Spiegel online
Von Werner Theurich
 
Gergiev und Wagner: Reitet 'ne Walküre auf der Newa

Heulende Winde, drohendes Schicksal und drängende Gefühle: Kraftvoll und plakativ beginnt Valery Gergiev, designierter Chef der Münchner Philharmoniker, seine neue "Walküre" - als präsentierte er ein Stück Filmmusik. Mit äußerster Klarheit führt er die Streicher seines St. Petersburger Mariinsky Orchesters durch den Vorspiel-Ritt am ersten Tag vom "Ring des Nibelungen". Mit ebensolcher Transparenz wird Gergiev später den Sauseflug der Walküren präsentieren. Als hätte er sich vorgenommen, zum Wagner-Jahr einen russisch-winterlich-kühlen Wagner zu entdecken. Mit Jonas Kaufmann hat er dabei einen Siegmund, der für die nötige Erdung in Sachen deutschen Wagner-Feelings bürgt.

Blitzende Höhen und höllische Tempi

Ansonsten kümmert sich der selbstbewusste Gergiev wenig um Konventionen. Seine "Ring"-Vision brilliert mit Effekten, dynamischen Wechselbädern und knalligen Pointen, wie sie dem renommierten Petersburger Orchester offenbar bestens liegen. Vielleicht auch eine Eigenart der Stadt: Wer sich zum Vergleich historische Wagner-Aufnahmen der Leningrader Philharmoniker unter dem legendären Pultfürsten Evgeny Mrawinsky anhört, bekommt eine vergleichbar heftige Dröhnung mit blitzenden Höhen und höllischen Tempi. Deren "Walkürenritt" fegt noch heftiger los als bei Gergiev - wie ein Puschkin-Schneesturm, wobei manche Note einfach verweht. Da geht Gergiev trotz aller Kraftmeierei ein paar Takte subtiler zu Werke.

Jonas Kaufmanns gemessener Siegmund dient als idealer Ausgleich: Seine immer noch leicht manieriert rollende Diktion bringt eine würdevoll historische Note ins Spiel, die sich mit dem auftrumpfenden Sopran von Anja Kampes Sieglinde verbindet. Ein sexy Paar, das sich vom dämonisch drohenden Mikhail Petrenko (Hunding) nicht einschüchtern lässt. Und auf René Pape als traurigem Gott Wotan ist generell Verlass; vor allem, als er bewegend von seiner Lieblingsstreiterin Brünnhilde Abschied nehmen muss. Nina Stemme gibt eine kraftvolle Schmerzenswalküre, stellenweise ein wenig spröde, aber stets berührend und dramatisch. Das Feuer rund um das Gefängnis, in dem sie ihre Verbannung antritt, lodert am Ende musikalisch hell und elegant, Ausdruck vollkommener Harmonie zwischen Stimmen und Orchester. Auch der Tatsache geschuldet, dass dies eine Studio-/Konzertsaal-Produktion ist und kein Live-Mitschnitt.

Vom russischen Fach zu Brahms und Mahler

Valery Gergiev, 1953 in Moskau geboren, gewann nach seiner Dirigenten-Ausbildung in Petersburg schon mit 23 Jahren den Karajan-Wettbewerb in Berlin. Seit 1996 leitet er das Mariinsky Theater (ehemals Kirov-Theater) in St. Petersburg. Naturgemäß bildete zunächst das russische Fach einen Schwerpunkt seines Schaffens, aber längst gehören auch Strauss, Verdi, Wagner oder Débussy zu seinem Repertoire. Dies umfasst freilich mehr als nur die Oper: Mit dem jungen Geiger Nikolaj Znaider und den Wiener Philharmonikern nahm Gergiev die Violinkonzerte von Korngold und Brahms auf, dazu Werke von Strawinsky, die kompletten Mahler-Symphonien (mit dem London Symphony Orchestra) - die späte Romantik und das frühe 20. Jahrhundert gelangen unter seinen Händen überzeugend und aufregend.

Muss auch sein, denn sein 2015 beginnendes Engagement in München wird er nicht allein mit seinen Hausgöttern Schostakowitsch, Tschaikowski und Prokofjew bestreiten können. Da kann Wagner im Jubiläumsjahr eine goldene Brücke sein, denn ohne eine profunde Auseinandersetzung vor allem mit Bruckner wird es an der Isar kaum zufriedene Gesichter geben. Aber Gergiev, dem neben seinem musikalischen Genie auch kommunikative Kompetenz und uneitle Überzeugungskraft nachgesagt werden, gelang es mit seinen Münchner Schostakowitsch-Dirigaten schon, Vorfreude zu wecken. Und eine so modisch-frische "Walküre" kann diese bestens bestätigen.






 
 
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