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Zürcher Oberland online, April
2007 |
von Tobias Gerosa |
Was heisst da schon «Startenor»?
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Opernhaus: Jonas Kaufmann singt Schuberts
«Winterreise» - ein Porträt |
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Seit 2001 gehört Jonas Kaufmann dem Ensemble
des Opernhauses Zürich an. Aber auch andernorts ist der Tenor mittlerweile
begehrt, von der Mailänder Scala bis zur New Yorker Metropolitan Opera.
«Du bist aber früh da heute!» Wenn Jonas Kaufmann anderthalb Stunden vor der
Vorstellung in der Kantine des Opernhauses auftaucht, wundern sich
Kolleginnen: «Letzte Woche kamst du doch erst zehn Minuten vor Beginn.» Das
sei allerdings ein Versehen gewesen, erklärt der 38-jährige deutsche Tenor,
schliesslich müssten auch die Solisten spätestens eine halbe Stunde vor der
Vorstellung eingetroffen sein. Wenn keine aufwändige Maske nötig ist, reicht
ihm das locker. Anderthalb Stunden vor dem ersten Ton bringt er auch noch
ein offenes Interview unter, ohne dass sich irgendwelche Nervosität oder
Stress zeigt. «Zwei Stunden vor der Vorstellung die Stimme einzustellen ist
eh zu spät! Und aufwärmen kann ich die Stimme ein paar Minuten vor der
Vorstellung und bei der Anfahrt im Auto.» In Zürich geht das leicht, weil
Kaufmann, seit er im Zürcher Ensemble ist, mit seiner Familie auch hier
wohnt.
Festes Einkommen garantiert
Was heisst das eigentlich, Ensemblemitglied zu sein? «Ich habe einen
Arbeitsvertrag, der mir einen Monatslohn garantiert und mich dafür
verpflichtet, in einer Saison eine bestimmte Anzahl Vorstellungen zu singen.
Dem Haus und dem Publikum gibt das eine gewisse Kontinuität, mir als Sänger
auch eine gewisse Sicherheit: Falls ich zum Beispiel aus gesundheitlichen
Gründen nicht singen könnte, hätte ich als Freiberufler sofort kein
Einkommen mehr.»
Zurzeit ist Kaufmann weltweit an den wichtigsten Opernhäusern gefragt, sein
sehr spezifisches, etwas verhangen-dunkles Timbre nützt ihm dabei ebenso wie
sein gutes Aussehen. Eben sang er in New York in Verdis «Traviata», im Juli
folgt dieselbe Partie in der Mailänder Scala. Dazwischen singt er den
Alfredo auch wieder in Zürich und im Juni in einer Neuproduktion an der
Opéra de Paris, auf die er sich besonders freut. «Ich bin sehr gespannt, mit
Christoph Marthaler zu arbeiten. Was ich bisher von ihm sah, hat mir
gefallen. Manchmal ist es zwar durchaus angenehm, in einer Inszenierung auch
einfach stehen und singen zu können, gerade in einer neuen Rolle. Hier wird
damit sicher nichts - und darum gehts doch in der Oper eigentlich, um ein
Team, nicht nur darum, seine Stimme auszustellen.» Darum habe er auch den
Bayreuther Festspielen schon zweimal abgesagt, weil man ihm dort nicht sagen
wollte, mit wem er denn zusammenarbeiten würde.
Einmal pro Saison ein Held
Unterdessen sieht es aus, als verlasse Kaufmann die lyrischen Mozart-Rollen
und gehe mit grossen Schritten in Richtung des italienischen wie deutschen
heldischen Faches. Er widerspricht: «Ich mache eine sogenannt heldische
Produktion pro Saison und versuche sonst, meine Stimme auch beweglich zu
halten. Wichtig wird mir immer mehr auch das französische Repertoire.» Auch
in Zürich wird man ihn weiterhin in ganzer Breite erleben können.
Doch zuerst steht am 30. April mit seinem Liederabend der letzte Zürcher
Auftritt der laufenden Saison an. Am nächsten Montag ist der Tenor Jonas
Kaufmann im Opernhaus für einmal nicht als Tamino, Don Carlo oder Florestan,
sondern als Liedsänger mit Schuberts «Winterreise» zu erleben. «Nach der
‹Schönen Müllerin› letztes Jahr wollte man nun diesen Zyklus von mir.» Seine
Müllerin überzeugte durch eine dramatische, trotzige und mitgehende
Interpretation. «Der scheinbar objektive Standpunkt liegt mir nicht - ich
finde ihn auch nicht passend. Mit meinem Begleiter Helmut Deutsch suchen wir
bewusst einen anderen Weg - einen, der auch nicht immer im Piano
steckenbleiben muss.»
Und was sagt Kaufmann zur Ankündigung im Opernhaus-Magazin, das ihn als
«Startenor» und mit soften Bildern anpreist? «Was heisst schon Startenor?
Ich bemühe mich. Kollegen mit lateinischen Namen haben es vielleicht am
Anfang etwas leichter - man glaubt, ein Südamerikaner habe Verdi mit der
Muttermilch eingesogen. Meine Karriere läuft im Moment sehr gut. Da bin ich
froh und auch zufrieden. Ebenso aber auch darüber, dass ich noch ohne
grossen Rummel leben kann.»
© «Der Zürcher Oberländer» / «Anzeiger von Uster» |
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