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Spiegel, 14.1.2008 |
MORITZ VON USLAR |
Sehnsucht nach Italien
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Der Münchner Jonas Kaufmann soll die große
deutsche Gesangskultur der fünfziger Jahre wieder aufleben lassen.
Seine CD mit Opernarien zeigt, dass er die Aufregung wert ist. |
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Es
geschieht zur Pause einer schönen, nicht weiter aufregenden „La
Bohème“-Aufführung im Opernhaus Zürich: Die Dame im klassischen
Opernliebhaberinnenalter von 49 Jahren erhebt ihr Glas und gibt im Kreis
ihrer Freundinnen die Kunstkennerin: „Die Mimì ist noch nicht warm, aber
der Kaufmann...“
Statt weiterzusprechen, setzt die Dame eine Pause und schüttelt den Kopf
mit verzückt zusammengezogenen Augenbrauen, und ihre Freundinnen
verstehen: Dieser Jonas Kaufmann, Tenor am Opernhaus Zürich, singt nicht
nur mit wunderbar weicher, warmer, männlicher Stimme, er sieht auch noch
verdammt gut aus.
Vielleicht macht das den Unterschied zwischen dem guten und dem grandiosen
Tenor: In Letzteren muss sich die kunstbeflissene Dame um die fünfzig ein
wenig verlieben dürfen, selbstverständlich ohne dass es weh tut, sonst
macht es keinen Spaß. Am Ende der Aufführung wird man das Ensemble mit
Applaus bedenken, dem Tenor aber echte Gefühle — Ergriffenheit und Liebe —
entgegenrufen.
Seit Jahren gilt es in der Klassikbranche als ausgemacht, dass der
gebürtige Münchner Jonas Kaufmann, 38, das Zeug dazu hat, im Kreis der
ganz Großen, also neben den Tenören Rolando Villazón, Juan Diego Flórez
und José Cura, mitzusingen.
Als deutsche Antwort auf die Vorherrschaft der südamerikanischen und
spanischen Tenöre möchte man ihn aufbauen. Und weil Kaufmann einen dunklen
Teint und schönen, dichten Dreitagebart vorweisen kann, liegt es nahe, ihn
als „Latin Lover deutscher Zunge“ zu vermarkten, als Tenor also, der
südländisch aussieht, feurig singen, aber praktischerweise eben auch
deutsche Interviews geben kann.
2008, so sieht das ein Pakt vor, den die Plattenfirma Decca, der
Konzertbetrieb, Kaufmanns Management und der Tenor selbst geschlossen
haben, soll das Jahr des Jonas Kaufmann werden — weshalb nun
hintereinanderweg heftig gefeuert wird:
Diese Woche erscheint Kaufmanns CD „Romantic Arias“. Mit Opernarien von
Puccini, Verdi, Bizet und Massenet und einem Schwarzweißcover, das den
Sänger im weichen Wohlfühlpulli mit Wohlfühllächeln zeigt, ist es ganz die
CD geworden, die sich gut in Stapeln neben Kaufhauskassen macht. Im
Februar gibt der Tenor Galakonzerte in München und Hamburg. Seit Anfang
dieser Woche ist Kaufmann außerdem in der Londoner Covent Garden Opera als
„Traviatas“ Alfredo und unglücklicher Liebhaber von Anna Netrebko zu sehen
— ein größerer Hit ist im Klassikbetrieb der großen Namen derzeit nicht zu
landen.
Flankiert wird dieses Programm, wie üblich, von internationalem
Pressegetrommel: Der „Guardian“ hält Kaufmann schon jetzt für den „wohl
besten Tenor der letzten Jahrhunderthälfte aus Deutschland“.
Bei allen berechtigten Zweifeln an den durchschaubaren Strategien der
Klassikindustrie: Was spricht dagegen, dass mit Jonas Kaufmann der
kommende Jahrhunderttenor, gar ein Erbe des vielbeschworenen deutschen
Tenors Fritz Wunderlich gerade seinen Aufbruch erlebt?
Angenehm nüchtern, gleichzeitig selbstbewusst klingt, was das Tenorwunder
selbst zu seiner Karriere und seinem Auftritt bei der Zürcher „Bohème“ zu
sagen hat.
