Nürnberger Nachrichten, 3. Juni 2009
Jens Voskamp
 
Der vielseitige "Turnschuh-Tenor"
 
Weltweit gefragt: Jonas Kaufmann besticht auf dem Album «Sehnsucht«
NÜRNBERG - Ohne ein Eitkett geht es im heutigen Musikgeschäft nicht mehr. Und so muss Jonas Kaufmann wohl oder übel damit leben, dass ihn seine Plattenfirma wegen seiner lockeren und legeren Art als «Turnschuh-Tenor« vermarktet. * Jetzt macht er mit seinem jüngsten Album «Sehnsucht« Furore.

Vor zwanzig Jahren hätte man ihm so eine ironische Pose noch übelgenommen: In der Haltung des «Wanderers über dem Nebelmeer« von Kaspar David Friedrich posiert der 39-Jährige auf dem Cover und verweist auf eine der besten deutschen Kunst-Epochen, die Romantik. Doch die Deutschen sind entspannter gegenüber ihrer eigenen Nationalität geworden. Pünktlich zum 60. Geburtstag der Bundesrepublik ist Kaufmanns «deutsches Album« herausgekommen und vereinigt von Mozart über Beethoven und Schubert bis zu Richard Wagner herausragende Arien der deutschsprachigen Operntradition. Man könnte sie auch als klingende Postkarte aus dem Land der Dichter und Denker bezeichnen.

Höchstes Niveau

Ob es wie das Vorgänger-Album «Romantic« auch in den Charts landet, ist ungewiss, doch die Zutaten stimmen und garantieren höchstes Niveau: Neben dem wunderbar austarierten, aber nicht zu glatt aufspielenden Mahler Chamber Orchestra unter Claudio Abbado sind auch die Mezzosopranistin (und Gattin) Margarete Joswig, der herausragende Bass-Bariton Michael Volle und Bassist Valdis Jansons mit von der Partie.

Kaufmanns große Vorzüge, die ihn längst an die Mailänder Scala, das Royal Opera House Covent Garden oder an die New Yorker Met führen (hier gibt er ab 2011 den Siegmund), sind neben seiner wunderbaren Textdeutlichkeit und dem edelhellen Timbre vor allem die Gabe, lyrische und heldische Qualitäten zusammenführen zu können.

Es stimmt ja: Deutschland hat in den letzten Jahrzehnten mit René Kollo, Siegfried Jerusalem, Peter Hofmann oder auch Gerhard Siegel herausragende heldische Tenöre und auch im Konzert- und Oratorienfach mit Peter Schreier, Christoph Prégardien, Christoph Genz oder Markus Schäfer mustergültige Vertreter hervorgebracht. Aber der letzte Sänger, der einen Tamino genauso auszufüllen verstand wie einen Florestan, war Fritz Wunderlich. **

Empfehlung für Bayreuth

Und mit diesem muss sich Kaufmann immer wieder vergleichen lassen. Gut, dass Kaufmann das gelassen nimmt. Allerdings steht der einstige Mathematikstudent aus München gerade an einer Karriereschwelle, die dem früh verstorbenen Wunderlich nicht vergönnt war – der Eintritt in das jugendlich-dramatische Fach. Hier sind vor allem der «Parsifal« und natürlich der «Lohengrin« zu nennen, aus denen es auf der CD jeweils zwei ausführliche und wirklich berührend gelungene Ausschnitte gibt. Wie sicher Kaufmann die Höhen der «Gralserzählung« erklimmt, wie intelligent er den Monolog «Amfortas! - Die Wunde!« strukturiert und gestaltet: Das ist die reinste Empfehlung für Bayreuth.

Doch zuvor gibt es bei den anstehenden Münchner Opernfestspielen ein wichtiges Rollendebüt: Am 5. Juli, fünf Tage vor seinem 40. Geburtstag, wird Kaufmann erstmals den Lohengrin auf der Bühne gestalten - in einer Inszenierung von Richard Jones, die gleichzeitig live auf den Platz vor dem Nationaltheater übertragen wird. Ausgerechnet in seiner Geburtsstadt soll also der Beweis angetreten werden, dass Kaufmann nicht nur ein Tenor für die schönen Opernhäppchen, sondern auch für die Langstrecke einer Riesenpartie ist.

Gute Schule absolviert

Dabei hat der smarte Sänger eine gute Schule absolviert: Nicht nur die Ochsentour durch die Provinz, sondern auch das ständige Feilen an seiner Paraderolle, dem Tamino aus der «Zauberflöte«. Die «Bildnis-Arie« ist für ihn immer ein Gradmesser seines künstlerischen Könnens - genau wie bei Wunderlich. Aber auch für das Wagner-Fach scheint der dreifache Vater bestens gerüstet: Die Musikdramen des Bayreuthers saugte er bereits als Kind von seinem Großvater auf, der Opern-Auszüge immer wieder auf dem Klavier spielte.

Aktuelle CD: Jonas Kaufmann, «Sehnsucht« (Decca)
* Der Begriff stammt aus einem dpa Artikel und nicht von der Plattenfirma
** ich bin zwar kein Wunderlich Experte, aber meines Wissens hat Fritz Wunderlich nie den Florestan gesungen






 
 
  www.jkaufmann.info back top