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SWR 2, 31.3.2023 |
MANUEL BRUG |
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Puccinis Turandot mit Jonas Kaufmann unter Antonio Pappano |
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Operngesamtaufnahmen unter Studiobedingungen sind heute eine Rarität. Eine
davon fand letzten März im römischen Parco della Musica statt: Die
Plattenfirma Warner spendierte ihrem langjährigen Stardirigenten Antonio
Pappano Puccinis „Turandot“. Pappano versammelte zum Ende seines Vertrags
mit dem Orchestra dell‘Accademia Nazionale di Santa Cecilia nicht nur eine
Starbesetzung mit Jonas Kaufmann, Sondra Radvanovsky und Ermonela Jaho,
sondern schloss auch erstmals in einer Komplettaufnahme den vollständigen
Franco-Alfano-Schluss für den „Turandot“-Torso mit ein.
Turandot
Extendet Edition Die Musik auf der CD ist gleichzeitig vertraut aber auch
fremd. Jonas Kaufmann gibt sich endlich der eisumgürteten Prinzessin
Turandot alias Sondra Radvanovsky zu erkennen. Er übernimmt die Rolle des
Prinzen Calaf, Sohn des Timur. Jetzt könnte sie ihn töten lassen – wie alle
ihre früheren Brautbewerber – denn sie kennt seinen Namen.
Doch in
der stargespickten Studioneuaufnahme unter Antonio Pappano klingt
„Turandot“, Giacomo Puccinis Opernschwanengesang, ein wenig anders als sonst
– länger, ausführlicher. Denn dies ist die erste Komplettaufnahme, die den
von Franco Alfano nachkomponierten Schluss, den der krebskranke Schöpfer
nicht mehr vollenden konnte, zur Gänze einschließt – und nicht nur die um
108 Takte, etwa acht Minuten Musik, brutal gekürzte Strichfassung des
Uraufführungsdirigenten Arturo Toscanini.
Italienes bestes Orchester
Das Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia, es kann laut, aber
auch subtil tönen, ebenso sein hervorragender Chor – obwohl bei den
Aufnahmen im März 2022 in Aldo Rossis römischem Parco della Musica noch
strenge, weiträumige Corona-Abstände eingehalten werden mussten. Pappano,
gegenwärtig neben Altmeister Riccardo Muti der beste Dirigent italienischer
Opern, hat sich die „Turandot“ lange aufgespart.
Jetzt spendierte sie
ihm sein Plattenfirma Warner zum Auslaufen seines Vertrages bei Italiens
bestem Orchester. Und im souverän modernistischen, dabei doch
klangsinnlichen Zugriff Pappanos wird deutlich. „Turandot“ kann viel mehr
sein als chinesisch bleiche Liebe-und-Tod-Parabel und ein heute
zweifelhaftes Exotik-Abziehbild.
Drei Lösungen sonst droht der Tod
Die böse Turandot und der ach so verliebte Calaf rangeln um dessen Kopf.
Drei Rätsel muss Jonas Kaufmann lösen, dann darf er Sondra Radvanovsky
heiraten – oder er stirbt. Zum Glück nur in der Puccini-Oper. Nicht nur die
Frauenbewegung hat um diesen chinesischen Singbesen einen Bogen gemacht,
schon Puccini biss sich die Zähne aus an der bockigen Turandot, die wegen
der Vergewaltigung einer Ahnin ihre Brautwerber einen Kopf kürzt.
Erst als sich die Sklavin Liù aus Liebe zum Prinzen Calaf umbringt, ist die
royale Männerhasserin durch die Kraft amouröser Aufopferung besiegt – und
wandelt sich zur fernöstlichen Isolde. Woran selbst der Komponist nicht
glaubte. Seither mokiert man sich über die schnelle Verwandlung der im
Liebesrausch losplärrenden Kaisertochter mit Gatten, vom Chor vulgär
bejubelt.
Starbesetzung in der empfehlenswerten Aufnahme Diese
neue, komplette „Turandot“ ist zudem luxuriös besetzt. Sopran-Zärtlichkeit
und Vibrato-Fragilität schenkt die immer noch viel zu unbekannte Albanerin
Ermonela Jaho der grundgütigen, aufopferungswilligen Sklavin Liù. Mit der
US-Diva Sondra Radvanovsky, die der Turandot erstaunlich viel Piano-Wärme
leiht und Jonas Kaufmann als Calaf, beides Rollendebütanten, geht es furios
zur Sache.
Sie singen mit glühender Eleganz und glaubwürdigem
Engagement. Michele Pertusi als Calafs Vater Timur sowie drei junge, fein
vokalabgesetzte Minister Ping, Pang und Pong komplettieren diese rundum
empfehlenswerte Neuaufnahme. Die sogar als kleinen Casting-Witz noch den
tollen Tenor Michael Spyres in der winzigen Greisenrolle des uralten Kaisers
Altoum auffährt. Und Antonio Pappano quirlt Sahnesauce auf Doppelrahmstufe,
macht aber auch die gepanzerte Brutalität, dieser Partitur stets spürbar.
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