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Augsburger Allgemeine, 26.03.2023 |
VON STEFAN DOSCH |
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„Turandot" mit Antonio Pappano und Jonas Kaufmann |
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Der Dirigent Antonio Pappano hat sich erstmals Puccinis „Turandot“
angenommen und gleich eine Einspielung vorgelegt. Die ist voll
elektrisierender Dramatik und besticht auch sängerisch.
Mailand, 25.
April 1926: Arturo Toscanini dirigiert die Uraufführung von „Turandot“, ein
lange erwartetes Ereignis, denn Giacomo Puccini, der Komponist der Oper, ist
seit eineinhalb Jahren tot und „Turandot“ war sein letztes Werk. An diesem
Abend im Teatro alla Scala aber legt Toscanini den Dirigentenstab mitten im
dritten und letzten Akt nieder, ohne zur Aufführung gebracht zu haben,
worauf doch alle Handlung, alle Musik dieser Oper zuläuft: die Umwandlung
von Hass in Liebe, die Paarwerdung von Prinz Calaf und Prinzessin Turandot.
Die 268 verbleibenden Takte, in denen dies Ereignis wird, ignoriert
Toscanini. Der wegen seiner „Unerbittlichkeit“ gefürchtete Dirigent tat es
wohl aus Überzeugung: Zumindest bei der Uraufführung wollte er „Turandot“
als ausschließliche Schöpfung seines Freundes Puccini verstanden wissen; und
da passte es nicht, dass das beim Tod Puccinis unvollendete Werk von fremder
Hand komplettiert worden war.
Franco Alfano komponierte Puccinis
"Turandot" zu Ende Bis heute ist die Diskussion darüber nicht verstummt,
ob die von Puccini selbst nicht mehr zu Ende komponierte Oper – bei seinem
Tod hatte er lediglich Skizzen hinterlassen – durch das vom
Komponistenkollegen Franco Alfano fertiggestellte Finale nun gelungen oder,
wie nicht nur Toscanini meinte, zu eigenständig geraten ist. Damals schon,
als Alfano im Auftrag der Nachlassverwalter die Komplettierung besorgt
hatte, war er vom Verlag Ricordi genötigt worden, seine originale Version
von 377 Takten auf die besagten 268 Takte zusammenzustreichen – es ist diese
zweite Fassung Alfanos, welche seither die meistaufgeführte ist. Ob jedoch
die bessere, daran scheiden sich die Geister. Es gibt inzwischen nicht
wenige Stimmen, die Alfanos breiter angelegter Erstfassung das Wort reden.
Antonio Pappano gehört dazu.
Der Brite mit italienischen Wurzeln,
Musikdirektor am Royal Opera House in Covent Garden, hat für seine
Einspielung der „Turandot“ (Warner Classics) der langen Finalfassung den
Vorzug gegeben. Auch ihm, wie vielen anderen, erscheint sie die
psychologisch schlüssigere, dramaturgisch überzeugendere zu sein. Und doch
liegt es nicht allein an dieser Entscheidung, dass Pappanos
„Turandot“-Dirigat so elektrisierend geraten ist. Der Dirigent, Spezialist
für Verdi und den Verismo, geht an die „Turandot“, deren Handlung in einem
märchenhaften China in sagenhafter Vorzeit spielt, nicht mit illustrativen
Absichten heran.
Puccinis "Turandot" ist ein verstörend fremdartiges
Stück Puccini, das stellt Pappano mit dem famosen römischen Orchestra di
Santa Cecilia (wo er ebenfalls Chef ist) unmissverständlich klar, hat hier
keine Opern-Chinoiserie hinterlassen, sondern ein verstörend fremdartiges
Stück. Dieses ferne China ist kein Land des Lächelns, sondern eines mit
grausamen Riten – wer verrät, hat verspielt. Pappano zielt auf das Bodenlose
hinter den vom Komponisten bewusst herangeholten musikalischen
Fernost-Anklängen, seine Auslegung der Partitur ist ein beharrlicher Blick
in Abgründe. Eine Interpretation voller schaurig-schöner Reize: Die eisig
fahlen, inwendig rot glühenden Farben, in die Pappano in der Rätselszene
Turandots Fragen orchestral einkleidet, sind atemberaubend.
In
dieser Oper darf man den beiden im hochdramatischen Fach angelegten
Protagonistenstimmen durchaus anhören, dass ihnen Äußerstes abverlangt wird,
es ist nichts weniger als rollengerecht. Singulär und womöglich auch nur
unter Studiobedingungen so realisierbar die flackernde Angst der Turandot,
wie sie die Sopranistin Sondra Radvanovsky mit aller Anspannung und mit
aller Kunst hervorschleudert. Birgit Nilsson hat Turandots Spitzentöne einst
unangestrengter entflammt, was sich aber nicht als Vorteil für die
Rollenzeichnung entpuppt. Radvanovskys Porträt einer angstvoll Mächtigen,
mächtig Angstvollen ist jedenfalls enorm packend.
Jonas Kaufmann
gibt der Partie des Calaf Züge männlichen Empfindens Jonas Kaufmann, im
dramatischen Fach inzwischen im Spätsommer angekommen, gebietet über
heldische Höhe nicht mehr ohne alle Mühe. Doch gerade das macht seinen
letztlich siegenden Calaf nicht zum tumben Tenor-Terminator, sondern gibt
der Rolle des Prinzen Züge warmen männlichen Empfindens mit. Davon
profitiert nicht zuletzt „Nessun dorma“, das Arien-Signet der Oper, das
Kaufmann nicht platt siegestrunken, sondern in strahlender Vorfreude
intoniert und dabei die reife Farbkraft und Fülle seiner Stimme betörend in
die Waagschale wirft.
Eine geradezu ideale Liù ist Ermonela Jaho,
trifft sie den Ton der Sklavin, die sich aus Liebe für Calaf für eben diesen
opfert, doch in perfekter Balance zwischen lyrischer Anmut und ergreifender
Dramatik. Auch die weitere Besetzungsliste hält das Niveau der Produktion,
wobei der Santa-Cecilia-Chor noch besonders hervorzuheben ist – packend
gezeichnet das Oszillieren der Masse zwischen Unterwürfigkeit und (Blut-)
Rausch.
Ein Triumph, diese „Turandot“, schon jetzt fraglos eine
Anwärterin auf die Opern-Einspielung des Jahres.
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