WAZ, 21.02.2014
Monika Willer
 
Startenor Jonas Kaufmann begeistert mit Schubert-CD "Die Winterreise"
Startenor Jonas Kaufmann hat als Interpret von Schuberts berühmtem Liedzyklus „Die Winterreise“ Gewichtiges zu sagen. Auf seiner jüngst veröffentlichten CD zeigt Kaufmann, wie vielseitig seine Stimme ist.
 
Jonas Kaufmann ist der Opern-Spezialist für die gefährlichen Helden des Verdi- und Wagnerfaches. Doch der Startenor tritt seit langem auch als leidenschaftlicher Liedsänger hervor. Jetzt hat er zusammen mit dem Pianisten Helmut Deutsch den berühmtesten und anspruchsvollsten Zyklus der Musikgeschichte aufgenommen: Franz Schuberts „Winterreise“.

Natürlich gibt es sofort Diskussionen, ob eine derart präsente Stimme wie die von Kaufmann zu der zarten Grundhaltung und der distanzierten Spannung passt, die man von Referenz-Einspielungen des Werkes kennt.

Unergründlicher Seelenkosmos

Doch jeder Interpret hat das Recht, Schuberts unergründlichen Seelenkosmos aus 24 Liedern nach Gedichten von Wilhelm Müller auf der Suche nach seiner eigenen Wahrheit zu durchmessen. Und tatsächlich haben Jonas Kaufmann und Helmut Deutsch Gewichtiges zu sagen. Sänger und Pianist agieren in der „Winterreise“ als Partner auf Augenhöhe, geben einander bemerkenswerte musikalische Impulse. Das geht soweit, dass die Singstimme mitunter den Charakter einer instrumentalen Farbe annimmt und hinter das Klavier zurücktritt.

Jonas Kaufmanns baritonal timbrierter Tenor verfügt über einen enormen Ambitus vom Bassgrollen bis zum Hochtonakzent. Genau deswegen vielleicht kann er die Geschichte anders erzählen als seine Vorgänger: Ein junger Mann wird von seinem Mädchen verlassen und macht sich voller Todessehnsucht zu einer Winterwanderung auf, bei der Schubert die Natur zum Spiegel seelischer Abgründe werden lässt.

Kaufmanns Wanderer ergibt sich allerdings nicht in sein Schicksal: Er kämpft, wird wütend, mitunter sogar zynisch, er bewahrt sich das glühende Herz, das der erstarrten Natur um ihn herum zum Trotz nicht vereisen will. Entsprechend erweist sich das Schlusslied, „Der Leiermann“, das häufig zum Gleichnis für den Tod gemacht wird, nicht als Zielpunkt der Interpretation. Kaufmann sucht eher nach den Prozessen der Verstörung als nach Selbstmordabsichten. Seine Wahrheit erschließt sich am überzeugendsten in Stücken wie „Irrlicht“, das er und Helmut Deutsch mit impressionistischen Farbklängen anlegen.

Grundpuls des Schreitens

Schubert hat in der „Winterreise“ gleich zu Beginn ein Tenorhandicap eingebaut. „Fremd bin ich eingezogen“ beginnt auf dem „Fremd“ mit einem bösen Hochtonakzent. Und in diesem ersten Lied hat Kaufmann tatsächlich zu kämpfen, denn es gelingt ihm hörbar schwer, die Spannung des Spitzentons aufzugeben, um die anschließenden lyrischen Stellen wie „Das Mädchen sprach von Liebe“ angemessen weich auszusingen.

Auch die Gestaltung der musikalischen Zeit befremdet. Denn den Grundpuls des Schreitens, der den ganzen Zyklus zusammenhält, verlassen Kaufmann und Deutsch gerne, um mit opernhaften Rubati und teilweise extrem gedehnten Tempi ebenso extreme Seelenzustände auszudrücken. Trotzdem ist die Aufnahme ein Gewinn, weil es gerade im Detail viel zu entdecken gibt. In „Das Wirtshaus“ zum Beispiel verirrt sich der Wanderer auf einen Friedhof. Helmut Deutsch lässt die letzten Klavier-Akkorde wie einen Kirchenchoral erklingen. Das ist nicht tödlich, sondern tröstlich.







 
 
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