Noch in der Garderobe ruft Kaufmann bei seiner Frau an, die Haus und drei
Kinder im heimischen München hütet, und klagt über eine leichte
Verkühlung: „Bisserl mühsam war‘s. Die Nase war zu.“ Das hohe C in der
Rodolfo-Arie ist ihm aber trotz Erkältung ohne Anstrengung gelungen?
Lachender Tenor: „Das nimmt man halt so mit.“ Kaufmann riskiert nun einen
noch vom Schwung der Aufführung getragenen Witz: „Der Rodolfo ist den
ganzen vierten Akt mit der todkranken Mimi zusammen. Aber husten darf der
nicht? Warum darf sich ein Tenor nicht erkälten?“
Die CD mit dem herrlich abgeschmackten Titel „Romantic Arias“: Bis auf die
Max-Arie aus dem „Freischütz“ befindet sich kein Stück darauf, das im
engeren Sinne zur Epoche der Romantik gehört, dafür umso mehr Arien, die
als romantisch im Sinne von gefühlsbetont oder „ans Gefühl gehend“
verstanden werden können.
Von Kaufmann als seine künstlerische Visitenkarte bezeichnet, stellt die
CD exakt jene Mischung dar, mit der ein aufstrebender Tenor zeigen kann,
was er draufhat — eine seriös und klug zusammengestellte Vorstellung:
Von der Rodolfo-Arie, mit der Kaufmann sich in den Vergleich zum
unvergessenen Pavarotti setzt, geht es über den mittleren Verdi
(„Traviata“) und den späten Verdi („Don Carlos“) über die deutsche
Spieloper (das unvermeidliche „Ach! so fromm“ aus „Martha“) ins
anspruchsvolle französische Fach (Massenet, Gounod, Berlioz) bis zum
Heldentenorfach (Preislied, Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“).
Mozart fehlt nur deshalb, weil er den Schwerpunkt der kommenden
Kaufmann-CD bilden soll.
Wer Kaufmann nicht kennt, braucht sich wirklich nur dieses Album
anzuhören, um eine Idee davon zu bekommen, was dieser Tenor können möchte,
was er tatsächlich kann und welche Schwächen ihm die Kritik in Zukunft
vorhalten könnte.
Das italienische Stimmfach bedient Kaufmann mit grandios glühendem,
manchmal fast zu heißem Schmelz. Manchmal will der Tenor schlicht mehr
Talent zeigen, als eine einzelne Arie vertragen kann. Wenn Kaufmann nicht
überzeugt (Max-Arie), dann liegt das auch am von der Decca gebuchten
Orchester (Prager Philharmonie Orchester unter Marco Armiliato), das —
unbegreiflich genug — oft schlaffer und uninspirierter aufspielt, als das
ein Schulorchester darf.
Kaufmann hängt am Selbstbild einer deutschen Tenorliga aus dem vergangenen
Jahrhundert: donnernde Namen wie Peter Anders, Rudolf Schock und Fritz
Wunderlich. Zum Selbstverständnis dieser Tenöre gehörte es, das
italienische sowie das deutsche Fach, den lyrischen wie den dramatischen
Tenor singen zu können — ein Anspruch, den Kaufmann mit seinen Vorbildern
teilt: „Ich habe nie verstanden, warum ich mich auf ein Fach beschränken
sollte, wenn ich auch mehrere Fächer — Mozart und Verdi und Wagner —
singen kann.“
Damals, in den fünfziger Jahren, dem goldenen Zeitalter der Tenöre, hatte
der große Giuseppe di Stefano seinen Kollegen Fritz Wunderlich einmal als
„einen von uns“, also als ebenbürtigen italienischen Heldentenor
bezeichnet. Wenn Kaufmann heute von Wunderlich und dessen Italiensehnsucht
schwärmt, sind das natürlich genau die Worte, die er auch gern über sich
selbst hören würde: „Man hat bei ihm immer das Gefühl, er legt in jeden
seiner Töne seine ganze Seele, sein tiefstes Inneres hinein. Ob Schmerz
oder Freude, es ist immer dieses Glühen da — als wäre es seine letzte
Chance, sich zu äußern. Küss mich, mein Liebling. Als wär‘s das letzte
Mal.“
Neben seiner Eloquenz (Kaufmann singt Deutsch, Italienisch, Französisch,
Spanisch und kann zudem auf Englisch und Schweizerdeutsch plaudern) hat
der Tenor natürlich längst eine Karriere vorzuweisen — gerade hängt sie an
einer interessanten Kippe zwischen Weltstar in Zürich und echtem Weltstar,
der sich seine Engagements an den großen Häusern aussuchen kann.
