Opernglas, 12/2015
A. Laska
 
Manon Lescaut
Jonas Kaufmann allerorten. Im Kino ist er präsent, im Fernsehen, auf der Opernbühne, und natürlich auch auf dem Tonträgermarkt. Nach neuem Solo-Album und »Aida«-CD-Einspielung ist nun sein Londoner Puccini-Des Grieux aus dem Vorjahr auf DVD erschienen. Und der deutsche Startenor beweist einmal mehr, dass ihm Puccini bestens in der Kehle liegt. Vom breiten baritonalen Fundament der Stimme aus steuert er glanzvolle Spitzentöne an, ohne dass ihn die hohe Tessitura der Rolle je in Bedrängnis bringt. Immer wieder gelingen berückende Piani und Schwelltöne, Legatobögen werden ruhig auf dem Atem geführt, auch wenn die Mimik ab und an eine gewisse Anspannung verrät. Doch ist die stimmliche Prachtentfaltung bei Kaufmann nie Selbstzweck, sondern steht ganz im Dienst der Rollengestaltung, bei der sich schauspielerische und stimmliche Interpretation in idealer Weise ergänzen und durchdringen. So macht er den Wandel vom unbekümmerten Jüngling zum tragisch Scheiternden in beklemmender Weise deutlich, ohne je weinerlich zu wirken.

Auch Kristine Opolais ist eine Singschauspielerin ersten Ranges. Als Girlie im kurzen Kleidchen betritt sie in Jonathan Kents greller Jetztzeit-Fassung die Bühne, färbt die Stimme entsprechend hell und mädchenhaft. Im zweiten Akt — Manon wird in dieser Inszenierung gnadenlos zum Lustobjekt degradiert — mischt sie vorsichtig dunklere Farben bei, lässt im großen Liebesduett die Stimme erstmals leidenschaftlich auflodern. Im Schlussbild dann, hoch oben aufeiner geborstenen Autobahnbrücke irgendwo im Niemandsland, fordert Opolais ihren Sopran bis zum Äußersten. Intensität geht hier auf Kosten der Klangschönheit und überwältigt doch den Zuschauer in ihrer beklemmenden Kompromisslosigkeit.

Großes Augenmerk hat der Regisseur auf die Nebenfiguren gelenkt. So mausert sich Christopher Maltman (auch stimmlich herausragend) vom lässigen Jeans- und Turnschuh-Typen zum Möchtegern-Yuppie in Sakko und Rüschenhemd. Ganz als Biedermann kommt Geronte (Maurizio Muraro) daher und wirkt doch eklig-schmierig in seiner wohlbeleibten Behäbigkeit. Nur der dritte Akt will vom Konzept her nicht richtig aufgehen. Das Defilee der Deportierten gerät zur Reality-Show, von lüsternen Kameras distanzlos verfolgt. Doch wohin werden die Frauen gebracht? Und wohin will Des Grieux mitgenommen werden? Da werden dann doch die Grenzen der Zeitverlegung spürbar.

Hier hält man sich besser an Antonio Pappanos herausragendes Dirigat. Mit Energie und Leidenschaft durchmisst er die Partitur und lässt doch immer wieder Ruhepunkte von berückender Schönheit zu. Und wenn zum Schluss die Akkorde leer und trostlos im Raum stehen bleiben, dann wünscht man sich sehnlichst einen Moment der Stille. Dazu aber muss der Zuschauer selbst den Ausschaltknopf betätigen, denn das Londoner Publikum verleiht seiner Begeisterung sofort lautstark Ausdruck.






 
 
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