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Klassikakzente II/2009 |
Thomas Voigt |
Wagner cantabile
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Nach seinem sensationellen CD-Debüt mit
großen Tenorhits legt Jonas Kaufmann jetzt sein zweites Album vor:
Deutsche Opernszenen von Mozart bis Wagner. |
Fotos: in der neuen Klassikakzente
Ausgabe
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Der Titel lautet „Sehnsucht“. Tamino sehnt sich
nach Pamina, Siegmund nach Sieglinde, Florestan nach Freiheit, Parsifal nach
Erlösung. Manche werden auch „Endstation Sehnsucht“ von Tennessee Williams
assoziieren. „Kaufmann in Venedig“ wäre vielleicht ein nettes Wortspiel
gewesen, aber es hätte vom Inhalt abgelenkt. Außerdem war es nun mal nicht
Venedig, wo Jonas Kaufmann sein neues Album einspielte, sondern Parma. Das
heißeste Opernpflaster der Welt. Der Ort, von dem es heißt, dass Tenöre, die
auf der Bühne versagen, sogar von den Gepäckträgern abgestraft werden; sie
müssen ihre Koffer selbst schleppen.
Warum Parma? Weil Claudio Abbado und sein Mahler Chamber gerade in Italien
beschäftigt waren? Oder hat es nicht einen tieferen Sinn, dass der Münchner
Tenor die deutschen Opernszenen ausgerechnet in Italien aufnahm? Denn
deutsche Oper und italienischer Klang, das war oft eine glückliche
Verbindung. Nicht nur bei Händel und Mozart, sondern auch bei Wagner. Immer
wieder haben Musiker und Musikwissenschaftler betont, dass Wagner seine
Partien auf der Basis des klassischen Belcanto gesungen haben wollte; dass
er überhaupt kein Freund war von jenem „Sprechgesang“, der nach seinem Tod
in Bayreuth kultiviert wurde und den George Bernard Shaw als „Bayreuther
Gebell“ bezeichnete. Wohl legte Wagner besonderen Wert auf deutliche
Artikulation und Eloquenz —doch nicht um den Preis einer minderen
Klangqualität. Sein Ideal war die Verbindung von „deutscher“ Ausdruckstiefe
und italienischer Gesangskultur.
Wie das klingt, hört man zum Beispiel in der viel gerühmten Aufnahme der
Gralserzählung mit Franz Völker. Danach begreift man, warum Wagner den
„Lohengrin“ als seine „italienischste‘ Oper bezeichnet hat. Auch Sandor
Konya, der Protagonist in Wieland Wagners Inszenierung von 1958, war trotz
ungarischer Herkunft ein „italienischer“ Lohengrin. Und er war vor allem
deshalb so begehrt in Wagner-Partien, weil er die Gesangsbögen eines
Lohengrin und Walther von Stolzing so schön sang, als wären es Kantilenen
von Verdi und Puccini.
Mit Jonas Kaufmann gibt es nach längerer Wartezeit wieder einen deutschen
Sänger, der genau das kann. Eben weil er sich nicht auf das deutsche
Repertoire spezialisiert, sondern seine Erfahrungen mit italienischen und
französischen Partien einbringt. „Wagners Musik hat ja sehr viel
italienisches Melos, viel Belcanto, viel Lyrisches und Zartes“, betont
Kaufmann, „und ich glaube, dass ich gewisse Qualitäten, die ich im deutschen
Fach habe, verlieren würde, wenn ich meine italienischen und französischen
Partien aufgeben würde.“
„Wagners Musik hat ja sehr viel italienisches Melos.“
Deutsche Oper mit italienischem Melos. Vor diesem Hintergrund wirkt auch der
Weg, den der Münchner Tenor bisher gegangen ist, nur logisch. Dass Kaufmann
seinen internationalen Durchbruch mit Verdis „La traviata‘ an der Met in New
York hatte, bevor man in Deutschland sein Potenzial für Wagner erkannte —
das ist nicht nur die alte Geschichte vom Künstler, der erst nach
Ruhmestaten im Ausland zuhause richtig geschätzt wird. Es ist vielmehr das
Beste, was einem Sänger passieren kann: Verdi und Puccini als Basis für
Wagner.
So ist es auch kein Zufall, dass Kaufmann in den Wochen vor seinem
„Lohengrin“-Debüt bei den Münchner Opernfestspielen italienische Partien
singt: Cavaradossi in „Tosca“ und Alfredo in „La traviata“. Natürlich wird
sein erster Lohengrin mit großer Vorfreude erwartet: Endlich wieder ein
Sänger, der nicht nur den inneren Sinn von Musik und Drama erfasst, sondern
auch so das Poetische, Lyrische, Märchenhafte der Lohengrin-Gestalt in Klang
umzusetzen weiß.
