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Abendzeitung, 11.10.2019 |
Michael Bastian Weiß, Robert Braunmüller |
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Eine Kontroverse über "Wien" von Jonas Kaufmann
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Pro:
Auf seiner neuen CD „Wien“ singt Jonas Kaufmann Lieder der
Operettenhauptstadt in kunstvoller Leichtigkeit und ohne Schmalz
Auf der Internetseite eines bekannten Versandhändlers wird die
Verdi-Platte von Jonas Kaufmann mit 31 Kundenrezensionen bewertet, seine
CD mit italienischen Schlagern mit 60, die mit deutschen Evergreens
hingegen mit 87. Die unterschiedliche Breitenwirkung wird gut sichtbar,
man könnte auch sagen: „Die Blume von Hawaii“ schlägt „Rigoletto“.
Kaufmanns aktuelles Album „Wien“ wird samt der zugehörigen Tournee
vermutlich wieder eine eher populäre Angelegenheit werden. Wenn man die
eindeutige Verkaufsstrategie durch die Firma und die stylische äußere
Aufmachung jedoch einmal ausblendet und nur zuhört, könnte man nicht
wenig überrascht sein, dass das letztlich doch eine erfreulich seriöse
Angelegenheit geworden ist.
Man darf dabei nicht vergessen, dass
sich der gerade 50 gewordene Kaufmann auf dem Zenit seiner tenoralen
Kunst befindet. Hauptberuflich singt er schwere Opern-Partien etwa von
Giuseppe Verdi und Richard Wagner, für die er sowohl die Technik als
auch die Kraft zur Verfügung hat. Er kann es sich schlicht leisten,
Operettenlieder und Schlager zum Ausgleich zu trällern, nicht, weil er
sonst nichts anderes mehr singen kann.
Mehr Rudolf Schock als
Nicolai Gedda Die Arien aus „Eine Nacht in Venedig“ von Johann Strauß
Sohn muss man raffiniert phrasieren und dabei die vertrackte deutsche
Sprache zum Schweben bringen. Kaufmann bildet geschmeidige Melodielinien
und geht in den Duetten aus der „Fledermaus“ und „Wiener Blut“ wirklich
auf seine Partnerin Rachel Willis-Sørensen ein.
Dass die meisten
der Lieder und Schlager sich in einer kommoden Mittellage bewegen,
dürfte Kaufmann, der auch als Bariton auftritt und sich klugerweise in
der Höhe nie überanstrengt, entgegenkommen: Mit seinem weichen Timbre
hat er mehr von einem Rudolf Schock als von einem Nicolai Gedda mit
seiner hellen Beweglichkeit, wenn er „Im Prater blühn wieder die Bäume“
von Robert Stolz anstimmt.
Dazu kommt eine angenehme
Zurückhaltung in der Charme-Offensive: Ein Ausbund an Lieblichkeit wie
einst Anneliese Rothenberger ist Kaufmann nicht. Bleibt die Frage des
Akzents, den Kaufmann auch in einem Heurigenlied wie „Ich muss wieder
einmal in Grinzing sein“ von Ralph Benatzky nicht übertreibt. Das
Süddeutsche geht dem gebürtigen Münchner ohnehin ohne Verstellung über
die Lippen.
Wenn diese Platte auch den etwas verwöhnteren Hörer
zu befriedigen vermag, dann deshalb, weil nicht irgendein namenloses
Studioorchester begleitet wie bei anderen Produktionen – sondern sage
und schreibe die Wiener Philharmoniker unter dem Meister des
schlafwandlerisch sicheren Rubatos, Adam Fischer. In der Einleitung zum
Walzerlied „Lippen schweigen“ von Franz Lehár wird etwa feinsinnigste
Kammermusik gemacht, der Tuttiklang ist luxuriös, die instrumentale
Ebene stets absolut selbständig. So weiß man nicht, ob man zuerst auf
die Stimme oder den melodiösen Schmelz der Lieder selbst oder nicht doch
auf die kostbare Einkleidung durch das Orchester hören möchte – und kann
den hörenden Blick genussvoll hin- und her schweifen lassen.
Contra: Jonas Kaufmann verfehlt auf seiner neuen CD den
raffinierten Tonfall der Wiener Operette
Muss ein Sänger
alles können? Jonas Kaufmann ist mit seiner schweren, dunklen Stimme bei
deutscher (Spät-) Romantik eine Kapazität. Im Unterschied zu fast allen
anderen gegenwärtigen Wagner-Interpreten singt er auch Verdi und Puccini
so, dass man ihm gerne zuhört. Und als Werther oder Des Grieux machte er
deutlich, dass Massenet nicht mit Mascagni verwechselt werden sollte.
Nur bei Operette hapert es. Auf seiner neuen CD mit Liedern aus und
über Wien unterliegt der Sänger dem verbreiteten Missverständnis, die
heitere Muse müsse zur Oper veredelt werden. Kaufmann müht sich zwar bei
Nummern von Robert Stolz, Emmerich Kálmán, Johann Strauss und anderen um
Leichtigkeit. Aber nicht nur am Ende von „Im Prater blühn wieder die
Bäume“ geht dann der Tenor mit ihm durch, als handle es sich darum, den
Schluss von „Nessun dorma“ aus „Turandot“ zu singen.
Nicht leicht
genug Das macht Effekt. Aber ist das wirklich Operette? Den
süffisanten, raffinierten, ironischen Tonfall, der in historischen
Aufnahmen von Fritzi Massary nachgehört werden kann und der in der
Gegenwart in Berlin an Barrie Koskys Komischer Oper gepflegt wird,
beherrscht Kaufmann nicht. Es würde auch nicht zu seiner Stimme passen.
So interpretiert er die Musik im biederen Rudolf-Schock-Stil der
Nachkriegszeit, der feineren Geistern den Spaß an der Operette
ausgetrieben hat. Und Georg Kreislers zwielichtiges „Der Tod, das muss
ein Wiener sein“ liegt ihm überhaupt nicht.
Noch opernhafter
agiert Rachel Willis-Sørensen. Sie verwechselt die Gräfin aus „Wiener
Blut“ mit der Gräfin aus „Figaros Hochzeit“. Das Uhren-Duett aus der
„Fledermaus“ ist so steril wie jede Operetten-Aufführung mit
Opernsängern.
Sagen wir es so: Wer Spaß an Christian Thielemanns
Silvesterkonzerten mit Musik von Lehár, Kálmán und Strauss aus der
Dresdner Semperoper hat, dem wird auch Jonas Kaufmanns neue Platte
gefallen. Sie ähnelt Plácido Domingos Hommage „Wien, du Stadt meiner
Träume“ aus dem Jahr 1986. Nur leider ist sie längst nicht unfreiwillig
komisch, sondern von einer geradezu tödlichen Ernsthaftigkeit.
Das spricht zwar für Kaufmann, aber gegen diese CD. Der Rezensent legt
sie hiermit zur Seite und freut sich auf die kommende Premiere im
Nationaltheater. Da singt Kaufmann den Paul in Erich Wolfgang Korngolds
„Die tote Stadt“. Solche Psychogramme schwieriger Charaktere liegen ihm
einfach mehr. Ans Leichte hängt er dafür den Bleifuß.. Aber niemand muss
alles können.
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