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BR Klassik |
von Volkmar Fischer |
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„EIN GROSSER WURF MIT JONAS KAUFMANN IN DER TITELROLLE |
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ALBUM DER WOCHE – VERDI: "OTELLO" |
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Sendung: "Piazza" am 27. Juni 2020, 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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Jonas
Kaufmann hat mit der mörderischen Verdi-Partie des eifersuchtsgeplagten
Helden Otello bisher nicht nur an der Bayerischen Staatsoper Erfolg gehabt,
sondern zuvor auch schon am Royal Opera House Covent Garden: bei seinem
Rollendebüt im Juni 2017. Zwei Jahre danach, im Sommer 2019 in Rom, entstand
diese CD mit Kaufmann in der Titelpartie, und wie zuvor in London liegt die
musikalische Leitung bei Antonio Pappano.
DER CD-TIPP ZUM ANHÖREN
Jonas Kaufmanns Otello bestätigt das Altbekannte: Den weichen Kern harter
Männer signalisiert Kaufmann gern durch fahl aus dem Gaumen kommende Laute.
Im Piano-Sektor mangelt es der Stimme an klanglicher Dichte, tragfähiger
Substanz. Doch powert der baritonal grundierte Tenor robust wie ein
Gewichtheber, lässt er vokal die Muskeln spielen – so findet er zu
stattlicher Eloquenz. Und genießt es, musikalisch effektiv die Wut eines
Menschen malen zu dürfen, der sich betrogen glaubt.
SPITZENBESETZUNG
FÜR JAGO Ein Mann, der sich in die Wahnvorstellung hineinsteigert, seine
Frau sei ihm untreu. Die Glaubwürdigkeit des Stücks steht und fällt aber
nicht mit dem Tenor, sondern mit dem Bariton: mit der Statur des
Intriganten! Bei der Neueinspielung war auch und gerade für Jago eine
Spitzenbesetzung am Start. Der Spanier Carlos Álvarez schafft es mit
Leichtigkeit, bedrohlich dämonische Farben auszubreiten – mit dem Ziel, dem
neidischen Typen angemessen mephistophelische Züge zu verleihen.
VERNÜNFTIGE BALANCE ZWISCHEN NOTENTEXT UND EMOTION Dem Dirigenten dieser
Aufnahme merkt man an, dass er seinen Verdi allgemein gut und gerade
"Otello" bis in kleinste Verästelungen hinein kennt. Antonio Pappano hat das
rechte Augenmaß für eine vernünftige Balance zwischen Notentext und Emotion:
schon damals in Covent Garden, zwei Jahre vor dieser römischen
Studioproduktion an der Accademia di Santa Cecilia. Und jetzt gelingt
Pappano, den Eindruck hervorzurufen, als hätten wir es mit dem
spannungsgeladenen Live-Mitschnitt einer kompletten Aufführung zu tun. Als
wäre man die Oper in den zweiwöchigen Aufnahmesitzungen chronologisch
durchgegangen, Seite für Seite der Partitur. Aus Kostengründen war es zwar
wie üblich ein abenteuerliches Springen von hinten nach vorne und zurück –
aber das merkt keiner!
DIE GLAUBWÜRDIGKEIT VON DESDEMONAS PASSIVITÄT
Die Sänger bringen überzeugende Rollenporträts zustande. Und das gilt auch
für Federica Lombardi in der Rolle der Desdemona: Sie entwirft das Bild
einer vollkommen unemanzipierten Frau, und für die Glaubwürdigkeit ihrer
Passivität schadet das überhaupt nicht. Insgesamt ist dieser "Otello"
wirklich ein großer Wurf.
KURZ UND BÜNDIG Dieses Album muss man
haben, weil ... ... es jahrzehntelang keine vergleichbar gute
"Otello"-Aufnahme gab.
Dieses Album hat gefehlt, weil ... ... die
Titelpartie der Oper den aktuellen stimmlichen Eigenheiten und Möglichkeiten
Jonas Kaufmanns tatsächlich entgegenkommt.
Dieses Album lädt ein ...
... zum Nachdenken über den Konflikt und das Wechselverhältnis zwischen Lüge
und Wahrheit – was am Stück liegt, dem Gegenstand der Interpretation.
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