Einen ersten Eindruck davon gibt sein aktuelles Album mit deutschen Arien,
das neben besagter Gralserzählung auch Lohengrins Abschied enthält, die
Szene, die mit jenen geflügelten Worten beginnt, die längst in den
alltäglichen Sprachgebrauch eingegangen sind: „Mein lieber Schwan. In beiden
Szenen verlangt Wagner ein breites vokales Spektrum: vom leisen, innigen Ton
bis zum dramatischen Ausbruch.
Kaufmann beherrscht diese Skala wie nur ganz wenige. Das zeigt seine
bisherige Entwicklung, und das zeichnet auch sein neues Album aus. Als
Tamino in Mozarts „Zauberflöte“ hat er die lyrische Innigkeit für die
Bildnis-Arie, aber auch den heldischen Ton für die Auseinandersetzung mit
dem Sprecher. Wenn er in der „Walküre“ mit schönster Wagner-Kantilene „Liebe
und Lenz“ besingt, klingt er genauso überzeugend wie bei der schmerzvollen
„Menschwerdung“ Parsifals („Amfortas! Die Wunde!“) und im Erlösungs-Finale
(„Nur eine Waffe taugt“).
In der großen Szene des Florestan in Beethovens „Fidelio“ schafft er es,
nicht nur die Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit des Gefangenen zum Klingen
zu bringen, sondern auch die ekstatische Vision vom rettenden Engel: Der
führt mich zur Freiheit, ins himmlische Reich.“ Diese höllisch schwere
Phrase wird gern als Beweis dafür zitiert, dass Beethoven nicht wusste, wie
man für Sänger komponiert. Andererseits lässt sie sich auch dahingehend
interpretieren, dass er bewusst den Sänger an die Grenzen des Singbaren
getrieben hat: Verlangt nicht die Extremsituation des Gefangenen auch ein
Extrem im künstlerischen Ausdruck?
Wie auch immer: Wer diese gefürchtete Passage bewältigt, hat die Feuer- und
Wasserprobe bestanden. Für Kaufmann gibt es dahin nur einen Weg: „Möglichst
entspannt bleiben, sich nicht verrückt machen, und nicht vorauseilen, um
schnell drüber wegzukommen.“
Die Szene aus Schuberts „Alfonso und Estrella“ hat er auf Wunsch von Claudio
Abbado aufgenommen. „Zuerst hatte ich Bedenken, dass dieses Stück etwas aus
dem Rahmen unseres Programms fällt, denn es erfordert einen ganz leichten,
duftigen Stimmklang — aber dann hat mich gerade der Kontrast zu der anderen
Schubert-Figur sehr gereizt, der Kontrast zu den dunklen Emotionen des
Fierrabras.“
Was bei Kaufmann immer wieder auffällt, ist seine exemplarische
Artikulation. Und das ist weit mehr als phonetische Korrektheit und
Textverständlichkeit. Es ist die Kunst, im Singen zu sprechen und im
Sprechen zu singen. Es ist das, was Oper eigentlich sein soll: die
Verschmelzung von Ton und Wort, von Musik und Schauspiel.
Wenn Sänger über sich lesen, dass sie eindringliche Schauspieler seien,
werden sie schnell misstrauisch: Soll das heißen, dass die Stimme nicht so
toll ist? Kaufmann sieht das anders. „Nur ‘ne tolle Stimme zu haben und
perfekte Töne abzuliefern, das ist für mich nicht das Wesentliche. Das
Entscheidende bei einem Sänger sind doch die Unverwechselbarkeit der Stimme
und die Eigenart des Singens. Ich glaube, nur dann kann auch entstehen, was
man als ‚beseelten Gesang‘ bezeichnet. Natürlich braucht man eine gute
Technik, um lange singen zu können. Aber wer geht schon in die Oper, um die
Vorführung von Gesangstechnik zu hören? Das Publikum möchte doch bewegt und
berührt werden, hineingezogen werden in die Welt der großen Emotionen. Das
kann nur gelingen, wenn man als Sänger glaubwürdig ist. Und wenn man mir
sagt, dass man mir glaubt, was ich singe, dann ist das das schönste
Kompliment, das man mir machen kann.“
Thomas Voigt
www.jonas-kaufmann.net |
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