Opernwelt, November 2013
Jürgen Kesting
 
PLASTISCH, PRACHTVOLL, NOBEL
 
Jonas Kaufmann und Plácido Domingo huldigen Verdi - mit einem Recital und im «Requiem» der eine, mit Bariton-Arien der andere
Ausschnitt:
Mit Verdi geht der Musikbetrieb um, als wollte er Cosima Wagner recht geben, die nach einer Aufführung der «Messa da Requiem» bemerkte, diese sei «ein Werk, worüber nicht zu sprechen entschieden das Beste ist». Zwar hat die Decca auf 75 CDs eine umfassende Verdi-Edition herausgebracht. Doch die Einspielungen sind alle zwischen 1960 und 2000 entstanden. Erwähnenswerte neue Verdi-Recitals haben lediglich Anna Netrebko, Jonas Kaufmann und Altmeister Pläcido Domingo vorgelegt; dem «Requiem» hat sich Daniel Barenboim gewidmet.

Jonas Kaufmann verfährt bei seiner Anthologie, so scheint es, nach einer Maxime von Molière: «Je prends mon bien oü je le trouve.» Das ist als Kompliment gemeint. Kaufmann hat, vielleicht von einem Svengali gut beraten, die Referenz-aufnahmen komplexer Arien studiert, vor allem wohl von Carlo Bergonzi - ein durchaus legitimes Verfahren, das von Elisabeth Schwarzkopf ebenso praktiziert wurde wie von Luciano Pavarotti.

Den Auftakt gibt «La donna mobile» aus «Rigoletto». Doch der Herzog lächelt nicht: Dem Vortrag fehlt es, von zwei schönen Diminuendi abgesehen, an Eleganz und Leichtigkeit, insbesondere im Koloraturlauf der Kadenz und beim finalen hohen H. Das Rezitativ des Radames könnte mehr rhythmische Spannung und deklamatorische Plastizität vertragen, und das As («vinto») klingt forciert. Aber die ersten Phrasen des Andantino mit den Portamenti vom C auf F, fein und dynamisch zart phrasiert, sind berückend gelungen. Imponierend die auf das erste B der Arie zulaufende animando-Phrase mit dem Übergang in die auf einem Atem gesungene Pianissimo-Reprise von «Celeste Aida». Das B am Ende der Arie erklingt als ein echtes morendo, das über zwei volle Takte gehalten wird - ein magischer Ton!

Für die Barcarolle des Riccardo aus «Un ballo in maschera» wählt Pier Giorgio Morandi ein sehr langsames Tempo, das ein con brio ebenso unmöglich macht wie markante Akzente. Wie nur ganz wenige aber führt Kaufmann in der Phrase «cielo irati» den Fall vom hohen As auf ein resonantes tiefes C aus. Für die staccato assai-Passage - eine Folge von mehr als dreißig raschen Viertelnoten - fehlt ihm allerdings die Leichtigkeit eines Björling oder Bergonzi. Sehr viel besser liegen Kaufmann die Szene und Arie aus dem dritten Akt. In dem mit mächtiger Spinto-Stimme gesungenen Rezitativ erlaubt er sich den einen oder anderen kleinen Schluchzer. Das Andante singt er mit schönem Fluss und feiner Dynamik, wann immer ein morendo oder smorzando gefordert ist. Prachtvoll die fahle Abtönung der Phrase «Ed or qual reo...» oder das dolcissimo von «come se fosse...». In das fein phrasierte cantabile Manricos - «Ah si, ben mio» -wirkt er wieder Elemente des Singhiozzo-Stils ein. Er verzichtet nicht auf die puntatura, die selbst Toscanini tolerierte; sehr schön der zeremonielle Triller auf «parrà». Kaufmann singt viele Phrasen der Stretta con tutta forza; und soll man klagen, dass er das C einlegt? Hätte er's nicht eingelegt, wären die Klagen wahrscheinlich lauter.

Nach dem mit Hochdruck gesungenen Rezitativ des Rodolfo aus «Luisa Miller» gibt er der «göttlichen» Kantilene «Quando le sere» (Boito hat sie «göttlich» genannt) strömenden Fluss und sorgsame dynamische Abstufungen. Wenn er in der Arie des Gabriele Adorno das Inferno beschwört, mag man sich erinnern, dass Verdi die Partie für Francesco Tamagno bearbeitet hat. Eine freudige Überraschung (wegen Francesco Vassallos prachtvollem Bariton): das Duett zwischen Don Carlo und Posa.

Der zweite Höhepunkt des Recitals ist die Arie des Alvaro aus «La forza del destino», für die Kaufmann, so scheint es, bei Carlo Bergonzi in die Lehre gegangen ist. Bewegend im Rezitativ die Beschwörung von «Siviglia» und «Leonora» oder die eloquente Formung der zum As aufsteigenden Phrasen «O tu, che in seno». Für den dritten Höhepunkt sorgt Kaufmann mit Otellos «Dio! mi potevi scagliar». Das über drei Takte sich erstreckende und zweimal wiederholte declamato singt er ganz nach innen, als das monotone Murmein eines Mannes, der sich verloren hat. Berührend das auf einem Atem (von 24 Sekunden) gebildete «e rassegnato» und das cantabile von «Ma, o pianto, o duol» mit einem dolcissimo-G als Zielnote. Welch eine Intensität beim ersten hohen B auf «raggio» und dem finalen «0 gioa!» Ein imponierendes und sehr engagiertes Recital, auch auf Seiten des Orchesters der Oper von Parma unter Pier Giorgio Morandi.













 
 
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