Klassik.com, 3. Oktober 2010
Prof. Dr. Michael Bordt
 
Jonas Kaufmann als irdischer Retter
 
 

Mit Richard Wagners 'Lohengrin' in einer Neuinszenierung von Richard Jones wurden die Opernfestspiele der Bayerischen Staatsoper im Juli 2009 eröffnet. Zu behaupten, die Inszenierung sei umstritten gewesen, wäre beinahe ein wenig euphemistisch, denn die meisten Kritiker lehnten die Produktion rundweg ab. Die mystisch-mythische Dimension von Wagners Werk werde verdiesseitigt, Lohengrin werde auf einen Häuslebauer reduziert und Elsas Vision von Erlösung und Rettung gipfele in dem kleinbürgerlichen Wunsch nach einem rustikalen Ikea-Einfamilienhaus. Aber nicht nur in den Feuilletons, auch im Nationaltheater gab es lautstarke Proteste gegen das Regieteam – und auch gegen das eher kühle und distanzierte Dirigat von Kent Nagano; die Protestrufe wurden aus der DVD, die in der Premierenserie aufgenommen worden ist, offenbar verbannt.

Gewiss sind die Bilder, die Jones für seine 'Lohengrin'-Interpretation findet, zunächst gewöhnungs- und vor allem interpretationsbedürftig, aber je tiefer man sich auf seine mehrdimensionale Lesart einlässt, desto aufregender wird seine Deutung. Während der Ouvertüre zum ersten Akt sieht man Elsa an einer Zeichenstaffel ein Haus konstruieren – ein Einfamilienhaus, das dann tatsächlich Akt für Akt auf der Bühne gebaut wird, im dritten Akt von Elsa und ihrem Gatten bezogen und dann, nachdem Elsa die zerstörerische Frage gestellt hat, von Lohengrin abgefackelt wird. Alles Glück ist sinnfällig dahin. Das Haus – ein Symbol für den Wunsch nach einer heilen Welt, nach Privatsphäre, Individualismus, Sicherheit und Geborgenheit – kontrastiert Jones mit dem totalitären Regime, das in Brabant, das Jones assoziativ im Deutschland der Dreißigerjahre ansiedelt, regiert.

Der Staat hat in Friedenszeiten hochgerüstet und will in den Krieg ziehen. Martialisch, schmerzhaft roh und laut lässt Nagano den Chor im dritten Akt die Kriegsrufe singen. Alles, was der Heerrufer sagt, wird auf zwei runde Monitore übertragen, die oben an der Bühne aufgehängt worden sind und die, wenn der Heerrufer eine Ansage macht, das Volk regelmäßig erstarren lassen (leider ist dieser Effekt nicht so eindrücklich auf der DVD festgehalten worden). Lohengrin erscheint weniger als Retter aus einer anderen Welt, sondern als ein sympathischer Mensch, der mit seinem blau-türkisfarbendem T-Shirt und seiner grauen Jogginghose in auffälligem Kontrast zu den uniformierten Bürgern Brabants steht. Als Zimmermann hilft er Elsa, ihren Traum vom schützenden Haus zu verwirklichen und packt tatkräftig mit an. Dass er über eine überirdische Macht verfügt, zeigt sich an Einzelheiten – an der Art und Weise, wie er im ersten Akt mit Telramund kämpft oder daran, dass er ihn im dritten Akt einfach mit einer gebieterischen Geste zu Fall bringt. Auch sein Lebenstraum ist am Ende zerbrochen.

Weniger schlüssig ist in diesen Erzählstrang die Ortrud-Handlung integriert. Vielleicht liegt es auch an deren Interpretin Michaela Schuster, dass Ortruds dämonischer Wille zur Macht trotz auffällig blond-arischer Perücke nicht adäquat ausgedrückt wird. Bis auf Schuster, die mit unangenehm starkem, im dritten Akt gar schrillem Vibrato singt, sind die Rollen gut bis ausgezeichnet besetzt. Allen voran Jonas Kaufmann in seinem 'Lohengrin'-Debüt. Mit seiner natürliche Ausstrahlung – man glaubt ihm den Zimmermann, die Liebe zu Elsa, die Verzweiflung – und seiner kraftvollen, baritonalen, aber in den Höhen strahlenden und beinahe italienisch geführten Stimme ist er eine Idealbesetzung für diese Produktion. Als Elsa legt Anja Harteros die Partie eher lyrisch an, ist aber auch zu beeindruckend starken Ausbrüchen in der Lage, wenn auch die Textverständlichkeit darunter stets leidet. Wolfgang Koch singt einen kraftvollen Telramund, Christof Fischmesser einen vielleicht etwas blassen König Heinrich. Kent Nagano leitet das Bayerische Staatsorchester kontrolliert. Manchmal würde man sich noch mehr Schwung, mehr Emotionalität statt purer Lautstärke wünschen.

Der Klang der vorliegenden Aufnahme ist leider nicht immer ausgewogen. Der Chor klingt oft hohl und eher aus dem Hintergrund, selbst wenn die Damen und Herren nahe am Orchestergraben stehen. Auch ist die Kameraführung nicht immer gelungen. Dass am Ende der Oper bei den Wehrufen das Volk einen kollektiven Suizid begeht, bekommt man in der Aufzeichnung kaum richtig mit. Auch würde man sich manchmal mehr Ruhe in den Einstellungen wünschen. Wer bereit ist, sich mehrere Stunden Wagners 'Lohengrin' auf DVD anzuschauen, braucht nicht alle paar Sekunden einen Perspektivwechsel, um bei der Sache zu bleiben. Features gibt es leider nicht.






 
 
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