Eines
ist sicher: Mit dieser Aufführung erleben wir die bislang beste Verdi
Leistung des edlen Opern- Gespanns Anja Harteros und Jonas Kaufmann. Ähnlich
wie beim Lohengrin unter Kent Nagano stimmt hier stimmlich einfach alles.
Leider ist die musikalische Leitung (Asher Fisch) so gar nicht auf Augenhöhe
mit der insgesamt herausragenden Sängerbesetzung.
„Wer sich in
Familie begibt, kommt darin um“, hat Heimito von Doderer einmal gesagt.
Dieses Diktum dürfte sich Residenztheaterchef und Regisseur Martin Kušej zu
Herzen genommen haben. Er zeigt in seiner Inszenierung die verstörende Kraft
der vom Ziel her auf Bewahrung programmierten Institutionen
Kirchen/Glaubensgemeinschaften und Sippschaft. Zum zugehörigen Krieg geht
jeder hin, aber es nützt nicht. Es bleiben Ruinen, gesprengtes Gemäuer,
Trostlosigkeit und Tod. Ein guter Ansatz, der jedoch nicht immer mit
stimmigen Regieideen einhergeht.
Optisch ist die Inszenierung
eindringlich intensiv: Ein einfacher Holztisch samt Sesseln im 60-er
Jahre-Stil (Bühnenbild Martin Zehetgruber) bei den Calatravas symbolisiert
den unsympathisch kalten Ort, an, auf und unter dem nicht immer nur lustvoll
gegessen, sondern auch gestritten, geliebt, gehadert und getötet wird. Die
„Geometrie der Liebe“ (Pasolini) hat insofern das Bühnendesign inspiriert,
als die wie Architekturelemente aufgehäuften Kreuze das Unerbittliche von
Liebe, Gesellschaft und Glauben beeindruckend widerspiegeln. Da gibt es noch
Reste von Ruinen (World Trade Center?) und anderen exotisch assoziierten
Bildern, die als Verfremdung ihre Wirkung tun, ohne immer deren Logik und
Stringenz hinterfragen zu dürfen. Die filmischen Mittel erhöhen die
durchwegs große Qualität des Bühnenbilds durch perspektivische Manöver, Zoom
und abstrakt überhöhten Verschmelzens von Mensch und Objekt. (großartige
Leistung von Video Director Thomas Grimm).
Den Filmemachern steht
aber auch eine nicht nur sanglich, sondern auch rein optisch höchst
ansehnliche Besetzung zur Verfügung. Das ungleiche Liebespaar Donna Leonora
und Don Alvaro wird von den wahrlich telegenen deutschen Opernstars Anja
Harteros und Jonas Kaufmann verkörpert. Da werden auch Großaufnahmen und
damit eigentlich das Überschreiten jeglicher Intimitätsgrenze mittels
technischer Möglichkeiten nicht zum Spießrutenlauf verschwitzter
Körperfülle, sondern zu künstlerischen Artefakten sui generis. Die Mimik der
beiden wölbt sich zur expressiv-dramatischen Landschaften der Partitur. Jede
Ausdrucksnuance sei es in den Arien oder Ensembles geht einher mit höchstem
vokalem Differenzierungsvermögen sowie seismischer Übertragung der Affekte
in Geste und Ton. Gerade Jonas Kaufmann ist darstellerisch dort am
stärksten, wo es ihm die Musik erlaubt, sich komplett zugunsten den
Fährnissen der Figur fallenzulassen.
Anja Harteros liegt in ihrer
leicht distanzierten Kühle die verwöhnte Tochter Leonore extrem gut. Von der
Tessitura und Stilistik her ist ihr diese Rolle auf den Leib geschrieben.
Harteros vollbringt ein wahres Verdi-Wunder, das nahtlos an die höchsten
Vorbilder anschließen kann. Goldene Kuppeltöne, Piani, dramatischer Ausbruch
und rezitativische Entäußerung gehen Hand in Hand mit einer exquisiten
Legatokultur, einem Strömen Lassen und freiem Fließen des edlen
Stimmmaterials. Vielleicht ist es diese überragende Leistung, die die an
diese exemplarische Sängerin gesteckten Erwartungen vor dem Rollendebut als
Aida in nicht erfüllbare Höhen getrieben hat. Jedenfalls stellt ihre Leonore
jeden Zoll eine ideale Rollenverkörperung dar.
Jonas Kaufmann singt
die del Monaco Rolle des Alvaro mit breit geführtem Luxustenor, die Lyrismen
als auch die Dramatik voll auskostend. Auch der Alvaro ist eine seiner
intensivsten Auseinandersetzungen mit einer Verdi-Rolle, kein Risiko und
kein stimmliches Grenzgängertum scheuend.
Sein Wiedersacher, der Sohn
des „schicksalhaft“ getöteten Marchese di Calatrava (schönstimmig orgelnd
Vitalij Kowaljow) und Bruder Leonoras, Don Carlos die Vargas, wird von
Ludovic Tézier prachtvoll gesungen. Sein französischer Kavaliersbariton
verfügt sowohl über die draufgängerische Kraft als auch den glühenden Kern,
um vollends reüssieren zu können. Als Figur ist er sowieso ein
Vollbut-Bühnentier. Renato Girolamis Fra Melitone ist eine Klasse für sich
und überzeugt anrührend in den buffonesken Teilen dieser seltsam schönen
Oper. Als Padre Guardiano ist Vitalij Kowaljow einmal mehr das auch
stimmlich geerdete Gravitationszentrum der Oper. Nadia Krasteva kommt mit
dem „Rataplan“ gut zurecht, weniger stereotype Bewegungen und plakative
Darstellung hätten ihr aber gut getan.
Das seltsam schlaffe und wenig
inspirierte, indifferente Dirigat ist der Schwachpunkt dieser Aufführung.
Schade. Solch eine Besetzung hätte einen Maestro allerersten Ranges
verdient. |