Hamburger Abendblatt, 26.9.2012
Von Barbara Möller
 
Jonas Kaufmann: Sänger brauchen starke Nerven
Auch Jonas Kaufmann, einer der gefragtesten Tenöre, hat mal Probleme mit Regisseuren. Am Donnerstag singt er in Hamburg.
Berlin. In diesem Augenblick an der Rezeption wäre man gern dabei gewesen. Als der Concièrge des Nhow-Hotels auf die Anmeldung hinunter und dann etwas ratlos zu Jonas Kaufmann aufschaute und fragte, ob er ein Instrument aufs Zimmer haben wolle. Vielleicht eine E-Gitarre? Oder ein Keyboard?

Im Nhow, diesem poppig bunten Music- and Lifestyle-Hotel neben der deutschen Universal-Zentrale in Friedrichshain, heißen die Stars nämlich Shaggy, Marusha oder Lady Gaga. Einen Cavaradossi hält man da vermutlich für ein Mixgetränk! Auf jeden Fall würdigt die Bedienung, die in der Lounge das Mineralwasser bringt, Kaufmann keines zweiten Blicks.

Apropos Cavaradossi. Die "Tosca" gehört zu dem Mammutprogramm, das er sich in diesen letzten Monaten des Jahres aufgeladen hat: "Tosca" in München, "Fidelio" in Paris, "Lohengrin" in Mailand. Dazu noch zwei Opernkonzerte in Luzern und Nizza und die letzten Liederabende dieses Jahres: morgen in Hamburg, Sonntag in Berlin, Ende Oktober in Wien. Acht Städte in acht Wochen - jeder normale Mensch würde da einen Koller kriegen. Jonas Kaufmann offenbar nicht. "So sieht der Kalender immer aus", sagt der 43-Jährige, "das muss man auch ein bisschen lässig nehmen."

Dazu fällt ihm der Kollege Hermann Prey ein, der sich mit einem genervten "Kann man das nicht besser planen?" darüber beschwerte, dass er auf einer Nord-Süd-Tournee zwischendurch einmal zurückfahren musste. "Ich glaube, von Frankfurt nach Hannover!" Kaufmann lacht. "Seitdem hat sich das Sängerleben ganz schön geändert." Und was ist mit den Texten? Kriegt man keine Angst vor Hängern, wenn man morgen in Hamburg Lieder von Liszt, Mahler, Duparc und Strauss singt und drei Tage später in Berlin "Die schöne Müllerin" vor der Brust hat? "Da vertraue ich auf mein gutes Gedächtnis." Verhängnisvoller, sagt Kaufmann, seien die Kollegenscherze. "Wenn einen vor dem Finale vom ersten Akt 'Walküre' jemand ermahnt 'Und sing bloß nicht Winterstrümpfe stinken im Sommer noch!' kann das böse enden. Auf Mitschnitten hört man ja manchmal die tollsten Sachen."

Sänger brauchen eben starke Nerven. Erst recht in Zeiten, in denen, wie Kaufmann es vorsichtig formuliert, "die Verbindung des jeweiligen Hauses mit der Regie enger ist als die mit den Sängern". Übersetzt heißt das, dass Sänger sich dem Regietheater zuweilen hilflos ausgesetzt fühlen. Was macht man in so einem Fall? "Man muss selbst so gut vorbereitet sein, dass man Gegenvorschläge machen kann." Und wenn die nichts bewirken? "Dann macht man es eben so, dass jeder sieht: So geht es nicht." Andererseits müsse man sich auf schwierige Dinge allerdings auch einlassen, "weil man auf der Bühne gar nicht weiß, wie eine Inszenierung im Ganzen wirkt".

Wie manche Inszenierungen aufs Publikum wirken, weiß Kaufmann aus leidiger Erfahrung. Eine von Stefan Herheim völlig überfrachtete Salzburger "Entführung" ging 2003 in die Operngeschichte ein, weil Kaufmann, der den Belmonte sang, irgendwann der Kragen platzte und er den pöbelnden Zuschauern zurief, es stehe jedem frei, nach Hause zu gehen. "Die Proteste hatten sich nach der Premiere zu regelrechten Tumulten hochgeschaukelt, und das gipfelte an diesem Abend darin, dass jemand schrie: 'Geht doch nach Hause, ihr Pisser!' Da war bei mir einfach Schluss." Kann man verstehen. Rückblickend hat es ihm auch nicht geschadet.

Seinem Vater zuliebe ("Lern doch bitte was Vernünftiges!") hat Jonas Kaufmann, der mit 16 erste "vom Großvater bezahlte" Gesangsstunden genommen hatte, nach dem Abitur übrigens einen kleinen Umweg über die Mathematik gemacht, bevor er sich endgültig fürs Singen entschied. (Die ältere Schwester, die offenbar auch eine schöne Stimme hatte, hat Betriebswirtschaft studiert und ist dabei geblieben.)

Inzwischen sind alle beruhigt. Natürlich. Jonas Kaufmann ist einer der gefragtesten Tenöre der Welt. Gefeiert als Don Carlos, Lohengrin, Florestan oder Don José. Im Februar/März wird er an der New Yorker Met "Parsifal" singen. Da stellt sich die Frage nach "Tannhäuser" und "Tristan" doch ganz automatisch, oder? "Diese Rollen reizen mich schon", gibt Jnas Kaufmann zu, "doch wenn ich an diesen endlosen Monolog des Tristan im dritten Akt denke ..." Realistisch sei in der nächsten Zeit "höchstens" ein zweiter "Tristan"-Akt konzertant.

Jetzt kommt Jonas Kaufmann erst einmal mit einem Liederabend nach Hamburg in die Laeiszhalle. "Mit der heiligsten Kunst meiner Künste", wie er zu sagen pflegt. Begleitet wird er dabei, wie fast immer, von Helmut Deutsch, der Kaufmanns Liedgesang bei diesem Programm so zusammenfasst: "Er kann sehr, sehr feine Nuancen zeigen, und das Heldische kommt auch nicht zu kurz ..."






 
 
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