Berliner Morgenpost, 18. Januar 2009
Von Volker Blech
Der schlagfertige Tenor
"Der Dornröschenschlaf in unserer Hauptstadt hat sehr lange gedauert", sagt Jonas Kaufmann (39), derzeit der angesagte deutsche Tenor im internationalen Musikgeschäft. Mit seiner kritischen Berlin-Sicht outet er sich wohl als typischer Münchner, obwohl er in seiner manchmal blümeranten Direktheit zweifellos nach Berlin passen würde.
Morgen gastiert Kaufmann in der Philharmonie, aber ansonsten macht er sich hier ziemlich rar. Womöglich bei den Philharmonikern in der nächsten Saison, wirft er beiläufig hin. Und in einem der Opernhäuser? "Wir denken darüber nach", sagt Kaufmann: "Das liegt im Bereich von fünf Jahren im Voraus." Die Angebote kämen manchmal abartig spät, erklärt er, so zwei, drei Jahre vorher. Kaufmann ist jedenfalls bestens im Geschäft. 70 bis 80 Auftritte absolviert er pro Saison.

Dabei ist es gerade auch bei Starsängern so - man denke nur an den zwischenzeitlich erkrankten Anna-Netrebko-Tenor Rolando Villazon, für den das Musikbusiness gewissermaßen Jonas Kaufmann einspringen ließ -, dass sie während ihrer Karriere den Weg über lichte Gipfel und in dunkle Täler zu durchsingen haben. Für den selbstbewussten sportiven Kaufmann ist klar, wo er sich gerade befindet: "Ich stehe auf einer Hochebene. Ich weiß nicht, ob ich noch weiter nach oben steigen kann, und ob ich das möchte. Jeder Schritt weiter birgt die Gefahr herunterzufallen."

Seine Karriere begann 1994 am Staatstheater Saarbrücken. Er debütierte quer durch Deutschland, dann in Chicago, Paris, an der Scala. In Salzburg sang er 2003 den Belmonte in Stefan Herheims umstrittener Inszenierung von Mozarts "Entführung". In der dritten Vorstellung gab es einen Tumult, der am Singen gehinderte Kaufmann wehrte sich mit dem Hinweis: "Es steht jedem frei, nach Hause zu gehen!" Die Produktion habe lange in ihm nachgewirkt, sagt der Tenor, und er habe heute eine andere Einstellung zum Regietheater. "Seither bin ich vorsichtiger geworden. Jetzt gibt es Grenzen. Beispielsweise darf Oper nicht weichgespült sein wie ein Musical. Ich sage gegenüber einem Regisseur auch nicht mehr leichtfertig, dass wir ja alles machen könnten, sondern schaue mir vorher an, was auf mich zukommt." 2006 debütierte er an der Met - das bezeichnet er als Gipfel.

Aber eigentlich wurde er erst nach seiner CD "Romantic Arias", die im vorigen Jahr ihren Spitzenplatz in den Charts fand, als Shootingstar in der hiesigen Klassikwelt wahrgenommen. Darüber kann er nur den Kopf schütteln: "Auch wenn es in den Medien anders angekommen ist, mein Weg ging stetig und überhaupt nicht sprunghaft nach oben. An meinem Berufsleben hat sich insgesamt wenig verändert", sagt er: "Sicherlich kommt mal ein Solokonzert mit Orchester dazu, ich gebe mehr Interviews und zwischendurch muss ein Album nachgeschoben werden - aber das ist schon alles. 95 Prozent meiner Engagements sind geblieben."

Kaufmann gehört zu jener fotogenen, beim weiblichen Publikum begehrten und immer crossovergefährdeten Interpretengeneration, die nicht mühsam an einem Image basteln will, sondern lieber Klartext redet und dabei ihren Spaß hat. Ein authentischer Künstler, mit einem Hauch von Chaos umgeben. Das Bild vom konservativen Sänger weist er von sich: "Oh, ich kenne konservativere Sänger als mich. Mit Christoph Marthaler habe ich eine ,Traviata' in Paris gemacht, bei der von vornherein klar war, dass es eine sogenannte Skandalproduktion werden würde", sagt er und fügt hinzu: "Ich mag den Wechsel und wehre mich dagegen, in Schublade gesteckt zu werden. Auch meine, von einigen als Potpourri bezeichnete CD ist letztlich das, was ich gerne machen wollte." Und wenn er schon in eine Schublade gesteckt werde, sagt er in seiner lockeren Art, dann muss obendrauf immer Tenor stehen.

Dennoch - bei der Frage, ob Tenöre am Anfang nicht manchmal auch Minderwertigkeitsgefühle hätten, zuckt der Latin-Lover-Typ zusammen. So scharf möchte er das nicht sehen, sagt er: "Aber es stimmt schon, dass Sänger allgemein immer als etwas Besonderes bewundert werden, sich dennoch gleichzeitig der Gedanke an die brotlose Kunst einschleicht. Es ist schon ein sehr harter Beruf, auch, weil er aus dem Schaustellerberuf entstanden ist. Dass durch die Lande tingeln - was wir Sänger ja heute auch nicht anders machen."

Mit seiner Frau, der Mezzosopranistin Margarete Joswig, und seinen drei Kindern lebt er in Zürich, auch wenn er mit dem Umzug in seine Geburtsstadt München liebäugelt. Bei dem Thema druckst er ein wenig herum. Offenbar will er die Festspiel-Premiere von "Lohengrin" im Juli abwarten.

Was seine Lieblingsrolle sei? Die Antwort kommt schnell: "Der Familienvater. Denn auch, wenn man sich als Sänger dagegen wehrt, der Beruf verändert einen schon. Zuhause sehen einen die Kinder einfach nur als Papa, der Windeln wechseln, spielen und bei den Hausaufgaben helfen muss. Das löst einen von Erfolgen."






 
 
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