Opernglas, März 2014
M. Wilks
 
Parsifal
Auf den ersten Blick scheint es sich bei dem Mitschnitt von Richard Wagners »Parsifal« aus der New Yorker Metropolitan Opera um eine statuarische, wenig spezifische Produktion zu handeln. Doch schon bald beginnen die ruhige, aber keinesfalls spannungslose Personenführung und die schlichte, aber durchaus wirkungsvolle Bühnenausstattung zu fesseln. Die Nähe der Kamera zu den Akteuren ist wegen der souveränen Sing- und Spielweise der Solisten ein Gewinn. Vermutlich ist es dem Bildregisseur nicht leicht gefallen, die oft dunkle Szenerie bildschirmgeeignet einzufangen. Wenn Jonas Kaufmann mit freiem Oberkörper die Wandlung der Titelfigur glaubhaft nachzeichnet, dient das dem Drama und nicht potenziell voyeuristischer Tendenzen — zumal er im dritten Akt gerade auch als ergrauter Parsifal eine gute Figur macht. Katarina Dalayman als vielschichtige Kundry, Peter Mattei als vollbärtiger, verwundeter Amfortas und Rene Pape als würdevoller, gleichwohl aktiv gestaltender Gurnemanz sind allesamt Figuren unserer Zeit, mit denen Regisseur Franois Girard uns (TV-)Zuschauern das Werk nahe bringen will. Aktualisierung heißt bei ihm Anpassung an Seh- und Erfahrungswelten. Der Regisseur hat sich auf eine Reise durch Wagners letztes Bühnenwerk gemacht, die mit vielen spirituellen Bezügen, Gedanken (insbesondere bei der Ausgestaltung des Abendmahls) und Symbolen für sich einnimmt. Schneeweiß (Kostüme) und blutrot (Körperbemalung, Wunden, Videoprojektionen) sind hier die prägenden Farben. Klingsors Zaubergarten als Fläche vor zwei Gesteinswänden, zwischen denen ein großer Spalt klafft, bietet zusätzlich sexuelle Deutungsmöglichkeiten, zumal Kundrys Bett inmitten einer riesigen Blutlache Erinnerungen an den Venusberg weckt. Ohne im dritten Akt in aschgraue Endzeitstimmung zu verfallen, thematisieren Girard, Bühnenbildner Michael Levine und Kostümbildner Thibault Vancraenenbroeck ohne pädagogischen Zeigefinger den Umgang der Menschen mit der Natur. Da ist einerseits die vertrocknete braune Erde als Spielfläche, andererseits offenbaren die Gesteine eine archaische Schönheit, und die geschickten Videoprojektionen von Wolkenformationen und Himmelserscheinungen verdeutlichen Größe und Überlebenskraft der Natur. Insbesondere in der deutlich schärferen Bluray-Version können diese Bilder überzeugen, zumal man dank des Kamerakrans immer wieder aus der Vogelperspektive und aus nächster Nähe auf die Protagonisten blicken kann.

Auch musikalisch besitzt dieser im März 2013 in die Kinos übertragene »Parsifal« seine Meriten. Daniele Gatti polarisiert wegen seiner oft am Klang orientierten, langsamen Interpretationen, in New York hingegen wurde er vom Publikum bereits zu Beginn des 3. Aufzugs gefeiert. Das bestens disponierte Metropolitan Opera Orchestra ist ja einen langsamen Wagner gewohnt und harmoniert mit Gatti, der wiederum klug gestaltet und trotz schöner Klänge es nicht an Wucht und Dramatik fehlen lässt.

Bezüglich der Sängerbesetzung festigt die „Met" ein weiteres Mal den Status als womöglich bestes Opernhaus der Welt. Schöner und zugleich differenzierter als Jonas Kaufmann singt derzeit keiner die Titelpartie. Auch wenn die Stimme in den dramatischen Momenten des zweiten Aufzuges an Grenzen kommt und etwas von ihrem typischen Klang verliert, bestechen der kluge Umgang mit Wort und Ton. Mir persönlich imponiert der Schluss, wenn der unverbraucht klingende Tenor mit Kraft und großer Autorität „Enthüllet den Gral" singt, um dann bei „öffnet den Schrein!" in ein klangvolles Piano zurückzugehen, das in das orchestrale Finale überleitet. Mit René Pape wurde auch als Gurnemanz ein Sänger gefunden, der über einen edlen Stimmklang verfügt und bei deutlicher Diktion spannungsreich singt. So vergehen Gurnemanz' lange Ausführungen fast wie im Fluge. Peter Mattei beziehungsweise sein Amfortas wurde von der Regie etwas stiefmütterlich behandelt, und dennoch kommt das starke musikdramatische Talent des Sängers nebst attraktivem Timbre ausgezeichnet zur Geltung. Evgeny Nikitin legt als Klingsor viel Kraft in seinen wirkungsvollen Bariton, und Katarina Dalayman gewinnt mit ihrem dunklen, gereiften Sopran (zumindest für eine Zeit lang) nicht nur Parsifals Herz. Zwar kann man eine Kundry wilder und textlich prägnanter singen, doch mit vielen schönen Pianostellen und sicheren Höhen vermag Dalayman zu punkten.
 






 
 
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