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Focus, 20/2013 |
von Jonas Kaufmann |
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Kulturbotschafter Nr. 1
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TENOR VON WELTRANG
Jonas Kaufmann, 43, gehört zu den derzeit bedeutendsten Opernsängern und tritt an allen großen Häusern der Welt auf. Sein Bayreuth-Debüt gab er 2010 als Lohengrin. |
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Für mich gehört Wagner zu den prägenden Kindheitserinnerungen. Mein Vater
und mein Großvater waren große Fans und hörten permanent Schallplatten. Dazu
kamen die Live-Übertragungen aus Bayreuth im Radio. Der „Walküren-Ritt" war
das erste Stück von Wagner, das ich bewusst wahrgenommen habe. Dass viele
Popkultur-affine Menschen damit gleich Coppolas „Apocalypse Now"
assoziieren, zeigt nach meinem Gefühl, wie universell diese Musik ist und
wie gut sie auch in anderem Kontext funktioniert.
Die Bedeutung
dieses Komponisten für die deutsche Kultur ist gar nicht zu überschätzen.
Auch wenn Wagner reichlich umstritten ist. Generell fällt mir auf, dass es
nur Hasser und Verehrer gibt, selbst unter Musikern. Sogar Wagnerianer
wünschen sich manchmal, er hätte nur komponiert und nicht so viel gesagt
oder geschrieben: die antisemitischen Schriften, seine Selbstüberschätzung.
Wagner hat ja schon als junger Komponist behauptet, nach ihm werde kaum ein
Größerer mehr kommen. Mit dieser Einstellung hat er vieles niedergemäht.
Dirigenten wie Daniel Barenboim arbeiten seit langer Zeit dafür, dass
Wagners Musik auch in Israel aufgeführt werden kann. Natürlich soll niemand
zu Wagner gezwungen werden, schon gar nicht Holocaust-Überlebende. Aber
generell finde ich es sehr schwierig zu akzeptieren, dass es Länder gibt,
denen diese Musik vorenthalten bleibt, nur weil ein Verrückter sie für seine
Zwecke benutzt hat.
Abgesehen davon ist Wagners Wert für unsere
Kultur gewaltig. Er zählt zu den bedeutendsten Komponisten der Welt. Deshalb
ist er ein wichtiger Kulturbotschafter für unser Land. Wo immer auf der Welt
seine Musik gespielt wird, verbinden die Zuhörer sie mit Deutschland. Als
ich vergangenen Sommer bei einem Festival in den Pyrenäen singen sollte,
habe ich ein Programm mit Arien zusammengestellt. Sofort kam die Frage:
Warum ist kein Wagner dabei? Es stellte sich heraus, dass Katalonien eine
Region voller Wagner-Fans ist. Das Opernhaus in Barcelona war das erste, das
den „Parsifal" aufführte, nachdem er 1913 urheberrechtsfrei wurde. Damit sie
sicher die Premiere außerhalb des Deutschen Reiches hatten, wurde die
Aufführung am 1. Januar um 0.00 Uhr angesetzt.
Ein weiterer Punkt ist
wichtig für die kulturelle Identität Deutschlands: Auch wenn uns das
inzwischen etwas deutschtümelnd erscheint, wirkt sich Wagners Idee bis heute
aus, die Wurzel des Deutschen in den nordischen Sagen zu suchen. In der
„Edda", aus der sich der „Ring des Nibelungen" speist, in den Ritterwelten
von „Lohengrin" bis zum „Parsifal". Damit hat er uns fest in diesen Kosmos
eingefügt.
Für mich als Sänger gibt es darüber hinaus noch eine
weitere fundamentale Bedeutung Wagners: Meine Stimme entwickelt sich mit ihm
weiter. Aus meiner Kindheit ist mir vieles aus Wagners Opern als laut und
bombastisch in Erinnerung. Später habe ich begriffen, dass große Teile der
Partituren piano komponiert sind. Dort ist ein Farbenreichtum zu finden, wie
ihn sonst nur wenig Musik besitzt. Diese Balance zwischen Gewaltigem und
Filigranem zu finden entwickelt die Stimme. Wagner vermittelt ein anderes
Zeit-Erleben. Die Länge der Opern erschließt sich nicht von Anfang an. Aber
je häufiger man sie hört, je mehr man sie musiziert, desto besser leuchten
sie einem ein.
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