Merkur, 19.05.09
Markus Thiel
 
CD-Kritik: Jonas Kaufmanns Album „Sehnsucht“
 
Zwischen Verführung und Staumeldung: Tenor Jonas Kaufmann und sein Album „Sehnsucht“ - eine Kritik der CD
Die Klonforscher des Klassikmarkts können ihr Werkzeug getrost einpacken. Italienisches Fach? Kein Problem. Französisches? Funktioniert. Deutsche Tonschöpfer? Sind ihm schon herkunftsmäßig nahe. Aussehen und Ausstrahlung? Bestens geeignet für die Staatsoper wie für die Titelseite eines Hochglanzmagazins. Charme? Versteht sich da von selbst. Warum also den perfekten Tenor inszenieren, wenn der womöglich vor vier Jahrzehnten in München das Licht der Welt erblickt hat...

Jonas Kaufmann, das ist die notwendige Antwort aufs Schubladendenken einer gezausten Szene. Der heiligen Cäcilie oder anderen guten Geistern sei Dank, erlebt der Deutsche, der sich am Opernhaus Zürich für den Weltruhm rüstete, gerade sein Formhoch – und kann perfekt die Leerstelle besetzen, die der stimmbandgeschädigte Rolando Villazón hinterlassen hat.

Wagners Parsifal hat Jonas Kaufmann schon gesungen, die Münchner „Lohengrin“-Premiere am 5. Juli soll den entscheidenden Ritterschlag zum deutschen Helden markieren. Was natürlich nach einer CD schreit, auf der nun Kaufmann im Elbsandsteingebirge als Caspar David Friedrichs „Wanderer über dem Nebelmeer“ gleich einer Fleisch gewordenen Romantik posiert – und damit eher unfreiwillig komisch wirkt.

Egal, unterm Strich entscheidet der Inhalt. Und dafür wurden die bestmöglichen Begleiter aufgeboten: das Mahler Chamber Orchestra mit einem so behutsamen wie wissenden Claudio Abbado. Jonas Kaufmann, von seinen frühen Lehrern zunächst und stimmwidrig auf hellen Peter-Schreier-Ton getrimmt, hat eine respektable Entwicklung hinter sich. Vorbei die Zeiten, als er sich vor gut einem Jahrzehnt in Münchner Oratorienaufführungen machohaft überbrüllte. Kaufmann ist stilistisch deutlich gereift, führt eine musterhafte, sehr reflektierte Textgestaltung vor und hat einen virilen, kraftvollen Sound kreiert, der ihm auf dem internationalen Markt Einmaligkeit sichert. „Dunkel“ nennen einige diesen Klang – und umschreiben damit ungewollt ein Problem des Star-Tenors, das sich auch auf dem aktuellen Album niederschlägt: eine gedeckte, verschleierte Tongebung. Und die treibt nicht nur Gesangspädagogen mit ihrer Suche nach dem korrekten Stimmsitz die Runzeln auf die Stirn.

Am besten liegt Kaufmann die selbstquälerische Verzweiflungsgebärde von Wagners Parsifal, die zu kraftvollen, strahlkräftigen und mit Verve bewältigten Ausbrüchen einlädt. Auch Siegmunds „Winterstürme“ stehen dem bronzenen, baritonalen Timbre gut. Den Tamino kann man als (zu) späten Nostalgietrip zu den Mozart-Anfängen einstufen. Bei Beethovens Florestan oder den Aussschnitten aus Schuberts „Fierrabras“ oder seiner noch unbekannteren Oper „Alfonso und Estrella“ wird es indes buchstäblich eng. Hörbar wird nämlich, dass Kaufmann mit mehr Kraftaufwand als nötig singen muss. Der Ton, dies als kleiner Ausflug in die Vokaltechnik, kann sich nicht locker auf der Atemsäule entfalten, wird stets etwas gestaut oder überspannt. Was also vordergründig als Dramatik verführen mag, ist eigentlich Ergebnis eines Defekts.

Dass Jonas Kaufmann mit dieser Eigenart auch passabel umgehen kann, beweisen die beiden Eingangsnummern der CD: Wagners Lohengrin. Aus der Stimmtradition dieses italienischsten der deutschen Helden fällt Kaufmann heraus. Wo sonst gern der lyrisch-ätherische, im Falle von Kollege Klaus Florian Vogt zuweilen sogar keimfreie Ton vorherrscht, ist Kaufmanns Schwanenritter ein Recke von dieser Welt. Die Piano-Strecken der „Gralserzählung“ driften nicht ins künstelnde bis selbstverliebte Säuseln, sind klanglich geerdet, die Schlusssteigerung gelingt imponierend: ein Held, dem man den Lover plus die mögliche Anführerrolle der deutschen Truppen gegen „des Osten Hordens“ sofort abnimmt. Und das weckt folglich größte Erwartungen – nicht nur bei der Münchner Festspiel-Premiere, sondern auch ein Jahr später am Grünen Hügel: Kaufmann übernimmt 2010 den Lohengrin in der Bayreuther Neuinszenierung von Hans Neuenfels. Bis dahin kann er sich ja noch etwas freigesungen haben.






 
 
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