Opernglas, Juli 2011
M. Wilks
Tosca
Allmählich wird es fast unheimlich, mit welcher Souveränität und Überzeugungskraft Jonas Kaufmann seit geraumer Zeit unter Stress singen kann. So auch als Cavaradossi in einem »Tosca«-Mitschnitt aus dem Opernhaus Zürich. Sein baritonaler Tenor klingt nicht nur groß und individuell, er besticht mit einer ganzen Bandbreite an Klängen und emotionalen Ausdrücken. Bereits in der ersten Arie („Recondita armonia") teilt Jonas Kaufmann gerade im substanzreichen Piano viel mit, ohne dabei die feurigen Momente zu vernachlässigen. Im Gegenteil: Gerade exponierte Stellen wie im weiteren Verlauf „La vita mi costasse" oder „Vittoria!" scheint er nicht nur mühelos mit voller Kraft zu intonieren, sondern überzeugt auch „gesangsathletisch". Schließlich besitzt er in „E lucevan le stelle" die berühmte Träne in der Stimme, mit der er aus dieser Arie einen traurigen Höhepunkt gestaltet.

Dass neben diesem auch optisch überzeugenden Cavaradossi die übrigen Sänger bestehen können, spricht für das herausragende Niveau der Produktion. Nun ist Emily Magee keine Tosca der lieblichen Töne, die das Bekenntnis „Vissi d'arte" womöglich voller Pianosüße ausspricht. Mit herben, charaktervollen Klängen gestaltet sie vielmehr eine Operndiva mit eigenem, markantem Charme und starker Präsenz. Das schulterfreie, tief ausgeschnittene blaue Kleid dürfte nicht nur Scarpia gefallen.

Thomas Hampson gelingt es mit einer an George Clooney erinnernden Erscheinung, die Menschen verachtenden Seiten des Polizeichefs ebenso glaubhaft zu zeigen wie charmante Noblesse vorzutäuschen. Gesanglich ist sein Bariton in großer Form, man spürt die Erfahrung des Liedersängers, der den expressiven Vortrag gekonnt gestaltet. Engagiert und sehr gut besetzt auch die Sänger der kleineren Partien, die von Valeriy Murga (Angelotti) angeführt werden. Dem Dirigat von Paolo Carignani und dem Spiel des Opernhaus-Orchesters sind die Turbulenzen aus dem Vorfeld der Premiere (Dirigentenwechsel von Michael Tilson Thomas über Christoph von Dohnányi hin zu ihm) nicht im Geringsten anzumerken (vgl. OG 5/09) - vielmehr spürt man durchgängig, dass man »Tosca« zugleich mit starken Emotionen und feiner Ausformung instrumentaler Details interpretieren kann.

Kenner der Antwerpens oder Hamburger »Tosca«-Produktion können anhand der DVD überprüfen, welche Änderungen das Regieteam, bestehend aus Robert Carsen (Inszenierung), Anthony Ward (Ausstattung) und Davy Cunningham (Licht), in der Zürcher Neuproduktion im März 2009 vorgenommen hat. Auch hier ist der Blick auf Tosca fokussiert, die kaum zwischen der Opernbühne und der Realität unterscheidet und Oper als Ersatzreligion betrachtet. So spielt Puccinis Werk denn auch nicht in den klassischen römischen Orten (Kirche, Palazzo, Engelsburg), sondern in einem Opernhaus mit einem großen roten Bühnenvorhang. Wie in den meisten seiner Produktionen bleibt Carsen trotz der Umdeutung dicht am Werk und „besänftigt" mit großen, reizvollen Bühnenlösungen. Allerdings ist die Produktion recht dunkel beleuchtet, so dass die spielfreudigen Protagonisten in diesem psychologischen, mit sexuellen Komponenten angereicherten Krimi im Mittelpunkt stehen. Immer wieder entstehen eindringliche Momente, beispielsweise in der Begegnung zwischen Scarpia und Cavaradossi, die wie ein Verbalduell unter Intellektuellen beginnt, doch dann wegen der Unterlegenheit Scarpias mit blutigen Argumenten fortgesetzt wird.






 
 
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