Fono Forum, Mai 2017
Thomas Schulz
 
Das Lied von der Erde
 
Stephen Gadd klingt gelegentlich eher wie ein tiefer Tenor, was zwar nicht stört, seiner Interpretation aber auch keine zusätzliche Persönlichkeit verleiht.[Bariton einer anderen neuen Aufnahme des LvdE]

Persönlichkeit hingegen ist etwas, wonach man bei der zweiten Einspielung nicht lange suchen muss: Im Juni 2016 unternahm Jonas Kaufmann im Wiener Musikvereinssaal das Experiment, sowohl die Tenor - als auch die Baritonsätze zu singen - das "Lied von der Erde" also aus einer Hand. Begleitet wurde er dabei von den Wiener Philharmonikern unter der Leitung von - Jonathan Nott, der für Daniele Gatti eingesprungen war. Nott spielt auch hier wieder seine Qualitäten aus, wobei er, vom Orchester unterstützt, mehr aus sich herausgeht als in Bamberg.

Wer von Kaufmanns Interpretation eine One-Man-Show erwartet, ein Fest der Eitelkeit also, wird auf angenehme Weise enttäuscht. Zum einen verfügt der Sänger über die stimmlichen und gestalterischen Mittel, die drei Tenorlieder mit einer solchen Kraft und Leidenschaft zu interpretieren und dabei auch im dichtesten Getümmel noch über dem Orchester in aller Schönheit und Deutlichkeit zu erstrahlen, dass man vielleicht bis zu Fritz Wunderlich zurückgehen muss, um eine ähnliche Idealbesetzung für diese Musik zu finden. Und bei aller Stimmstärke stellt sich Kaufmann stets hinten an. Es kommt ihm darauf an, die Inhalte zu transportieren, nicht seine Fähigkeiten in den Vordergrund zu stellen. Diese grundseriöse, erzählerische Grundhaltung in Verbindung mit mustergültiger Diktion und Intonation ist es auch, die ihn in den Baritonpartien reüssieren lässt, obwohl es ihm hier doch etwas am erforderlichen Volumen mangelt. Was man ebenfalls ein wenig vermisst, ist die unterschiedliche Färbung der Stimmlagen zweier verschiedener Sänger(innen), für die das Werk letztlich geschrieben wurde. Andererseits: Selten hat man das verhauchende "Ewig, ewig" am Schluss weltferner und zugleich inniger vernommen. Zu einer neuen Aufführungstradition wird diese "Ein-Stimmen-Lösung" wohl kaum führen. Doch Kaufmann hat hier ein wahres Husarenstück vollbracht, und dafür gebührt ihm höchster Respekt.






 
 
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