Badische Zeitung, 12.06.2009
Alexander Dick
 
Weltklassetenor aus Deutschland
 
Jonas Kaufmanns neue CD
Schon lange nicht mehr hatte ein Tenor aus Deutschland international so großen Erfolg: Jonas Kaufmann ist mit seinen knapp 40 Jahren ein Weltstar. Im Herbst kommt er nach Baden-Baden, nun liegt seine neue CD vor.

Caspar David Friedrichs "Wanderer über dem Nebelmeer" scheint den Zeitgeist zu treffen. So sehr, dass er gleich für das Cover zweier aktueller Klassik-Neuveröffentlichungen herangezogen wurde. Das heißt, bei genauem Besehen ist das, was Universal/Decca auf der Titelseite von Jonas Kaufmanns "deutschem Album" (Werbetext) serviert, nur eine Paraphrase über dieses Schlüsselbild der Romantik. Dieser Wanderer wendet sich dem Betrachter auch zu und trägt die Gesichtszüge des Interpreten – des deutschen Tenors der Gegenwart: Jonas Kaufmann. Will offenbar so viel sagen wie: Hier begegnen sich Meister auf Augenhöhe.

In der Tat stellt der Münchner Tenor das dar, was Deutschland in diesem Stimmfach schon lange nicht mehr hervorgebracht hat: einen Weltklassesänger. Obendrein noch einen, der gut aussieht – ein bisschen Latin-Lover, ein bisschen verträumter deutscher Romantiker. So etwas mag man auch sehen. Da soll vermutlich schon der Albumtitel die Fans in Vibration versetzen: "Sehnsucht". Mit Programmatik jedenfalls hat das weit weniger zu tun als mit Verkaufskalkül. Das freilich wird noch einigen Anschubs bedürfen: In den aktuellen Klassikcharts rangiert Kaufmann noch weit hinter seinem Kollegen Rolando Villazón – ungeachtet dessen Dauerstimmkrise.

Beim Casus Kaufmann dagegen hat dieses Wort glücklicherweise bislang keinen Platz – und dafür ist die neue Platte ein eindrucksvolles Dokument. Mehr noch: Sie zeigt den Sänger in der Tat als Wanderer, jedoch nicht im Nebelmeer sondern zwischen den Stimmwelten. Im deutschen Repertoire ist der Tenor sicher singulär, weil ihm der so schwierige Spagat gelingt zwischen dem lyrischen Fach und dem Heldenfach. Somit sind die Pole dieses deutschen Rezitals gewaltig: Siegmund, Lohengrin und Parsifal auf der einen, Tamino auf der anderen Seite. Und genau mit dessen Bildnis-Arie und der Sprecherszene (zusammen mit dem exzellenten Michael Volle) kann Kaufmann zeigen, dass seine Mozart-Qualitäten nach wie vor enorm sind: ein heller, fast silberner Stimmklang mit brustigem Unterton und in der Höhe zart nasaler Färbung – da grüßt aus der Ferne Fritz Wunderlich. In den rezitativischen Passagen der Sprecherszene wird man überdies der phantastischen Artikulation und Sprachdeutlichkeit dieses Ausnahmetenors gewahr. Ein Umstand, der auch seiner Wagner-Interpretation zugute kommt.

Sein Parsifal berührt tief und wirkt jetzt schon tenoral-brillanter als der Peter Hofmanns in seinen besten Zeiten. Noch nicht optimal dagegen scheint Kaufmanns Lohengrin – auch wenn sein Bühnendebüt, am 5. Juli an der Bayerischen Staatsoper – wenige Tage vor seinem 40. Geburtstag – unmittelbar bevorsteht. Der Gralserzählung zumindest haftet die Hypothek eines sehr artifiziell-brustigen Klanges an, der beim Registerwechsel in die Höhe im Piano nur die Kopfstimme zulässt. Erst auf das fulminante Ende hin beginnt man zu begreifen, dass Kaufmann sich diese Partie zum Zeitpunkt der Aufnahme im Dezember 2008 in Parma wohl noch nicht vollständig angeeignet hatte, aber auf dem besten Weg dorthin ist. Ob er auch ein idealer Siegmund sein wird, lässt sich noch nicht sagen: Auf der Platte klingen die "Winterstürme" sehr baritonal gefiltert, das sehr langsam eingeschlagene Tempo lässt alles Stürmerische und Drängerische an dieser Partie vermissen. Dennoch sind Claudio Abbado und das Mahler-Chamber-Orchestra hinreißende Begleiter auf dieser Wanderung durch die Facetten deutscher Tenorpartien; wie gut, dass man hier für ein Rezital einmal kein zweitklassiges Orchester herangezogen hat. Gemeinsam mit Abbado bricht Kaufmann eine gewichtige Lanze für den Opernkomponisten Schubert; und dass es für Beethovens "Fidelio" derzeit wohl kein besseres Gespann als dieses gibt, macht die Platte ebenso deutlich. Wenn Kaufmann auch in Zukunft im Hinblick auf seine Rollenauswahl so klug agiert, dürfte dies noch lange so bleiben und der Tenor Geschichte schreiben: als einer, der sich die Souveränität über seine Stimme nicht rauben ließ.






 
 
  www.jkaufmann.info back top