1969 in eine künstlerisch interessierte Familie hineingeboren (Mutter
Kindergärtnerin, Vater Jurist bei einer Versicherung) ‚ muss Kaufmann zu
einer musikalischen Karriere überredet werden. Bei seinem ersten
Engagement an der Oper in Saarbrücken (1994 bis 1996) erlebt er eine frühe
Krise und Läuterung: Gequält von Heiserkeit und anderen
Anstrengungs-Symptomen, lernt er, Aufführungen abzusagen und seine Stimme
zu schonen. Ein amerikanischer Lehrer bringt Kaufmann bei, statt einer
gewollten seine natürliche Stimme zu benutzen. Seither hat Kaufmanns
Stimme, obwohl als hoher Tenor eingestiegen, die charakteristische Wärme
und den dunklen Kern.
An der Oper Stuttgart engagiert, bekommt Kaufmann bald Einladungen an die
großen deutschen Bühnen und Häuser in Europa (Mailand, Zürich, Brüssel,
Salzburg), feiert 2001 mit dem Cassio („Otello“) sein Amerika-Debüt.
Allein in der vergangenen Spielzeit war Kaufmann in Zürich als Don Carlos
und Herzog von Mantua, als Stolzing beim Edinburgh Festival, als Tamino an
der New Yorker Met und als „Carmens“ Don José in der Covent Garden Opera
zu sehen.
Gefragt, ob Kaufmann dem Tamtam als angehender Startenor nicht auch mit
ein wenig Sorge entgegensehe, antwortet der Künstler mit schlecht
unterdrückter Genervtheit: „Wieso? Ich kenne das ja schon. Ich singe doch
längst an allen großen Häusern.“
An der Mailänder Scala gebe er seit Jahren die italienischen Partien, in
Paris das französische Fach — in Deutschland habe man sich zwar immer um
ihn bemüht, aber eben erst spät gemerkt, was man an ihm habe. Es ist dem
Tenor eine verständliche Irritation, gar eine Verletztheit darüber
anzumerken, dass es nicht München oder Wien, sondern Paris, London und New
York waren, die ihm die Bühne für seine ersten großen Erfolge geöffnet
haben. Immerhin, an der Münchner Staatsoper soll es ab 2009 jedes Jahr
eine Neuproduktion und Wiederaufnahme mit seiner Beteiligung geben.
Man kann sich bei Kaufmann durchaus auch Hoffnung auf einen kommenden
Wagner-Tenor machen: Den Parsifal hat er an einem erstaunlich frühen
Zeitpunkt seiner Karriere, 2006 in Zürich, gesungen. Ohrenzeugen berichten
von einem beglückend leichten und lyrischen Wagner-Ton, der an die
kantablen Heldentenöre der zwanziger und dreißiger Jahre erinnere. 2009
wird Kaufmann sein Debüt als Lohengrin an der Münchner Staatsoper geben,
2011 ist er als Siegmund an der Met in New York gebucht.
Und noch eine schöne Szene: Als der Tenor das Opernhaus Zürich durch den
Bühneneingang verlässt, passt ihn eine sehr alte, sehr elegante Dame ab.
Sie sei 95, habe kaum eine der Vorstellungen mit ihrem Idol verpasst. Ob
er sie für ein Foto in den Arm nehmen könne, aber bitte wie die Mimi,
Rodolfos unsterbliche Geliebte aus „La Bohème“. Gern, sagt Kaufmann,
rüstiger als die Mimi sei die alte Dame ja sowieso. Und er hält sie fest.
So sieht im Sängergewerbe also eine strahlende Zukunft aus. MORITZ VON
USLAR |
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