Der Neue Merker
Dr. Ingobert Waltenberger
 
Verdis Politthriller als hoch ästhetisierender Opernfilm mit Jonas Kaufmann und Anja Harteros
Ja es lohnt sich, diese Videoversion des Don Carlo zu kennen. Allein schon wegen der besonders auf Blu-ray ohne Einschränkung zu genießenden atemberaubenden Ton- und Bildtechnik. Und der musikalischen Qualität, die diese 280 Minuten der 5-aktigen Fassung von Verdis Prachtpartitur so unvergleichlich machen. Antonio Pappano, der musikalische Chef von Covent Garden, versteht es wie kein anderer seit James Levine an der Met (und natürlich Karajan an der Wiener Staatsoper), Opern rein aus der musikalischen Substanz heraus zu klingenden Kathedralen zu bauen. Zum Glück des Zuhörers und wohl auch der Interpreten. Was die Wiener Philharmoniker hier an orchestraler Differenzierungskunst stets dem dramaturgischen Sinn geweiht in das Große Festspielhaus und jetzt in die Wohnzimmer der Melomanen zaubern, ist große Klasse. Und Pappano, den man manchmal auch von ganz nah dabei beobachten darf, mit welchem Fluidum an Mimik, eleganter Gestik und Konzentration er den edlen Klangkörper und die Sängerschar zu so einer Höchstleistung anhält.

Von der Besetzung her ist dem scheidenden Intendanten Alexander Pereira mit der Besetzung des Philipp II wohl der größte Coup gelungen. Matti Salminen verkörpert die politische Dimension und die menschliche Katastrophe wie kein anderer. Natürlich haben Siepi und Ghiaurov „schöner“ gesungen, aber jeder kleinste Seiten-Blick Salminens, jedes Zucken seiner Lider packt einen direkt an der Gurgel. Instinktiv erahnt der Zuseher das Funktionieren des großen Räderwerk der Macht, das alle zermahlt und zermalmt, die sich da hineinbegeben. Auch Salminens Stimme ist im Laufe der Jahre eher noch interessanter geworden. Wo die Stimme bricht, da soll sie es auch. Philipps große Soloszene eines ewig Ungeliebten gleicht in ihrer Wahrhaftigkeit einer Schlucht ohne Boden. Videodirektorin Agnes Méth hat dem großen Sänger mit dieser Aufzeichnung und dem im übrigen immer gekonnten Schnitt ein Monument errichtet.

Aus politischer Ratio wurde die Ehe Philipp II mit Elisabeth von Valois geschlossen. Diese Dimension des Dramas geht in Peter Steins Inszenierung gut auf. Auf der Strecke bleiben liebende Seelen und rebellischer Übermut. Anja Harteros darf als spanische Königin einmal mehr zeigen, welch wunderbar sensible Darstellerin und Verdi- Interpretin sie ist. Ihre in der unteren Mittellage etwas unruhige Stimme blüht nach oben hin regelrecht auf und lässt mit melancholischen Kuppeltönen das wahre Ausmaß ihres Verzichts spüren. Um Krieg und Leid zu verhindern, hat sie sich in freier Wahl bewusst für eine politische Ehe und damit für privates Unglück entschieden. Als nunmehrige Stiefmutter des einstigen Verlobten Carlo ist ihre Liebe wahrlich unmöglich geworden. Jonas Kaufmann muss den Infanten nach dem Willen der Regie offenbar am historischen Vorbild und weniger an Schiller bzw. der Verdischen Partitur orientieren. Schade. Sein Carlo ist ein zerstreutes Nervenbündel, ständig nestelt er mit den Fingern an irgend etwas herum, die Arme schlankern ungelenk. Einer, mit dem man von der ersten Minute Mitleid haben könnte. Nur soll Carlo ja auch ein rebellischer Held sein, der sich politisch für die Freiheit Flanderns engagiert und damit Hochverrat begeht. Vom dunklen elegischen Klang her ist Jonas Kaufmann richtig besetzt, der Carlo ist rein stimmlich – von einigen angeschluchzten Tönen abgesehen – für mich seine beste Verdi-Rolle. Als Figur bleibt er in dieser Inszenierung seltsam unentschieden und blass. Das Schicksal eines Künstlers, der alles, aber nicht alles gleich gut kann? Am eindringlichsten ist Kaufmann in seinen Szenen mit Posa. Thomas Hampson liefert ein übermächtiges Portrait des Rodrigo, vereint all das, was er in seiner außerordentlichen Sängerkarriere an Erfahrung durchlebt hat. Mit stupender Musikalität und einem schauspielerischen Arsenal ohne Gleichen durchmisst er das Leben und Sterben dieser wohl humansten Figur in Verdis Oper. Hampson ist damit dramaturgischer Gegenpol zu der aus Eifersucht intriganten Prinzessin Eboli, die von Ekaterina Semenchuk genau so gesungen und präsentiert wird, wie man das von einem Weltklasse Mezzo erwartet.

Das gespenstisch schaurige politische Kräftemessen zwischen königlicher Macht und der Macht der Kirche gewinnt bekanntlich der Großinquisitor für sich. Eric Halfvarson als todbringender Bote der Finsternis liefert den adäquaten Gegenpart zum großartigen Matti Salminen. Robert Lloyd darf als Mönch (Karl V) am Beginn des 2. Akts folgende Worte singen, die als Programm des ganzen Stücks gelten: „Er wollte über die Welt herrschen und vergaß dabei den, der im Himmel den Gestirnen ihren Weg weist. Sein Stolz war grenzenlos, sein Wahn war groß. Gott allein ist groß, wenn er es will, macht er Himmel und Erde beben.“ Welch unheimliche Parallele zu dem, was gerade in Teilen dieser Welt geschieht.

Maria Celeng als Tebaldo, Kiandra Howarth als Stimme vom Himmel und Benjamin Bernheim als Graf Lerma ergänzen das wunderbare Ensemble. Die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor unter der Leitung von Jörn Hinnerk Andresen sorgt für den Cinemascope Sound zur Bühne, die Massenszenen von Chor und Statisterie sind handwerklich bestens choreographiert (Lia Tsolaki).

Sony bringt diesen Don Carlo und andere Opernproduktionen im Vergleich zu anderen Labels sehr kostengünstig heraus. Eine BD mit 4 Stunden Musikvergnügen kostet kaum mehr als eine einzige herkömmliche Vollpreis-CD. Ein Grund mehr, sich für das System Blu-ray zu entscheiden, zumal der akustische und optische Zugewinn im Vergleich zur DVD Standardtechnik stupend sind. Eine klare Kaufempfehlung.






 
 
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