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Die Welt am Sonntag, 20.01.13 |
Von Lucas Wiegelmann |
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Es kann nur einen geben |
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Jonas
Kaufmann und Klaus Florian Vogt sind zurzeit die gefragtesten Heldentenöre
der Welt. Jetzt veröffentlichen beide Solo-Alben mit Wagner-Arien. Ein
Kräftemessen
Zwei Deutsche dominieren das internationale Feld der
Wagner-Tenöre: Klaus Florian Vogt, geboren 1970, der aktuelle Bayreuther
Lohengrin, und Jonas Kaufmann, geboren 1969, der neue Parsifal der New
Yorker Met. Im Wagner-Jahr wagen beide nun einen Zweikampf um die Krone und
bringen in diesen Tagen neue Solo-CDs heraus: mit gleichem Albumtitel
(schlicht und einfach: "Wagner") und teilweise denselben Arien. Das fordert
zu einem Vergleich in sechs Kategorien heraus.
1. Aussehen
Entgegen allgemeinen Vorurteilen müssen die Helden in Wagners Werken
nicht unbedingt blond sein. Von Siegfried heißt es bei seinem ersten
Auftritt in der Regieanweisung lediglich, er sei "in wilder Waldkleidung"
und komme "mit jähem Ungestüm aus dem Walde herein". Von solcher Dramatik
weiß die äußere Gestaltung von Jonas Kaufmanns CD nichts. Auf Vorder- und
Rückseite ist nur sein ernstes Gesicht zu sehen, in weißlichem Licht. Das
lässt kaum an Abenteuer denken, eher an Gerichtsmedizin, zumal Kaufmann auf
der Rückseite mit geschlossenen Augen abgebildet ist. Noch langweiliger sähe
das Cover nur aus, wenn man es ganz leer gelassen hätte. Im Vergleich dazu
atmen die Fotos von Klaus Florian Vogt geradezu verschwenderische Opulenz,
weil sie an zwei verschiedenen Orten entstanden sind: Vogt auf den mächtigen
Wurzeln eines Baums im Wald, Vogt am Ufer eines Sees in der Dämmerung.
Stimmungsvolle Bilder mit klarem Bezug zur "Wald"-Motivik im
"Siegfried"-Textbuch. Vorteil Vogt.
2. Frühere Aufnahmen
Gemessen an Einspielungen ist Jonas Kaufmann bisher der gefragtere Star,
auch der vielseitigere. Er ist nicht nur auf der neuen DVD-Edition des
spektakulären "Ring des Nibelungen" der New Yorker Met vertreten (als
Siegmund). Es gibt auch DVDs von ihm mit Puccini, Humperdinck, Cilea,
Massenet oder Bizet. Die neue Wagner-CD ist bereits sein sechstes Soloalbum.
Von Klaus Florian Vogt ist bisher lediglich eine Solo-CD erschienen
("Helden" mit Arien von Mozart, Lortzing, Wagner und Korngold). Außerdem ist
er unter anderem auf Gesamtaufnahmen von "Lohengrin" und "Parsifal" sowie
auf der "Lohengrin"-DVD der Bayreuther Festspiele zu hören. Vorteil
Kaufmann.
3. Stückauswahl
Beide scheinen sich
für ihre neuen Wagner-Alben um eine möglichst große Bandbreite bemüht zu
haben. Sie singen sowohl Stücke für sogenannten "jugendlichen Heldentenor"
(zum Beispiel Lohengrin, Stolzing, Parsifal) als auch Heldenpartien für
schwerere Stimmen (Siegmund, Tristan, Tannhäuser). Drei Nummern ("Am stillen
Herd in Winterszeit", "Ein Schwert verhieß mir der Vater" und "Allmächt'ger
Vater, blick herab!") haben beide auf ihrer Tracklist. Die meisten Klassiker
bietet Klaus Florian Vogt, unter anderem mit den beiden Parsifal-Monologen
"Amfortas, die Wunde!" und "Nur eine Waffe taugt" sowie dem
"Tristan"-Liebesduett "O sink hernieder, Nacht der Liebe" (gemeinsam mit der
Sopranistin Camilla Nylund). Die Parsifal-Stücke hatte Jonas Kaufmann aber
schon auf seiner alten Platte "Sehnsucht". Dafür ergänzt er seine Auswahl an
Wagner-Hits jetzt mit den Wesendonck-Liedern (Orchesterfassung) und einer
Rarität: Er singt die Gralserzählung aus dem "Lohengrin" ("In fernem Land,
unnahbar euren Schritten ..."), und zwar in der längeren Ursprungsfassung,
also mit zwei Strophen. Die zweite Strophe wird sonst fast immer
weggelassen. Für Fans, die eh schon die Wagner-Standards im Regal haben,
lohnt sich die Kaufmann-CD eher. Den besseren Querschnitt für
Wagner-Einsteiger bietet Vogt. Unentschieden.
4. Bayreuther
Stallgeruch
Vogt ist bisher der Bayreuth-Tenor der
Katharina-Wagner-Ära schlechthin. Seit 2007 gab es keine Saison, in der er
nicht eine große Partie auf dem Hügel gesungen hätte, erst den Walther von
Stolzing in Katharina Wagners "Meistersinger"-Inszenierung, danach den
Lohengrin. Wenn der Künstler Jonathan Meese 2016 den neuen Bayreuther
"Parsifal" inszeniert, wird Vogt auch dort die Hauptrolle übernehmen. Jonas
Kaufmann dagegen war bisher nur 2010 auf dem Hügel zu Gast, als Lohengrin.
