Die Welt, 15.3.2014
Von Manuel Brug
 
Keiner kann wie Jonas Kaufmann
Gesang von Welt: Der deutsche Startenor Jonas Kaufmann ist mit fünf DVDs und seiner ersten "Winterreise" auf CD so präsent wie nie. Jetzt kommt er als Massenets Werther live aus New York in die Kinos.
 
Jonas Kaufmann auf dem Cover mit Kapuze – muss dass sein? Na klar, wer hot ist, trägt heute Hoodie, und der 44-jährige deutsche Tenor, der sich so in Nahansicht, blau eingefärbt, mit straff markantem Halbprofil und Dreitagebart als Appetitanreger für seine erste Einspielung der "Winterreise" (Sony) hat ablichten lassen, ist gegenwärtig heiß, sehr heiß. Da kann man es auch mal statt mit professoraler Fischer-Dieskau-Attitüde mit schnoddrigem Til-Schweiger-Charme bei Schubert probieren.

Neben dieser durchaus respektablen Gipfelersteigung deutschen Liedrepertoires ist der weltweit gefragte Tenorissimo, der inzwischen den Schmelz eines Fritz Wunderlich, die Latino-Verführerqualitäten eines Franco Corelli, die (relative) Repertoirebreite Plácido Domingos und die Wagner-Steherqualitäten eines René Kollo in sich vereint, auf dem Höhepunkt seines Könnens. Davon zeugen gleich fünf neue DVDs sowie die extra für ihn angesetzte Massenet-Premiere des "Werther" an der New Yorker Metropolitan Opera, deren letzte Vorstellung am 15. März ab 19 Uhr live in 170 deutsche Kinos übertragen wird. Zugleich wird dabei im deutschsprachigen Raum der millionste Besucher der vor sieben Spielzeiten gestarteten Reihe begrüßt.

Und obwohl auch ein Jonas Kaufmann (wie ebenfalls in der gegenwärtigen "Werther"-Serie) mal wegen Krankheit ausfällt, der Münchner ist eine verlässliche Größe. Der mit Freuden neue Rollenherausforderungen sucht, wie allein im letzten Jahr den freilich schon wieder zu den Akten gelegten "Troubadour"-Manrico und den Alvaro in Verdis "Macht des Schicksals". Der aber gern alles unter Kontrolle hat.

Kalendermäßig bestens positioniert

So, wie beispielsweise in Interviews, die er nicht selten inzwischen gleich direkt von seinem Pressesprecher führen lässt. Oder an den Opernhäusern seiner Heimstadt, wohin der Prophetenweg naturgemäß am längsten war. Oder in New York und London, wo man ihm als Kassenmagnet jeden Rollenwunsch erfüllt. Und wo er sich je nach genau kalkulierter Nachfrage – Wagner im Wagner-Jahr, Verdi zum Verdi-Jubiläum – kalendermäßig bestens positioniert.

In New York regiert neben Anna Netrebko auf ähnlich uneingeschränktem Niveau gegenwärtig nur eine andere Deutsche – Diana Damrau – quer durch alle Repertoirerichtungen, das hat es dort seit Anfang des 20. Jahrhunderts eigentlich nicht mehr gegeben. Doch stimmlich sind da zwischen den beiden Bayern kaum noch Berührungspunkte.

Während Damrau eben bei dramatischeren Rollen wie der Traviata angekommen ist, hat Kaufmann Verdis Alfredo wohl schon wieder aussortiert. Schwerere Kaliber warten, schließlich ist der Otello, vokaler Höhe- und auch Endpunkt für jeden dramatischen Tenor im italienischen Terrain, bereits in Sichtweite. Wenn auch wohl erst in zwei, drei Jahren.

Bacchus im Leopardenanzug

So wird es Kaufmann und dem Publikum nie fad, da er auch gern und ausdauernd Lied (aktuell auf einer internationalen "Winterreise"-Tournee) singt und in Konzerten auftritt. Auch mit der neuen Plattenfirma Sony scheint Jonas Kaufmann happy, es war wohl richtig, dass er seinem Vertrauten Bogdan Roscic von der Decca dorthin gefolgt ist. Schließlich herrscht bei ihm jetzt Erntezeit, er will den Rahm abschöpfen, auch medial präsent sein.

Die Decca hat eben noch mit einem Gounod-"Faust" aus der Met nachlegt, in dem sich Jonas Kaufmann in bestem Tenorlicht als jugendlicher Sinnsucher in einem dann doch nur pseudomodernen Inszenierungsarrangement bewegt. Und von seinen Partnern ist einzig der Dirigent Yannick Nézet-Séguin bemerkenswert, der diese gern unterschätzte Partitur farbig-sinnlich auflädt und trotzdem feines französisches Parfüm zerstäubt.

