ELLE, Mai 2010
PROTOKOLL: ELKE KRÜSMANN
musik & mode
Wer Außergewöhnliches leisten will, muss auf seine Gefühle hören. Der Startenor Jonas Kaufmann und die Designerin Gabriele Stehle unterhalten sich im ELLE-Gespräch darüber, warum Coolness eine gefährliche Haltung für Künstler ist und warum (Bühnen-)Helden Bodenhaftung brauchen

Es klingelt, und Jonas Kaufmann stürmt in die Eingangshalle des Hauses von Gabriele und Gerd Strehle am Tegernsee. So temperamentvoll, wie der Sänger jetzt durch die Räume im Erdgeschoss wirbelt, agiert er wohl auch auf den Bühnen der Welt — als Don José in der Bizet-Oper “Carmen“ oder als Lohengrin. Groß, präsent, die Locken vom Wind zerzaust, ist der 40-Jährige die Traumbesetzung für Heldenrollen. Und in den Augen von Gabriele Strehle die Verkörperung des “Strenesse-Mannes“. Er stellt seine Qutfits aus der Kollektion des Labels gemeinsam mit Gabriele Strehle zusammen. Auch sonst entdecken die Designerin und der Tenor im ELLE-Gespräch vieles, was sie verbindet.

Jonas Kaufmann: Ich habe festgestellt, dass auch in meinem Business die Weisheit gilt: Kleider machen Leute. Erscheinst du zu lässig zu einer Probe, kommen die anderen in Versuchung, dich herumzukommandieren. Ich habe mir daher angewöhnt, zur Probe immer ein Oberhemd anzuziehen.

Gabriele Strehle: Da wirst du vermutlich gleich ein paar Stufen höher einsortiert ... (Lacht.)

J.K.: Ja. Dank unserer Zusammenarbeit habe ich jetzt Kleidung gefunden, in der ich mich wirklich wohl fühle. Wenn ich sie anziehe, habe ich nicht das Gefühl: Jetzt schlüpfe ich in meine Businesshülle. Trotzdem strahlen die Sachen die Eleganz aus, die mir den nötigen Respekt verschafft.

G. S.: Deine Karriere ist ja — wie meine — nicht schnurgerade wie eine Autobahn verlaufen, du hast sie dir mit harter Arbeit erkämpft. Und es verbindet uns noch etwas anderes: Wir sind beide romantische Menschen. Ich kann das Wort “cool“ nicht mehr hören. Cool sein bedeutet, seine Gefühle zu verdrängen. Ich sehe die Aufgabe von uns Künstlern auch darin, der Gesellschaft Wärme zu geben. Wenn du singst, reißt du das Publikum mit.

J.K.: Das funktioniert aber nur, wenn die Gefühle, die ich in die Rolle hineinlege, echt sind. Ein Sänger kann zwar versuchen, den perfekten Ton

zu kreieren. Aber das allein rührt nicht an. Nur wenn die Musik aus einer echten Empfindung gespeist wird, bewegt sie die Menschen. Es geht um Ehrlichkeit.

G. S.: Ja, um Authentizität. Sie ist der Maßstab, wenn man Qualität schaffen will. Wir waren zu Hause vier Kinder. Wir hatten nicht viel. Aber das Wenige, was wir hatten, war sehr wertig — ob es das Essen war oder das Umfeld. Dieses Prinzip übertrage ich auf die Mode: Es geht darum, den Schnitt auf das Wesentliche zu reduzieren, so dass andere sich an den Menschen erinnern und nicht an das Kleid.

J. K.: Um diese Qualität zu schaffen, von der du gerade gesprochen hast, braucht man Bodenhaftung. Familie, Freunde. Mein Zuhause ist meine Kraft-Produktionsmaschine. Wenn der Erfolg eine zu große Bedeutung gewinnt, besteht die Gefahr, dass man ihn wieder verliert. Weil man krampfhaft versucht, das, was einmal gut funktioniert hat, zu reproduzieren. Das ist der Tod der Kreativität. Man darf nicht aufhören, nach dem Authentischen zu streben.

G.S.: Bei mir war es so, dass ich mir ganz am Anfang darüber klar werden musste, in welche stilistische Richtung ich mit Strenesse gehe. Auf dieser Linie muss ich immer wieder aufbauen, sie muss jedes halbe Jahr neu aufbereitet werden.

J.K.: Die Natur macht uns das ja vor: Es gibt eine Wurzel, aus der jedes Jahr eine neue Pflanze entsteht. Eine der vielen wunderbaren Seiten an unserem Beruf ist ja, dass wir nie zweimal das Gleiche kreieren. Man muss immer wieder über sich selbst nachdenken, findet jedes Mal etwas Neues.

G.S.: Diese permanente Suche nach dem Neuen, das ist eine sehr romantische Sehnsucht

J. K: Ja, die Romantiker waren immer auf der Suche nach der blauen Blume. Sie ist das Symbol für ein Ziel, auf das wir hinarbeiten. Träume und Sehnsüchte treiben uns voran. Aber wir dürfen nicht vergessen: Der Weg zu diesem Ziel — das ist unser Leben. Das sollten wir jeden Tag so intensiv genießen, wie es geht. PROTOKOLL: ELKE KRÜSMANN

Fotos: ELLE, Outfits: Strenesse






 
 
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