Rheinische Post, 6. Juni 2009
VON WOLFRAM GOERTZ
 
Deutschlands neuer Spitzentenor
 
Auf seiner neuen CD mit dem Titel "Sehnsucht" singt Jonas Kaufmann Arien von Wagner, Mozart, Beethoven, Schubert. Es begleitet das Mahler Chamber Orchestra unter Claudio Abbado.
Mit seiner neuen CD "Sehnsucht" gibt sich Jonas Kaufmann als Anwärter auf das verwaiste Heldentenor-Fach zu erkennen. Einstweilen tritt er als jugendlicher Held in Erscheinung. Demnächst wird er Lohengrin in München und Bayreuth singen.

Als der große Voltaire seinen Spruch "Ich mag keine Helden, sie machen mir zu viel Lärm in der Welt" ersann, konnte er nicht ahnen, dass der deutsche Held von 2009 zwar ein Tenor, doch zugleich ein ungewöhnlicher Leisetreter sein würde. Sein Lohengrin beginnt die Gralserzählung in berückendem Piano, sein Tamino singt von Mädchenbildern mit jungenhafter Scheu, sein Siegmund fängt die Winterstürme der "Walküre" beinahe mit Eleganz ein. Natürlich kann dieser Held auch kraftvoll wie Parsifal auftrumpfen, aber so viel Delikatesse bei einem Tenor war lange nicht. Der einzige Lärm, der um ihn herrscht, ist der Jubel der Kritiker und des Publikums.

Auftritt Jonas Kaufmann, 1969 in München geboren ---ersehnter Wundermann in unserem Land, in dem früher die Tenöre nur so blühten. Leider herrscht seit einiger Zeit Dürre, jedenfalls auf der Plantage der Helden. Zugleich erfolgt in keinem Segment die Ausmusterung so nachlässig wie im Heldenfach; auch Sänger mit offenkundig ramponiertester Stimme singen den Tristan noch kreuz und quer im Land, weil sonst halt keiner da ist.

Kaufmann begann behutsam als lyrischer Tenor in Saarbrücken, wo er sich das Fach in Ruhe erobern konnte. Aber schon früh war zu merken, dass er kein Leichtgewicht ist, dass eine baritonale Basis sein Fundament legt. Sein Vorbild ist ---welch Wunder! --- Fritz Wunderlich, über den er sagt: "Er war der letzte Erbe eines königlichen Geschlechts und vielleicht insofern gar nicht typisch deutsch, als er immer sein ganzes Herz in seine Stimme legte."

Als Kaufmann seine erste CD mit dem vielsagenden Titel "Romantic Arias" vorlegte, wollte er den Nachweis antreten, dass er in den drei relevanten Opernsprachen versiert, ein polyglotter Tenor ist. Eine CD als Visitenkarte. Mit seinem neuen Album unter dem für Tenöre untypischen Titel "Sehnsucht" gibt er sich gehobenen Ansprüchen zu erkennen: als seelenvoller, feinsinniger Artist, als Gefühleversteher, welcher das Klischee der heiß erstrebten blauen Blume vielleicht fast schon zu direkt bedient.

Im Juli wird er bei den Münchner Opernfestspielen den Lohengrin singen, das ist das Fach, dem seine Zukunft gilt: jugendlich-heldisch --- mit Aussicht auf dickere Brocken wie Siegfried oder Tristan. Die müssen einstweilen warten, sagt Kaufmann, denn er weiß, dass schneller Verschleiß vokaler Ressourcen die Zukunft eher verbaut als öffnet.

Gleichwohl wird der sorgfältige Hörer bei aller Hochachtung vor Kaufmanns Kunst, bei aller Faszination vor seinen musikalischen und intellektuellen Möglichkeiten sagen müssen, dass die "Sehnsucht"-CD nicht optimal gelungen ist. Kaufmann hat einige Probleme mit dem Sitz der Vokale, die nicht selten verfärbt klingen, und manchen Knödel hat der Sänger bei der Aufnahme nicht herunterschlucken können. Solche Trübungen werden aber mehr als wettgemacht durch eine beeindruckende freie und offene Höhe, durch einen schimmernden Glanz und eine tatsächlich erhebende Pianokultur. Freilich ist Kaufmann auch in anderer Hinsicht eine Hoffnungsgestalt: Er sieht nach dem Urteil vieler Musikfreunde, deren Augen von dickbäuchigen und/oder beglatzten Tenören nicht verwöhnt sind, einnehmend gut aus. Dunkle Locken, prima Body --- und das dunkle Timbre, aus dem Kaskaden tenoralen Feuers schießen, das verheißt eine sinnliche Komponente, die wie chamäleonesker deutscher Ersatz für Rolando Villazon daherkommt. Mit gehörigem Selbstbewusstsein klettert er auf dem Cover der neuen CD direkt in eine Szenerie von Caspar David Friedrich. Während der Maler sich selbstbildnishaft in der Rückansicht versteckte, guckt Kaufmann mit Schalk in die Kamera. Es kann ihm wenig passieren mit seiner Karriere, und deshalb musste er sich auch nicht in Bayreuth bewerben --- den Lohengrin wird er dort 2010 singen. Nebenbei kann er, weil Kollege Villazon an stimmlichen Mühen laboriert, auch die Traumpartie im Duett mit Anna Netrebko einnehmen.

Jetzt aber herrscht erst einmal "Sehnsucht". Den Wanderer Kaufmann begleitet kein Geringerer als der reife Claudio Abbado.






 
 
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