Vorteil Vogt.
5. "Wälse"-Ruf
Eine der
wichtigsten Angeberstellen für Heldentenöre ist Siegmunds Monolog im ersten
Akt der "Walküre". Der flüchtige Krieger ist ohne Waffen in das Haus seines
Feindes Hunding geraten. Ihm wird eine friedliche Übernachtung gewährt, am
nächsten Morgen aber soll er sich Hunding stellen. Als Siegmund allein ist,
ruft er vor lauter Verzweiflung zweimal den Namen seines verschollenen
Vaters Wälse (hinter diesem Decknamen verbirgt sich eigentlich der Gott
Wotan, aber das ahnt Siegmund nicht). Irgendwie ist mit der Zeit ein
inoffizieller Wettbewerb entstanden, welcher Sänger diese beiden
"Wälse"-Rufe besonders lange aushalten kann. Als Rekordhalter gilt allgemein
der dänische Tenor Lauritz Melchior, der in den Dreißiger- und
Vierzigerjahren unerklärliche Werte von 16 bis 17 Sekunden Tondauer
erreichte (auf YouTube zu hören).
Natürlich sind Längenvergleiche
albern. Kindisch. Wer Bestzeiten interessant findet, soll den Sportteil
lesen. Und überhaupt: Kraftmeierei gilt in gehobenen Opernkreisen als
gestrig, abgeschmackt. Sollten wir das alte Wagner-Ideal nicht endlich
überwinden? Müsste man nicht mehr über eine neue Sanglichkeit reden, über
lyrische Eleganz statt über Ausdauer? Ja, müsste man wahrscheinlich.
"Aber ich kann länger als Sie", sagt Dr. Kloebner, einer der beiden Herren
im Bad von Loriot (der großer Wagner-Fan war). Dr. Kloebner wettet, dass er
den Kopf länger unter Wasser halten kann als sein Gegenüber. "Es gibt
Wichtigeres im Leben", antwortet Herr Müller-Lüdenscheid. "Was denn?" –
"Ehrlichkeit, Toleranz ..." – "Ja ..." – "Mut, Anstand ..." – "Jaja ..." –
"Hilfsbereitschaft ..." –"Ja ..." – "Sauberkeit ..." – "Aber ich kann länger
als Sie." – "Es kommt auf den Charakter an." – "Aber ich kann länger als
Sie." – "Und das glaube ich Ihnen nicht." – "Dann tauchen wir jetzt
gleichzeitig." – "Wie Sie wünschen."
In diesem Sinne: Klaus Florian
Vogt: Erster "Wälse"-Ruf 6,1 Sekunden; zweiter "Wälse"-Ruf 6,9 Sekunden.
Jonas Kaufmann: Erster "Wälse"-Ruf 9,4 Sekunden; zweiter "Wälse"-Ruf 11
Sekunden. Vorteil Kaufmann.
6. Interpretation
Die CDs stehen für zwei unterschiedliche Ansätze. Vogt verfügt über eine
helle, klare Stimme, mit der er seine Rollenporträts weich und fast
knabenhaft anlegt. Dadurch nimmt er eine einzigartige Stellung in der
Wagnerwelt ein. Figuren, bei denen es um Reinheit und Heiligkeit geht,
kommen seinem Timbre entgegen. Auf der neuen CD ist denn auch die
Lohengrin-Arie "Mein lieber Schwan!" das mit Abstand beste Stück. Vogt hat
den Blick auf diese Oper nachhaltig verändert, ihr völlig neue Seiten
abgewonnen. Ein bleibendes Verdienst.
Doch obwohl Vogt auf dem Album
so viele verschiedene Rollen hintereinander singt, wird die Musik
erstaunlich schnell eintönig. Er zeigt nur ein schmales Spektrum an
Klangfarben, klingt dabei immer gleich. Mit seiner schlanken Stimme hat er
keine Möglichkeit, gewaltig zu werden, aufzutrumpfen. Im Liebesduett des
"Tristan" fällt dieses Defizit nicht so auf, dafür umso stärker im Finale
des ersten Aktes der "Walküre": Vogts Siegmund wirkt harmlos und schmächtig.
Dazu kommt, dass die Studioaufnahme seltsam statisch wirkt, nichts fließt,
auch nicht in der Orchesterbegleitung (Bamberger Symphoniker unter Jonathan
Nott). Die Stücke wirken durchbuchstabiert, auf Sicherheit bedacht.
Jonas Kaufmann hat viel mehr Fülle und Dunkelheit in der Stimme, die er
manchmal mit italienischem Schmelz aufpoliert. Dabei kommt ein ganz anderer
Typ Held heraus: kerniger, wilder, dafür aber nicht ganz so transparent und
elegant. Im Vergleich zu früheren Aufnahmen scheint Kaufmanns Stimme
schwerer geworden zu sein. Das lässt ihn noch dynamischer wirken. Dafür
forciert er jetzt manchmal zu stark. Aber daran kann man sich kaum stören,
weil man zu beschäftigt damit ist, Kaufmann bei immer neuen Schattierungen
und Effekten zuzuhören. Er ist zu waghalsigen Spitzentönen fähig, beherrscht
aber auch erzählende, liedhafte Affekte und kann sogar karikieren (als
Tannhäuser, der den Papst nachäfft). Seine Aufnahme ist die interessantere,
vor allem aber die heldenhaftere. Vorteil Kaufmann, der das Duell mit 3:2
knapp gewinnt. |
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