Ob Opernfestspiele oder Kammermusiksaal: Deutschlands schönste Stimme
schafft sie alle. Es scheint, dem Strahlemann Jonas Kaufmann mit dem
breitesten Jungslachen gelingt derzeit alles mit spielerischer
Leichtigkeit. Was er anpackt, wird zu Gold. Die Bandbreite des jüngst
bei den Bayreuther Festspielen umjubelten Lohengrin ist riesig und
fachübergreifend. Er lässt sich - welch Glück für sein Publikum - nicht
festlegen auf Wagner oder Verdi.
Der Sänger genießt mittlerweile eine
Popularität, die gut und gern die Erinnerung an die große Glanzzeit
früherer Tenöre wie Fritz Wunderlich wachruft. Ihm fliegen die Herzen
nur so zu. Sein bodenständiger Humor zündet. Als Vater von drei Kindern
ist er in Turnschuhen unterwegs - mit lockigem Haar und männlicher
Ausstrahlung besitzt er eine unvergleichliche Bühnenpräsenz. Nach seinem
deutschen Album "Sehnsucht" ließ er Franz Schuberts Liederzyklus "Die
schöne Müllerin" folgen, begab sich in die Rolle einer jungen Seele,
frisch, fröhlich, unbekümmert, die mit voller Wucht ins Messer rennt.
Sein Schubert - so jung und kraftvoll und wundervoll heutig - ist noch
nicht verklungen, schon folgt ein neues Soloalbum.
Seine neueste CD "Verismo Arias" (beim
Klassik-Label Decca) hat er im Frühjahr in Rom gemeinsam mit dem
Orchestra dell' Accademia Nazionale di Santa Cecilia unter seinem
dynamischen Musikdirektor Antonio Pappano aufgenommen. Wozu Jonas
Kaufmann wissen lässt, dass er die einmalige Atmosphäre Roms in der Nähe
der Villa Borghese genossen habe - mit Blick über Rom. "Es gab da ein
Gefühl, eine Italianita, die die Stimmung bei der Aufnahme von Anfang an
begünstigt hat", äußerte er leidenschaftlich angetan. Mit dem Gefühl von
"Italianita", sich wie ein Italiener in der schon warmen Märzsonne zu
fühlen, darf man nun die Scheibe genießen. Kaufmann spricht fließend
Italienisch, was dem gesungenen Wort Gewicht verleiht. Denn der Sänger
weiß um die Geheimnisse zwischen den Textzeilen. "Verismo ist die Art
von Musik, bei der die Emotionen in der Interpretation weit mehr zählen
als der reine Wohlklang in der Stimme", erklärt Jonas Kaufmann. Und
stürzte sich voller Elan in das Abenteuer des Verismo, einer
realistischen, naturalistischen Richtung der Kunst nach Verdi. Eine
Kunst, die lautmalerisch das Bühnengeschehen dokumentiert.
Es handelt sich um jene musikalische Epoche,
die wie keine zweite die Oper aus dem Reich des Mythologischen auf den
harten Boden der Realität holte und über die Kaufmann zu Recht sagt:
"Beim Verismo geht es nur um Seele und Leidenschaft, doch gerade das
liebe ich so daran! Diese Arien sind mit Gefühlen aufgeladen, die einen
zu Tränen rühren können. Ich habe das Album mit den deutschen Arien
("Sehnsucht") aufgenommen, weil in der Musik und in den Charakteren so
viel geschieht; aber die enthusiastischste Musik - die ekstatischste
Musik - ist die des Verismo." Das Programm holt weit aus, das Wenigste
davon - Werke von Cilea, Boito, Giordano, Ponchielli - gehört heute zum
ständigen Repertoire auf den Opernbühnen. Vielleicht bedürfen sie ja der
Empfehlung von Kaufmann, der sich anschickt, die Schätze zu heben? In
seinem Monolog legt Kaufmanns Romeo aus Zandonais "Giulietta et Romeo"
weinend sein Herz auf ihr - Julias - Herz. So innig, so sehr, dass man
ein Taschentuch benötigt. Sein Marcello aus "La Bohème" von Leoncavallo
klagt verwaist über die verlorene Liebe. Und das vergiftete Lachen des
"Pagliacci" ("Der Bajazzo" von Leoncavallo) erstirbt in einer Grimasse
des Schmerzes. Diese Stimme, die vom dunklen, baritonal gefärbten Timbre
locker hinauf in helle Höhen langt, ist ein Wunder. Und Kaufmann
beherrscht sie zu hundert Prozent. Mit dem schönen Ergebnis, dass er
seine Person nicht nach vorn spielt, sondern Helden auf der Bühne zum
Leben erweckt.
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