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Wiener Zeitung, 14.10.2019 |
Christoph Irrgeher |
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Jonas Kaufmann: Wien, Hauptstadt der Musi und Gspusi
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Der
Tenor-Star verneigt sich mit viel Schmelz, aber auch Schmalz vor der
Donaumetropole.
Was man von Wien hält, ist auch eine
Frage des Musikgeschmacks. Es sind viele Lieder über diese Stadt
geschrieben worden, und nicht alle sind ihr wohlgesinnt.
Wien -
das ist die Metropole der Tschecheranten, der Schmähführer und der
Mördergrubenherzen, eine Art Untotenreich im Gefolge des Kaiserstaats.
Helmut Qualtinger und Georg Kreisler haben dieses Stadtbild befördert,
auch diverse Popsongs.
Wer sich die Stadt nicht madig machen
lassen will, greift lieber zu Operetten und betagten Schlagern: Da ist
Wien noch ein Wimmelbild aus Walzer, Weinseligkeit und Weiblichkeit. Ein
Ort, an dem sich Musi auf Gspusi reimt und wo eine bekannte Grünfläche
nicht nur Bäume birgt, sondern auch glühende Herzen. "Jeder freut sich
schon, / dass es bald finster wird, / um im Prater dann verliebt zu
wandern", heißt es in einem Robert-Stolz-Lied von 1915. Wirkt heute
etwas aus der Zeit gefallen.
Jonas Kaufmann, Super-Star unter den
Tenören, eröffnet sein "Wien"-Album nun genau mit dieser Ballade. "Wien
wird bei Nacht erst schön" heißt sie und klappert die Stadtklischees so
penibel ab wie ein Touristenführer seine gewohnte Route: Da ist von
Frauen und Rodaun die Rede, von Geigen und Schweigen, von Flieder und
Liedern. Dieser Kandisin-Kurs setzt sich dann auch in weiterer Folge
fort, mit Operettenarien und Schlagerhadern vom "Wiener Blut" bis zum
Abschied mit einem "leisen Servus". Würde in diesem Klischee-Kosmos noch
ein Lipizzaner mit Mozartperücke auftauchen, es wäre kein Wunder.
Andererseits: Die Klangkultur dieses Albums sucht ihresgleichen.
Allein die Stimme: Schon 2014, mit dem Schlageralbum "Du bist die Welt
für mich" (Sony Classical), hat Kaufmann seine sinnliche Befähigung
jenseits der Opernwelt bewiesen. Der Sänger dünnt seine Tenorfülle dann
gern zu einem Honigsäuseln aus, nimmt mittellaute Töne ohne
Theaterdonner und spart sich den brustsatten Bravourklang für den
Schluss auf: Herzensbrecherkünste, die ihn nah heranrücken an die
amerikanischen Crooner.
Beim Wien-Album begeistert außerdem die
Aussprache. Kaufmann gehen nicht nur Vokabeln wie Mitzi und Massé-Stoß
locker über die Lippen. Die Altwiener Färbung, die er dem Zwielaut "ei"
verpasst, ist eine Wohltat (zumal in Zeiten, da der Wiener Nachwuchs
mehr oder minder geschlossen zu einem RTL-Deutsch überläuft). Auch die
Begleitmusiker treffen den Tonfall. Während Kaufmann sein Album am
Montag live mit der "Prague Philharmonia" im Wiener Konzerthaus
vorstellte, haben ihn auf der CD die Wiener Philharmoniker begleitet,
also die Großmeister des verschlapften 3/4-Takts, und sie entfalten
unter der Leitung von Adam Fischer eine zartschmelzende, delikate Süße
vom Rang eines Ildefonso-Konfekts. Schön auch: Am Ende setzt es zwei
Stücke abseits der üblichen Touristenroute, nämlich Hermann Leopoldis
"Kleines Café in Hernals" und, tatsächlich, Georg Kreislers bitterböses
"Der Tod muss ein Wiener sein". Kurz gesagt: Kaufmanns Hommage
versammelt zwar einiges an Talmi, adelt es aber durch künstlerische
Größe. Womit dieses "Wien"-Album eigentlich gar nicht so falsch liegt. |
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