Echo Klassik Magazin 2010
 
Hören und staunen
Kann eine Stimme klug sein?
Und ob! Die von Jonas Kaufmann ist auch noch schön dazu
René Kollo war einer der besten Lohengrin-Interpreten. Inzwischen ist er ein älterer Herr, der gern über die gute alte Zeit spricht, der die Meisterdirigenten Karajan, Bernstein und Solti lobt und die Gesangskultur der goldenen 70er und 80er Jahre. Von modernen Stimmen hält er nicht viel. Neulich stand René Kollo in der Pause des "Lohengrin" auf dem Grünen Hügel in Bayreuth und trank ein Bier Ein Opernliebhaber kam auf ihn zu und wollte dem Sänger schmeicheln: "Na, ja", sagte er. "Was meinen Sie?", fragte Kollo. "Der Kaufmann, also wenn man den mit Ihnen vergleicht...". Der Tenor unterbrach den Fremden und antwortete: "Er ist einer der Besten, ich habe schon lange keine so besondere Stimme mehr gehört." Der Opernliebhaber staunte und zog von dannen.

Jonas Kaufmann hat den Lohengrin in Bayreuth gesungen, mit einem ganz individuellen Ton: kein aufgeblasener Wagner-Held, sondern ein gebrochener Mensch. Kein schmetternder Macho, sondern ein leisetönender, sich nach Liebe sehnender Jüngling. Keine Hau-Drauf-Stimme, die dem Publikum die hohen Töne um die Ohren schmettert, sondern eine kluge, jede Phrase mit Bedeutung aufgeladene Stimme.

Das wirklich Merkwürdige an Jonas Kaufmann ist, dass er immer ein bisschen dieses und ein bisschen das ist - und damit in jedem seiner Auftritte auch immer alles. Kaum ein anderer Sänger verbindet so viele Widersprüche wie er. Er formt seine Arien wie aus der alten Schule: klug, wortverständlich, theatral. Gleichzeitig ist er modern, deckt durch seine Interpretation die Knackpunkte der Rollen auf, kümmert sich nicht um die effektvollen Stellen, sondern um die psychologische Ebene unter ihnen. Und wahrscheinlich liegt in diesem "sowohl als auch" die Begeisterung für Kaufmanns Stimme. Er ist ein Sänger der die Tradition kennt und sie in die Moderne führt. Nicht nur das Publikum, sondern auch die Sänger-Kollegen und Dirigenten hören ihn und staunen.

Neulich ist Jonas Kaufmann an der Mailänder Scala aufgetreten, als Don José in George Bizets "Carmen". Er hat die Rolle schon einige Male gesungen, und im ersten Akt dachte man: "Komisch, so habe ich das noch nie gehört. Was für ein Weichei ist dieser Kerl!" Doch, als Jonas Kaufmann am Ende der Oper seine Geliebte erstochen hatte, am Boden lag und die letzten verzweifelten Töne gesungen hatte, war klar, dass er Oper nicht als Aneinanderreihung von Arien begreift, sondern als epische Erzählung, in der ein Charakter aufgebaut, zum Höhepunkt (und so wie im Falle von Don José) schließlich wieder zum Menschen demontiert wird.

„Ich finde diesen Gedanken auch auf Arien-CDs wichtig", sagt der Tenor selbst, „man kann ein Stück nicht aus dem Zusammenhang reißen, nur weil es so schön ist. In meinen Aufnahmen versuche ich in jeder Arie klar zu machen, woher ein Charakter kommt und wohin ergeht. Und all das, wenn möglich, in wenigen Minuten."

In der Pause der „Carmen"-Aufführung sitzt Daniel Barenboim im Dirigentenzimmer der Mailänder Scala. „Wissen Sie", sagt er, „ich habe eine ganz eigene Theorie über Kaufmanns Stimme." Dann setzt er zu einem Vergleich mit einem anderen Weltklasse-Tenor an „Rolando Villazón ist ein dionysischer Sänger, der vor Kraft und Lebenslust nur so strotzt, der ohne Rücksicht auf Verluste auf der Bühne stirbt und dessen Markenzeichen die Leidenschaft ist." Barenboim macht eine Pause. „Bei Jonas Kaufmann ist das genau anders. Er verkörpert für mich den apollinischen Sänger, eine Stimme, die alles analysiert, die zu Gebieten vordringt, die unter der Oberfläche schlummern, der Geschichten als Analyse einer Entwicklung der Charaktere erzählt." Tatsächlich lassen sich die beiden größten Tenor-Stimmen unserer Zeit wahrscheinlich genau so erklären: als Dionysos und Apollo.

Jonas Kaufmann schenkt der Klassik, was sie lange Zeit verloren hat: Tiefe. Um so amüsanter ist es, dass auch in diesem Fall bei ihm, das „sowohl als auch"-Prinzip greift. Während er der Klugheit auf der Bühne eine Stimme gibt, ist er jenseits der Theater zu einem der größten Hochglanz-Stars der Klassik geworden. Er sieht gut aus und zeigt das auch. In Berlin werden Großformatposter von ihm aufgehängt, die Klatschpresse reißt sich um den Tenor, er ist der schillerndste Opernstar nach Netrebko und Villazón. Aber er ist und bleibt dabei immer: Jonas Kaufmann. Ein Sänger, der die Oberfläche der schönen neuen Opernwelt nutzt, um ein noch größeres Publikum für seine eigentliche Botschaft zu gewinnen, die Klugheit, die Tiefe und die Schönheit der Musik.






 
 
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