Südwest Presse, 22.2.2008
JÜRGEN KANOLD
Kaufmann, der Tenor
Ein Münchner erobert die Opernwelt
Er ist längst kein Geheimtipp mehr unter den Opernfans. Aber mit seiner ersten Solo-CD "Romantic Arias" macht sich der Münchner Jonas Kaufmann daran, sich als Top-Tenor weltweit zu etablieren.

Nein, unter Sängern gibt es keine offizielle Weltrangliste, die sich speist aus Siegen, Punkten und verdientem Preisgeld. Aber wer an der New Yorker Metropolitan Opera, an der Wiener Staatsoper, an Londons Covent Garden und der Zürcher Oper umjubelt auftritt, hat so eine Art Grand Slam gepackt. Und ein Tenor, den ein Major-Label wie Decca unter Exklusivvertrag nimmt und mit einer Solo-CD in die Opernwelt katapultiert, kann nicht nur hohe Cs, sondern ist überhaupt Spitze. Mal salopp gesagt: Jonas Kaufmann gehört jetzt zu den Top Ten seiner Branche, mit 38 Jahren.

Kaufmann ist als Tenor ungeheuer vielseitig: singt die italienischen und französischen Helden, aber auch Wagner und Mozart. Aber das wirklich Außergewöhnliche? "Ich bin Deutscher unter vielen Südamerikanern. Momentan hat der Markt, was Tenöre anbetrifft, sozusagen Latinoschlagseite", erzählt der in München geborene Kaufmann gern in Interviews. Stimmt. Die Konkurrenz heißt Rolando Villazon, Juan Diego Florez oder Marcelo Alvarez.

Doch Kaufmann wehrt sich gegen das Vorurteil, dass in Südamerika die sängerische Passion mit der Muttermilch aufgesogen wird, Zentraleuropäer diese Leidenschaft aber nicht aufbringen können. Wer Kaufmanns Debüt-CD "Romantic Arias" hört und erlebt, wie der Tenor als Rodolfo, Cavaradossi oder Werther leidet und schluchzt, ist sowieso vom Klischee geheilt.

Und dann sieht Kaufmann auch noch blendend aus, nach Hollywood und Rockstar, mit Dreitagebart eben wie ein Latin Lover. So gelangt ein Klassikstar zwangsläufig auch in die Illustrierte "Stern" und unter die Fittiche schwärmerischer Klatschreporter: "Er ist sexy wie Brad, hat Locken wie Antonio, kann spielen wie George und singen - wie sonst keiner: Wenn der Münchner Jonas Kaufmann den Mund aufmacht, liegt ihm das Opernpublikum zu Füßen."

Diese Werbekampagne für den "größten Hoffnungsträger der deutschen Klassikszene" ist imposant, ob die Rechnung aufgeht für einen sympathisch-lockeren Sänger auf einem gnadenlosen Markt, der Tenöre schnell hochpuscht, aber auch verschleißt, wird sich zeigen. Rechnen kann Jonas Kaufmann jedenfalls gut, er studierte kurz Mathematik, weil der Vater, ein Jurist, das Singen als brotlose Kunst abstempelte und etwas Vernünftiges empfahl. Doch zog er schnell den Schlussstrich, weil ihm die Naturwissenschaft zu theoretisch war.

Der Großvater finanzierte Gesangsstunden, dann besuchte Jonas Kaufmann die Münchner Musikhochschule, machte anständig 1994 das Examen, ging, wie es üblich ist, in die Provinz, ans Saarbrücker Staatstheater. Die Karriere war bescheiden vorgezeichnet.

Doch erst musste er zu seiner Stimme finden, er war sozusagen falsch gepolt. Als leichter deutscher Spieltenor sollte er Zukunft haben. Ein Irrtum. "Wenn ich mal zu laut gesungen habe, wurde ich gleich wieder in die Schranken verwiesen, musste immer nur säuseln." Er verkrampfte - bis ein neuer Lehrer ihm riet, einfach mal richtig den Mund aufzumachen. Sowieso kann ein Anfänger leicht in die Mühlen des Repertoirebetriebs geraten. "Wenn man sich zum stimmlichen Krüppel gemacht hat, dann kommt eben der nächste, das dankt einem keiner", erzählte er der "Opernwelt".

Kaufmann tourte anschließend freischaffend, in Deutschland interessierte sich kaum jemand für ihn. Alexander Pereira aber entdeckte ihn für das Zürcher Opernhaus, wo er seit 2001 Ensemblemitglied ist und sich Partien aussuchen, sich austesten kann. Tamino in der "Zauberflöte", Florestan im "Fidelio", der Herzog im "Rigoletto", selbst die Titelpartie im "Parsifal", demnächst Don José in "Carmen" - eine faszinierende Bandbreite.

Aber Wagner ist für Kaufmann "die Königsdisziplin", er träumt vom Tristan. Wagner-Tenöre mit italienischem Schmelz in der Stimme, die auch noch gut aussehen - beim Wotan, danach sehnen sich die Opernfans! Doch Kaufmann kalkuliert genau seine Kräfte, geht vorsichtig das Ziel an, ist zunächst mal als Lohengrin für München 2009 gebucht. Und wenn er dann mal eines Tages im Bayreuther Festspielhaus singt, im Allerheiligsten der Wagnerianer, gäbe das auch wieder eine Menge Punkte für die fiktive Weltrangliste der Tenöre.






 
 
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