Freie Presse, 22.09.2010
Werner Knaut 
 
Auf Sehnsucht folgt Leidenschaft: Verismo! 
 
Starsänger Jonas Kaufmann lässt den "Mythos Tenor" mit italienischem Klangzauber auferstehen
 

Ob Opernfestspiele oder Kammermusiksaal: Deutschlands schönste Stimme schafft sie alle. Es scheint, dem Strahlemann Jonas Kaufmann mit dem breitesten Jungslachen gelingt derzeit alles mit spielerischer Leichtigkeit. Was er anpackt, wird zu Gold. Die Bandbreite des jüngst bei den Bayreuther Festspielen umjubelten Lohengrin ist riesig und fachübergreifend. Er lässt sich - welch Glück für sein Publikum - nicht festlegen auf Wagner oder Verdi.

Der Sänger genießt mittlerweile eine Popularität, die gut und gern die Erinnerung an die große Glanzzeit früherer Tenöre wie Fritz Wunderlich wachruft. Ihm fliegen die Herzen nur so zu. Sein bodenständiger Humor zündet. Als Vater von drei Kindern ist er in Turnschuhen unterwegs - mit lockigem Haar und männlicher Ausstrahlung besitzt er eine unvergleichliche Bühnenpräsenz. Nach seinem deutschen Album "Sehnsucht" ließ er Franz Schuberts Liederzyklus "Die schöne Müllerin" folgen, begab sich in die Rolle einer jungen Seele, frisch, fröhlich, unbekümmert, die mit voller Wucht ins Messer rennt. Sein Schubert - so jung und kraftvoll und wundervoll heutig - ist noch nicht verklungen, schon folgt ein neues Soloalbum.

Seine neueste CD "Verismo Arias" (beim Klassik-Label Decca) hat er im Frühjahr in Rom gemeinsam mit dem Orchestra dell' Accademia Nazionale di Santa Cecilia unter seinem dynamischen Musikdirektor Antonio Pappano aufgenommen. Wozu Jonas Kaufmann wissen lässt, dass er die einmalige Atmosphäre Roms in der Nähe der Villa Borghese genossen habe - mit Blick über Rom. "Es gab da ein Gefühl, eine Italianita, die die Stimmung bei der Aufnahme von Anfang an begünstigt hat", äußerte er leidenschaftlich angetan. Mit dem Gefühl von "Italianita", sich wie ein Italiener in der schon warmen Märzsonne zu fühlen, darf man nun die Scheibe genießen. Kaufmann spricht fließend Italienisch, was dem gesungenen Wort Gewicht verleiht. Denn der Sänger weiß um die Geheimnisse zwischen den Textzeilen. "Verismo ist die Art von Musik, bei der die Emotionen in der Interpretation weit mehr zählen als der reine Wohlklang in der Stimme", erklärt Jonas Kaufmann. Und stürzte sich voller Elan in das Abenteuer des Verismo, einer realistischen, naturalistischen Richtung der Kunst nach Verdi. Eine Kunst, die lautmalerisch das Bühnengeschehen dokumentiert.

Es handelt sich um jene musikalische Epoche, die wie keine zweite die Oper aus dem Reich des Mythologischen auf den harten Boden der Realität holte und über die Kaufmann zu Recht sagt: "Beim Verismo geht es nur um Seele und Leidenschaft, doch gerade das liebe ich so daran! Diese Arien sind mit Gefühlen aufgeladen, die einen zu Tränen rühren können. Ich habe das Album mit den deutschen Arien ("Sehnsucht") aufgenommen, weil in der Musik und in den Charakteren so viel geschieht; aber die enthusiastischste Musik - die ekstatischste Musik - ist die des Verismo." Das Programm holt weit aus, das Wenigste davon - Werke von Cilea, Boito, Giordano, Ponchielli - gehört heute zum ständigen Repertoire auf den Opernbühnen. Vielleicht bedürfen sie ja der Empfehlung von Kaufmann, der sich anschickt, die Schätze zu heben? In seinem Monolog legt Kaufmanns Romeo aus Zandonais "Giulietta et Romeo" weinend sein Herz auf ihr - Julias - Herz. So innig, so sehr, dass man ein Taschentuch benötigt. Sein Marcello aus "La Bohème" von Leoncavallo klagt verwaist über die verlorene Liebe. Und das vergiftete Lachen des "Pagliacci" ("Der Bajazzo" von Leoncavallo) erstirbt in einer Grimasse des Schmerzes. Diese Stimme, die vom dunklen, baritonal gefärbten Timbre locker hinauf in helle Höhen langt, ist ein Wunder. Und Kaufmann beherrscht sie zu hundert Prozent. Mit dem schönen Ergebnis, dass er seine Person nicht nach vorn spielt, sondern Helden auf der Bühne zum Leben erweckt.






 
 
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