freilich am Ende vom schon wartenden Strick schneiden muss. Das sind beides
keine jungen Leute mehr, die haben ihre Lebenserfahrungen gemacht. Und sich
für einander entschieden. Das hört und sieht man wunderbar auch in der bald
herauskommenden Sony-DVD mit Nina Stemme von den Wiener Aufführungen im
Herbst 2013 unter Franz Welser-Möst.
Nicht nur Puccini, auch Verdi
wird natürlich durch ein einen kompetenten Dirigenten und ein luxuriöses
Orchester veredelt. Und so konterkariert Jonas Kaufmann gleichzeitig seinen
Puccini-Herbst mit einem luxuriösen Verdi-Einsprengsel, der am 2. Oktober
erscheinenden römischen Studioproduktion der "Aida", die dort mit einer
gefeierten konzertanten Aufführung im Februar beendet wurde.
Bei
beidem standen ihm die gleichen, guten Begleiter zu Seite: Chor und
Orchester der Accademia Nationale di Santa Cecilia sind zwar mit dem Idiom
vertraut, spielen als Konzertklangkörper freilich gar nicht so viel
Opernmusik. Also gibt es viel Enthusiasmus und gar keine Routine, alle
lassen sich von ihrem geschätzten Chefdirigenten Antonio Pappano zu dieser
süffigen Musik (ver-)führen, nehmen sie aber nicht (zu) leicht.
Ägyptische Fantasiemusik – zart und pompös
Pappano
betont das Impressionistische, die Zartheit dieser ägyptischen
Fantasiemusik, die eben doch durch und durch italienisch ist, tupft
Stimmungszauber am nächtlichen Nil, kann aber natürlich auch einen
schlank-strahlenden Triumphakt. Und er hat ein feines Ensemble an seiner
Seite, das sich vor illustren Vorgängern nicht verstecken muss. Kaufmann ist
ein sensibler, intelligenter Radamès, mit Schmelz und Volumen.
Anja
Harteros, nach wie vor nicht die ideale Plattenstimme, aber ihm bestens
vertraute Partnerin, ist von durchscheinender Fragilität, tut sich mit der
Höhe etwas schwer. Sonor, aber nicht brustig klingt Ekaterina Smenschuk als
Amneris. Mit dem geschmackvoll-markigen Ludovic Tézier (Amonasro) ist der
gegenwärtig beste Verdi-Bariton in der Besetzungsbarke, und auch Erwin
Schrott (Ramfis) und Marco Spotti (König) lassen ihre tiefen Töne leuchten.
So ist das die beste (ebenfalls bei EMI/Warner) im Katalog stehende "Aida"
seit der von Riccardo Muti geworden.
Doch trotz allem Medien-Trara:
in der Opernwelt wird dann eben doch live gezahlt. Und auch diesen
"Aida"-Test hat Jonas Kaufmann eben in München an der Seite der ebenfalls
debütierenden, fülliger und idiomatischer als die Harteros klingenden
Krassimira Stoyanova bravourös bestanden. Als ein Radamès, der aus einer
Kunstfigur einen singenden Menschen formt, der vor allem im zweiten Teil
berührt und imponiert, der die große Geste mit imperialen Trompetentönen
beherrscht, aber sich auch Duett innig und intim verströmt, bis hin zum
letzten, transzendent verlöschenden "O terra, addio".
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