Wiener Zeitung, 24.9.2014
Von Christoph Irrgeher
 
Die Verführungsgewalt des Hauchs
Ohrwurmalarm: Opernstar Jonas Kaufmann säuselt Schlager aus der Zwischenkriegszeit.
Es ist schon länger her, da kam eine Online-Kollegin mit einem Vorschlag ins Zimmer: Wie wäre es, wenn wir eine Galerie mit den schönsten Operntenören zusammenstellen würden? - Klar, warum nicht. Wobei: Es müsste diese Liste mit einem gewissen Augenzwinkern einhergehen (man male sich nur die Reaktion aus, wenn es da um Frauen ginge!). Dass das Herrenranking bis heute nicht online steht, hat allerdings einen trivialen Grund: Wie, um Gottes willen, eine Reihenfolge der Beaux aufstellen?

Klar wäre nur, wer an Position eins stehen muss. Nämlich Jonas Kaufmann. Der Weltstar aus München ist nicht bloß in Besitz eines saftigen Tenors, den er in höheren Dezibelgraden gern schluchzig führt und damit für ein gerüttelt Maß an "Italianità" sorgt. Es liegt auch am Restkörper des 45-Jährigen, dass das Beben seiner Stimme wohligen Widerhall in der Hörerschaft findet. Von schlankem Wuchs und Gesichtszügen, die nicht nur dem südlichen Gesangsstil gut anstehen, ist Kaufmann das Aphrodisiakum für die Bildungsbürgerin von heute.

Für sein neues Album (begleitet vom RSO Berlin unter Jochen Rieder) ist dies nicht unwesentlich. "Du bist die Welt für mich" (Sony) ist ein Exkurs in die Schlagerwelt der Zwischenkriegszeit - eine Zeit also, in der Tenöre noch Hitparaden und Liebesträume füllten, indem sie den Damen "ein blaues Himmelbett" versprachen oder ihnen, hach!, picksüße Grüße nach Wien übersandten.

Was an Kaufmanns Sichtung der Tonfilm- und Operettenohrwürmer am meisten überrascht, ist die Drosselung seines Opernorgans. Es hat dies jenen Effekt, den man von amerikanischen "Croonern" kennt: je sanfter der Ton, desto größer die Verführungsgewalt. Solcherart säuselnd, gelingen Kaufmann steinerweichende Interpretationen von Nummern wie "Gern hab’ ich die Frau’n geküsst"; bei passender Gelegenheit ("Freunde, das Leben ist lebenswert") spannt er seine Opernmuskel aber doch heldisch an. Stimmt zwar: Mancher Oldie ("Ein Lied geht um die Welt") klingt aus originaler Kehle (Joseph Schmidt) charmanter, weil schlichter. Dennoch: Effektsicherer, präziser und nuancierter wird all dies selten gesungen.










 
 
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