Klassikakzente, IV/2009
Helmut Deutsch
Die ernsthafte Müllerin
Der Pianist und Musikprofessor Helmut Deutsch über seinen einstigen Schüler Jonas Kaufmann und die Ernsthaftigkeit und Tiefe, mit der sich der Tenor für sein neues Album mit Schuberts Musik und Wilhelm Müllers Texten auseinandergesetzt hat.
Wilhelm Müller, der zu seiner Zeit so hochgeschätzte und von Heine so bewunderte Spätromantiker, ist uns heute eigentlich nur mehr als „Textlieferant“ für Schuberts große Zyklen „Die schöne Müllerin“ und „Winterreise“ ein Begriff. Wofür wir ihm zwar dankbar sind, aber so richtig ernst genommen wird er als Lyriker kaum. Zu volksliedhaft einfach, zu süßlich oder gar „schnulzig“ wirken diese Texte, insbesondere auf jüngere Menschen.

Es ist ein spezielles Erlebnis, zu spüren, wie ernsthaft und tief sich Jonas Kaufmann mit den Texten der „Schönen Müllerin“ auseinandersetzt, wie „wahr“ und lebendig sie für ihn sind und wie viele Anregungen er aus einzelnen Worten und Bildern für sein Singen zu schöpfen vermag. (Schubert selbst kann es nicht anders ergangen sein: Denn wirklich Triviales hätte ihn wohl kaum zu diesem Meisterwerk inspiriert.)

Wenn etwa in „Die liebe Farbe“ ganze acht Male „Mein Schatz hat’s Grün so gern“ zu singen ist, dann beleuchtet Kaufmann diesen schlichten Satz in vielerlei Farben von resignativer Trauer bis zu fatalistischem Sarkasmus, aber auf ganz subtile Weise, die nie gekünstelt wirkt. Ebenso gelingen ihm romantischironische Passagen Heine’scher Prägung wie „Es kommt ein Regen, ade! Ich geh nach Haus“ („Tränenregen“) so wunderbar, dass man die schöne Müllerin beinahe zu hassen beginnt. Aber dass sich ein moderner junger Mann von Welt, der privat alles andere als ein Träumer ist, für Textzeilen wie „Und die Engelein schneiden die Flügel sich ab und gehen alle Morgen zur Erde herab“ („Der Müller und der Bach“) begeistern kann, das beeindruckt und berührt mich dann doch schon sehr.

Wir reden in unseren Proben durchaus über das eine oder andere Detail in Musik und Text, aber im Großen und Ganzen wird bei der Arbeit eher ungewöhnlich wenig gesprochen, geschweige denn diskutiert. Die Zeiten, in denen Jonas kurz nach dem Studium noch ganz vorsichtig anfragte, ob seinem alten Lehrer dies und jenes auch recht sei, sind zwar lange vorbei. Aber eine noch unkompliziertere Probenarbeit als mit ihm ist kaum vorstellbar. Denn zum einen scheinen wir in vielem den gleichen Geschmack zu haben, zum anderen gehört Jonas zu den begnadeten Sängern, die mit ihrem Atem, mit ihrer Körpersprache und Mimik und selbstverständlich auch mit ihren Stimmfarben so viel Signale zu senden imstande sind, dass es ein Leichtes ist, ihnen zu folgen, ohne dass jede dynamische Nuance oder jedes Rubato abgesprochen werden muss.

Acht von den zwanzig Liedern der „Schönen Müllerin“ sind Strophenlieder, eine besondere Herausforderung für Sänger und Pianisten, die eine große Bandbreite an Ausdrucksnuancen verlangt. Es ist aufregend, zu erleben, wie Jonas bei solchen Aufgaben völlig fernab von jeglicher Routine bleibt, wobei mir zum Beispiel sein lustvolles Auskosten von dynamischen Grenzbereichen immer risikofreudiger zu werden scheint. Und das ist bei seinen stimmlichen Mitteln eine wahre Freude für den Hörer!

Es erzeugt bei mir nicht selten Gänsehaut, wenn ich spüre, wie sehr der Mensch Jonas Kaufmann sich beim Singen selber einbringt in die Geschichte des unglücklichen Müllerburschen: Wie naiv und fröhlich er sich auf Wanderschaft begibt, wie träumerisch-selig er in seiner Verliebtheit ist und wie enttäuscht und bitter er wird, bis zuletzt alles in Resignation und Suizid endet. Ist man mit Jonas zusammen auf dem Podium, so hat man eigentlich immer das Gefühl, dass er das alles gerade tatsächlich erlebt und empfindet. Und selbst ein alter Routinier wie ich bemerkt auch aus dieser größten Nähe nicht, dass dabei selbstverständlich alle möglichen Kontrollmechanismen eingeschaltet bleiben, ohne die es nun einmal nicht möglich ist, einen Liederabend technisch zu bewältigen.

Übrigens sind wir beide nicht der manchmal geäußerten Meinung, dass sich bereits im ersten Wanderlied des Zyklus das bittere Ende abzeichnen soll. Ganz im Gegenteil: Im Unterschied zur „Winterreise“ gibt es in der „Müllerin“ eine viel reichere Palette von Stimmungen, die nachzuzeichnen eine immer wieder schöne und schwierige Aufgabe bleibt. Für den Sänger und seinen Partner am Klavier.






 
 
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