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Die Welt, 02.10.14 |
Von Kai Luehrs-Kaiser |
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Heldentenor im Séparée |
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Du bist die Welt für mich: Jonas
Kaufmann, "Sexiest Tenor Alive", singt Benatzky, Künneke, Lehár und Stolz |
Das Mikro: etwas zu neu. Die Ballroom-Anmutung auf dem CD-Cover
stimmt auch nicht ganz. Und überhaupt: Was will der Sexiest
Tenor Alive – wenn man Frauen glauben darf – bei Opas Operette?
Bei Künneke, Lehár und Robert Stolz?! Nach neuesten Berliner
Operetten-Überfällen (vor allem an der Komischen Oper) gelten
Leute wie Ralph Benatzky und Paul Abraham zwar wieder als
zeitkritisch rattenscharfe, gegenwartskompatible
Modekomponisten. Aber muss das einen Sänger kümmern, der dem
deutschen Kontext längst entwachsen ist? Und der als männliches
Pendant zu Anna Netrebko gilt. Muss nicht, darf aber. Es ist das
erste Mal, dass keine Schabracken-Schwere und kein Anneliese
Rothenberger-Makeup über der aufsässigsten Musikgattung von
allen ausgebreitet wird. Dass nicht sentimental geschmiert,
sondern das beginnende Scheinwerfer-Zeitalter schmonzettenfrei
wieder heraufbeschworen wird. Es ist das erste Mal seit
Ewigkeiten, dass die Operette wieder taufrisch klingt.
Woran liegt's? Jonas Kaufmann singt Lehárs "Dein ist mein ganzes
Herz", als wäre es für den Tonfilm gemacht. Und Hans Mays "Ein
Lied geht um die Welt", als wäre es der Anfang der elektrischen
Ära der "Radio Days" – was historisch ja auch nicht falsch ist.
Als Tanzball auf dem Vulkan. Aber dieser Hexenkessel war eben
auch nicht nur dem Untergang geweiht und seit dem NS – weil die
meisten Operetten-Komponisten Juden waren – weitgehend verboten.
Sie bildeten trotzdem den Anfang einer abschüssigen,
unterhaltungsversessenen Schlager-Rutschbahn, die bis heute
andauert. Kaufmann singt, als wäre die Welt von damals nicht
einfach nur untergegangen. Sondern als hätte sie sehr hübsch
weiter gekeimt.
Schön auch, dass Kaufmann hier endlich
einmal nicht den dauererregten Lover geben muss, zu dem er sonst
– selbst bei der "Winterreise" – gelegentlich neigt. Er nimmt
sich zurück. Lange klang Kaufmann nicht so loungehaft
hingegossen, spontan aufgekratzt und entspannt. Übrigens tragen
die Arrangements, die man Titeln von Heymann, Benatzky, Stolz
und Spoliansky angedeihen ließ, erheblich dazu bei, dass sie
moderner, stromgeladener und verswingter klingen denn je. Die
Neu-Instrumentierungen von Andreas N. Tarkmann – und die
Lässigkeit, mit der sie vom Berliner Rundfunksinfonieorchester
umgesetzt werden – sind der geheime Schlüssel dieses Erfolgs.
Vielleicht auch Erfahrung? Jonas Kaufmann war eigentlich ein
Karriere-Spätzünder. Er ist heute 45 Jahre alt. Und hat schon in
seine Anfängerjahren vor über zwei Jahrzehnten in Regensburg und
Saarbrücken – damals noch ohne Dreitagebart! – den Caramello in
der "Nacht in Venedig" und Alfred in der "Fledermaus" gesungen.
"Da musste man eben auch Walzer tanzen und Dialog sprechen
können", so Kaufmann im Gespräch. Damals habe die Diva des
Hauses noch gewusst, "wie man als 'Lustige Witwe' oder
'Csardasfürstin' einen effektvollen Auftritt hinlegt. Ich finde
es schade, dass das jetzt Spezial-Können sein soll." Und: "Eines
darf man nicht vergessen: Die großen Sopran- und Tenorpartien
von Lehár und Kálmán sind sicher nicht weniger anspruchsvoll als
Puccini."
Fragt sich, ob die Vielseitigkeit heutiger
Tenöre nicht ohnehin besser ist als ihr Ruf. Nicht nur Jonas
Kaufmann leistet sich mit "Du bist die Welt für mich" einen
traumwandlerisch leichtfüßigen Schritt vom Wege. Parallel haben
gerade die italienische Schmusebacke Vittorio Grigolo und das
peruanische Tenor-Schätzchen Juan Diego Flórez mit zwei
französischen Alben bewiesen, auf welch hohem Niveau heute stil-
und sprachübergreifend gesungen wird. Grigolo ("The Romantic
Hero", Sony) schmachtet als Werther und Roméo ohne
Drüsenüberfunktion geschmackssicher in Richtung Séparée. Und
Flórez hat auf seinem Album "L'amour" französische Idiomatik mit
einem solchen Zuwachs an Schallkraft und chromblitzender Verve
versehen, dass man nicht länger den großen Zeiten von Nicolai
Gedda und Alfredo Kraus hinterher trauern muss. Die jetzigen
drei von der Hohen C-Tankstelle verheißen einen akuten
Tenor-Frühlingsausbruch.
Dass Kaufmann & Co. so gut
abschneiden, liegt genau daran, dass sie die eigenen Vorgänger
scharf im Blick haben. Über das heikle "Lied vom Leben des
Schrenk" aus "Die große Sünderin" etwa sagt Jonas Kaufmann:
"Nach Helge Rosvaenge haben nur noch Rudolf Schock und Fritz
Wunderlich diesen Titel von Künneke gesungen." Er weiß auch
warum. "Kein Stück hat mich in den letzten Jahren so gefordert
wie dieses; dagegen sind die Monologe des Otello fast ein
Spaziergang."
Was die Operette angeht, so hat die lange
Auszeit, die man dieser verachteten Gattung gönnte, auch eine
Geschmacks-Ausnüchterung bewirkt. "Bei den tragischen Operetten
Lehárs, vor allem im 'Land des Lächelns'", so Kaufmann, "sollte
man Schluchzer nur wohldosiert verwenden, sonst wird's wirklich
zu schmalzig." Süßspeisen als Diät? Sowohl den Su-Chong wie auch
den Tassilo in der "Gräfin Mariza" könnte sich Kaufmann sogar
auf der Bühne vorstellen, wie er sagt. "Für dieses Album",
resümiert er, "brauchte ich die ganze vokale Skala: von der
Schmusestimme à la Peter Alexander bis zum Heldentenor." Die
Heroen hat er vielfach schon hinter sich. Bald kommt der
"Badewannentango".
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