Klassik Heute, 20.10.2010
Mario Gerteis
 
Verismo Arias
 
Nein, Puccini ist nicht dabei. Und das bei einem Rezital, das sich „Verismo-Arien“ nennt. Zudem bei einem Sänger, der gerade als Cavaradossi in Tosca internationales Aufsehen erregt hat. Jonas Kaufmann geht es offenbar darum, nicht nur seine bestaunenswerte Repertoirebreite vorzuführen, sondern auch und in erster Linie seine stilistische Vielfalt zu demonstrieren. In der Tat eine erstaunliche Karriere des Münchner Tenors, der 1994 in Saarbrücken die erste Verpflichtung erhalten hatte und dann bald in die obersten vokalen Regionen aufstieg. Er begann mit Mozart und wurde – ein bisschen auf der Spur seines einstigen Lehrers James King – zum Inbegriff des lyrischen deutschen Tenors zwischen Florestan und Lohengrin. Jetzt also, um den Sänger selber zu zitieren, die Hinwendung zu jener „enthusiastischsten und ekstatischsten Musik“, die eben der südländische Verismo bereithalte.

Im Einführungstext des Dramaturgen an der Lyric Opera Chicago, der auf Gesprächen mit Jonas Kaufmann beruht, taucht das Wort „Gefühl“ mehr als ein Dutzend Mal auf. Kein Zufall, es ist der Schlüssel zu diesem Rezital. Der Tenor schaltet keinen Filter zwischen sich und die Musik, zwischen seine Stimme und die vokalen Exhibitionen der fast unweigerlich scheiternden (Opern-)Helden. Er identifiziert sich bedingungslos mit den permanent in aufgepeitschte emotionale Regionen getriebenen Tönen (und weiss sich darin mit Antonio Pappano und dessen römischem Orchester voll und ganz einig). Besonders bemerkenswert: der vielsprachige Kaufmann trifft das italienische Idiom nahezu perfekt. Das ist nicht eine germanische Zunge, die sich strebend in romanischer Emphase versucht. Die Deckung zwischen Anspruch und Ergebnis ist garantiert.

Kaufmanns ausgesprochen helle, manchmal sogar fast schneidende Stimme kann sich in den Verismo-Fluten mühelos behaupten. Der Sänger schont sich in keinem Moment, er zeigt keine Hemmung vor entfesseltem fortissimo-Rausch. Dabei bleibt sein Tenor stets geschmeidig; sinnlichen pianissimo-Glanz darf er dafür in einer lyrischen Saloneinlage wie Refices Ombra di nube entfalten. Das ist sozusagen das süsse Bonbon in der Abfolge eher gewalttätiger Entladungen, wobei Amilcare Ponchielli und vor allem Umberto Giordano (hier ist, gemeinsam mit Eva-Maria Westbrock, sogar das Schlussduett aus Andrea Chenier einbezogen) die Hauptlieferanten sind. Das ganze entpuppt sich überhaupt als Mixtur von Hits à la „Vesti la giubba“ (aus Leoncavallos Pagliacci) und ausgesuchten Raritäten. Kaufmanns Lieblingsstück allerdings, das er auf die einsame Insel mitnehmen würde, ist Romeos melancholischer Monolog aus Riccardo Zandonais kaum mehr gespielter Oper Giulietta e Romeo, der das Rezital eindringlich eröffnet.






 
 
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