Prolog, Wiener Staatsoper März 2013
Walter Dobner
 
IDEAL FÜR JEDES FACH
Jonas Kaufmann singt seinen ersten Wiener Parsifal
 
„Ich komme raus – und die Leute springen von den Sitzen und schreien. Das habe ich einfach nicht fassen können, das hat mich buchstäblich umgehauen. Ich weiß nur noch, dass ich auf die Knie gesackt bin und gedacht habe: Meinen die wirklich mich?“, erinnert sich Jonas Kaufmann an seinen ersten durchschlagenden internationalen Erfolg. Und das gleich bei seinem Debüt an der New Yorker Met am 4. Februar 2006 als Alfredo in einer Traviata mit Angela Gheorghiu in der Titelpartie. Ein Erfolg, der Kaufmann beinahe in die sprichwörtliche Wiege gelegt worden war. Schließlich hatte einer seiner Lehrer, der amerikanische Bariton Michael Rhodes, bei seinem Unterricht auf dem Klavier stets einen Abreißblock aus dem Met Shop mit der Aufschrift „Don’t forget the Met!“ liegen.

Freilich, die Basis für Kaufmanns Weltkarriere legte sein Elternhaus. Seinen Großvater schildert er als begeisterten Klavierspieler, der sich häufig bei Ausschnitten aus Wagner Opern selbst begleitete. Sein Vater, ein kulturell höchst interessierter Versicherungsangestellter, besaß eine ausschließlich mit klassischer Musik bestückte, ansehnliche Plattensammlung. Zusammen mit seiner älteren Schwester durfte er im elterlichen Wohnzimmer jeden Sonntag daraus hören. Auch das Klavierspiel ermöglichten ihm die Eltern. „Irrsinnigen Spaß hat es mir nicht gemacht“, erinnert sich der Tenor heute an diesen wöchentlichen Unterricht, den er ab dem Alter von acht Jahren bekam.

Ungleich mehr Freude machte Kaufmann das Singen im Kinderchor der Volksschule im heimatlichen München sowie die während dieser Jahre beginnenden regelmäßigen Besuche von Aufführungen der Bayerischen Staatsoper. „Es war gewaltig, alles war groß, schön und aufregend“, beschreibt er die Eindrücke an seine erste Opernvorstellung, Puccinis Madama Butterfly. Wenig später hörte er in Münchens erstem Opernhaus seine erste Tschaikowski Oper: Eugen Onegin.

Trotzdem dauerte es noch einige Jahre, ehe seine Leidenschaft zur Profession wurde. Zuerst einmal sammelte er erste Erfahrungen im Schulchor des Gymnasiums. Bald durfte er Opernluft im Extrachor des Münchner Gärtnerplatztheaters schnuppern.

Aber ein Leben als Sänger? Das konnte weder er sich vorstellen noch wollten es seine Eltern. Also inskribierte Jonas Kaufmann Mathematik, erkannte aber bald, dass dies nicht seine Zukunft sein könne. Des wegen wechselte er im Sommer 1989 an die Münchner Hochschule für Musik und Theater und begann dort ein Gesangsstudium. Ein „leichtlebiger Typ, der sich keine unnötigen Mühen auflädt und das Leben zu genießen weiß“, charakterisierte den jungen Studenten einer seiner Professoren, Helmut Deutsch – heute nicht nur Kaufmanns Klavierbegleiter, sondern längst auch ein enger Freund.

Parallel zu seinen Studien, die er später mit Meisterkursen bei James King, Josef Metternich und Hans Hotter komplettierte, nahm er jede sich ihm bietende Auftrittsgelegenheit wahr. Er präsentierte sich als Konzert wie Opernsänger, selbst an der Bayerischen Staatsoper, wo er anlässlich der Uraufführung von Pendereckis Ubu Rex im Juli 1991 – damit noch vor seinem Studienabschluss im Juni 1994 – in gleich zwei Rollen zu hören war: als polnischer Bauer und als russischer Soldat. Auch seine erste Operettenrolle sang Kaufmann noch als Student: den Caramello in Strauß ’Eine Nacht in Venedig' an der Regensburger Oper.