Die Sony kontert gleich mit einem DVD-Trio. Aus Salzburg gibt es Kaufmanns sexy Bacchus im Leopardenanzug und mit reinem Silber in der Stimme von den Salzburger Festspielen 2012. Auch wieder passend zum Strauss-Jubiläum serviert und (nach dem italienischen "Rosenkavalier"-Sänger) wohl sein letzter Beitrag zu diesem, Tenöre nicht eben schätzenden Komponisten. Denn den Apollo in "Daphne" oder den Kaiser in der "Frau ohne Schatten", beide sehr hoch liegend, wird er sich wohl im gegenwärtigen Karrierestadium seines immer baritonaler grundierten Tenors nicht mehr antun.

Ein idealer Tor

Mit Anja Harteros – mit schöner Regelmäßigkeit als seine so charakterlich andere, trotzdem subtil harmonierende Traumpartnerin gefeiert – ist nun auch Jonas Kaufmanns Salzburger Don Carlo vom letzten Sommer dokumentiert, nicht seine allerbeste Aufführung in dieser ihm ideal liegenden Verdi-Rolle, aber doch von traumschön romantischem Entrücktsein geprägt.

Den stärksten Eindruck als Gesamtpaket hinterlässt freilich der im letzten März aus New York übertragene und jetzt als DVD veröffentlichte "Parsifal". Hier stimmt alles, sogar der gern einmal dröge Daniel Gatti springt über seinen stilistischen Wagner-Schatten. François Girards kluge, nüchterne, mit viel Kunstblut als dramatische Metapher spielende Inszenierung ist optisch gut adaptiert, René Pape (Gurnemanz), Peter Mattei (Amfortas) und Evgeny Nikitin (Klingsor) sind perfekt in ihren Rollen, auch Katarina Dalayman ist eine zurückhaltend-intensive Kundry. Doch man muss Jonas Kaufmann als Sinn wie Gral suchenden Jüngling erleben – naiv und doch wissend, zaudernd und gleichzeitig entschlossen –, um einen wirklich idealen, dabei keineswegs reinen Tor zu erleben.

Eine weitere DVD (CMajor), diesmal aus Dresden, dokumentiert Jonas Kaufmanns begeisternde Solobeiträge aus "Lohengrin", "Rienzi" (wird er wohl komplett nie live singen) und "Tannhäuser" (sollte unbedingt noch kommen) im Wagner-Geburtstagskonzert der Staatskapelle unter Christian Thielemann. Demgegenüber ist die neue, die erste "Winterreise" mit dem schmiegsamen, aber rhythmisch präsenten Helmut Deutsch am Klavier eine erste Annäherung an einen unerschöpflichen Motivkosmos.

Fülle seiner Möglichkeiten

Dietrich Fischer-Dieskau hat ihn mehr als 30 Mal medial ausgelotet, Jonas Kaufmann versucht es als Anfänger mit strenger Seriosität und gleichzeitigem jugendlichen Ungestüm – insofern ist das Cover ein Versprechen auf den Inhalt. Er singt schnörkellos, meidet fast zur Gänze seine Manierismen, den in die Kehle rutschenden Klang, das fast stimmlose Piano. Er will erzählen, packen, es geht ihm um Inhalte. Das lyrische Ich dieser 24 "schauerlichen Lieder", wie Schubert selbst sie nannte, wird grell ausgeleuchtet. Es fehlt ihm bisweilen noch an Tiefe des Ausdrucks, an Nuancenreichtum, schlicht an Berührtsein, das erst weitere Versenkung und Wiederholung mit dieser Musik bringen kann und wird.

Doch in der Fülle seiner vokalen wie darstellerischen Möglichkeiten war Jonas Kaufmann jetzt in der aktuellen New Yorker "Werther"-Serie zu erleben. Atmosphärisch unterstützt von Richard Eyres souverän ausgearbeiteter Regie, klanglich auf Samt gebettet von Alain Altinoglou und mit einer starken, dabei biegsamen Sophie Koch als Charlotte an seiner Seite, war es grandios zu erleben, wie sich alle 3900 Augen- und Ohrenpaare des riesigen Hauses ganz auf diese Sängerpersönlichkeit konzentrierten; wie man mitliebte und -litt; wie ein moderner Interpret diese deutsche Sturm- und-Drang-Figur, gefiltert durch französische Fin-de-Siècle-Süße, im Schwärmen wie im Sterben nahebrachte. Kraft seiner gerne gedeckelten, aber eben auch kraftvoll aufblitzenden Stimme und einer darstellerischen Intuition wie Intensität, die auf der Opernbühne gegenwärtig eben kein Tenor-Äquivalent hat.

Jonas Kaufmann freilich ist geistig schon wieder weiter. Eine Operetten-CD ist im Kasten, Debüts als Puccinis Des Grieux in "Manon Lescaut" in London, später dann auch in München und New York sowie als Giordanos Andrea Chenier und als Turridu/Canio bei den Salzburger Osterfestspielen 2015 stehen an. Es wird ihm und uns also nicht tenorlangweilig werden.














 
 
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