Sein erstes Fixengagement führte ihn nach Saarbrücken, in Trier wirkte er bei der Uraufführung von Antonio Bibalos Glasmenagerie mit. Weitere Engagements führten ihn unter anderen nach Stuttgart, Hamburg, zum Mailänder Piccolo Teatro, wo ihn sich Strehler – es sollte seine letzte Theaterarbeit werden – ausdrücklich als Ferrando für Mozarts Così wünschte, zu den Salzburger Festspielen, wo er als einer der Studenten in Busonis Dr. Faustus debütierte, schließlich 2001 zu seinem Amerika Debüt an die Lyric Opera in Chicago. Später folgten Einladungen der Opernhäuser von London, Paris und Zürich, wo Kaufmann Ensemblemitglied wurde.

Ein „ausgesprochenes Phänomen“ bezeichnet ihn der damalige Intendant Alexander Pereira. „Sein Geheimnis scheint mir diese innere Ruhe zu sein, diese Natürlichkeit und Gelassenheit, die dafür sorgt, dass die Stimme immer frei schwingen kann, dass er mit einer Stimme, die ja eher dunkel ist und fast baritonal klingt, eine Höhe erreichen kann, die mit dieser Farbe normalerweise nicht so leicht erreichbar ist“, hebt er die spezifischen stimmlichen Möglichkeiten Kaufmanns, für viele der bedeutendste deutsche Tenor seit Fritz Wunderlich, hervor. Wiens Generalmusikdirektor Franz Welser-Möst, der den Tenor seit seiner Tätigkeit als Musikchef der Zürcher Oper bestens kennt, weist wiederum ausdrücklich darauf hin, dass Kaufmann nur vom Namen deutsch sei. „Er sieht weder typisch deutsch aus, noch klingt er so. Sein baritonales Timbre erinnert mich oft an Domingo, und er hat in seiner Stimme diesen Schmelz, der sich genau so für das französische und italienische Fach eignet wie für das deutsche.“

Entsprechend breit gefächert ist Kaufmanns Repertoire, das von Mozart bis Puccini reicht, so manche Rarität und Novität miteingeschlossen. Geht man, wie er, entsprechend überlegt vor, kommt man gar nicht in Gefahr, in irgendwelche Klischees gesteckt zu werden. Deshalb sang Kaufmann seine erste Wagner Rolle – den Siegmund – an der Met erst, nachdem er sich hier mit italienischer und französischer Oper vorgestellt hatte. Im Übrigen hat er kürzlich in einem Interview darauf hingewiesen, dass Wagner sich „gerade von der Gesangstechnik der Italiener“ hat inspirieren lassen. „Bei den Italienern bekomme ich die Schönheit und Weichheit der Stimme, die ich dann bei Wagner brauche“, weiß er aus eigener Erfahrung, nicht zuletzt von seinen Lohengrin Auftritten in Bayreuth.

Auch an der Wiener Staatsoper, wo er vergangenen Oktober mit Helmut Deutsch mit Schuberts Die schöne Müllerin heftig gefeiert wurde, ist Jonas Kaufmann – abgesehen von seinem Debüt als Tamino am 12. Juni 2006 – bisher mit italienischem und französischem Repertoire zu Gast gewesen: im April und Mai 2009 als Des Grieux in Massenets Manon und Cavaradossi in Puccinis Tosca, im Jänner 2011 in der Titelpartie von Massenets Werther und im Februar 2012 als Faust in Gounods gleichnamiger Oper.

Nun hat er sich – wie könnte es in diesem Jahr auch anders sein – erstmals mit Wagner angesagt: als Parsifal in den drei traditionell um Ostern platzierten Aufführungen dieser Oper, für die dieses Jahr Franz Welser-Möst am Pult des Staatsopernorchesters steht. Knapp zuvor wird Kaufmann diese Partie – auch dies erstmals – an der Met singen, ehe er sich in den folgenden Monaten vor allem auf den anderen großen musikalischen Jahresregenten, Giuseppe Verdi, konzentrieren wird. Darunter gleich dreimal als Don Carlo in London, München und bei den Salzburger Festspielen sowie – zum Auftakt der Münchner Opernfestspiele – in der für ihn neuen Rolle als Manrico in einem neu produzierten Il trovatore.














 
 
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