Ja
es lohnt sich, diese Videoversion des Don Carlo zu kennen. Allein schon
wegen der besonders auf Blu-ray ohne Einschränkung zu genießenden
atemberaubenden Ton- und Bildtechnik. Und der musikalischen Qualität,
die diese 280 Minuten der 5-aktigen Fassung von Verdis Prachtpartitur so
unvergleichlich machen. Antonio Pappano, der musikalische Chef von
Covent Garden, versteht es wie kein anderer seit James Levine an der Met
(und natürlich Karajan an der Wiener Staatsoper), Opern rein aus der
musikalischen Substanz heraus zu klingenden Kathedralen zu bauen. Zum
Glück des Zuhörers und wohl auch der Interpreten. Was die Wiener
Philharmoniker hier an orchestraler Differenzierungskunst stets dem
dramaturgischen Sinn geweiht in das Große Festspielhaus und jetzt in die
Wohnzimmer der Melomanen zaubern, ist große Klasse. Und Pappano, den man
manchmal auch von ganz nah dabei beobachten darf, mit welchem Fluidum an
Mimik, eleganter Gestik und Konzentration er den edlen Klangkörper und
die Sängerschar zu so einer Höchstleistung anhält.
Von der
Besetzung her ist dem scheidenden Intendanten Alexander Pereira mit der
Besetzung des Philipp II wohl der größte Coup gelungen. Matti Salminen
verkörpert die politische Dimension und die menschliche Katastrophe wie
kein anderer. Natürlich haben Siepi und Ghiaurov „schöner“ gesungen,
aber jeder kleinste Seiten-Blick Salminens, jedes Zucken seiner Lider
packt einen direkt an der Gurgel. Instinktiv erahnt der Zuseher das
Funktionieren des großen Räderwerk der Macht, das alle zermahlt und
zermalmt, die sich da hineinbegeben. Auch Salminens Stimme ist im Laufe
der Jahre eher noch interessanter geworden. Wo die Stimme bricht, da
soll sie es auch. Philipps große Soloszene eines ewig Ungeliebten
gleicht in ihrer Wahrhaftigkeit einer Schlucht ohne Boden.
Videodirektorin Agnes Méth hat dem großen Sänger mit dieser Aufzeichnung
und dem im übrigen immer gekonnten Schnitt ein Monument errichtet.
Aus politischer Ratio wurde die Ehe Philipp II mit Elisabeth von
Valois geschlossen. Diese Dimension des Dramas geht in Peter Steins
Inszenierung gut auf. Auf der Strecke bleiben liebende Seelen und
rebellischer Übermut. Anja Harteros darf als spanische Königin einmal
mehr zeigen, welch wunderbar sensible Darstellerin und Verdi-
Interpretin sie ist. Ihre in der unteren Mittellage etwas unruhige
Stimme blüht nach oben hin regelrecht auf und lässt mit melancholischen
Kuppeltönen das wahre Ausmaß ihres Verzichts spüren. Um Krieg und Leid
zu verhindern, hat sie sich in freier Wahl bewusst für eine politische
Ehe und damit für privates Unglück entschieden. Als nunmehrige
Stiefmutter des einstigen Verlobten Carlo ist ihre Liebe wahrlich
unmöglich geworden. Jonas Kaufmann muss den Infanten nach dem Willen der
Regie offenbar am historischen Vorbild und weniger an Schiller bzw. der
Verdischen Partitur orientieren. Schade. Sein Carlo ist ein zerstreutes
Nervenbündel, ständig nestelt er mit den Fingern an irgend etwas herum,
die Arme schlankern ungelenk. Einer, mit dem man von der ersten Minute
Mitleid haben könnte. Nur soll Carlo ja auch ein rebellischer Held sein,
der sich politisch für die Freiheit Flanderns engagiert und damit
Hochverrat begeht. Vom dunklen elegischen Klang her ist Jonas Kaufmann
richtig besetzt, der Carlo ist rein stimmlich – von einigen
angeschluchzten Tönen abgesehen – für mich seine beste Verdi-Rolle. Als
Figur bleibt er in dieser Inszenierung seltsam unentschieden und blass.
Das Schicksal eines Künstlers, der alles, aber nicht alles gleich gut
kann? Am eindringlichsten ist Kaufmann in seinen Szenen mit Posa. Thomas
Hampson liefert ein übermächtiges Portrait des Rodrigo, vereint all das,
was er in seiner außerordentlichen Sängerkarriere an Erfahrung durchlebt
hat. Mit stupender Musikalität und einem schauspielerischen Arsenal ohne
Gleichen durchmisst er das Leben und Sterben dieser wohl humansten Figur
in Verdis Oper. Hampson ist damit dramaturgischer Gegenpol zu der aus
Eifersucht intriganten Prinzessin Eboli, die von Ekaterina Semenchuk
genau so gesungen und präsentiert wird, wie man das von einem Weltklasse
Mezzo erwartet.
Das gespenstisch schaurige politische
Kräftemessen zwischen königlicher Macht und der Macht der Kirche gewinnt
bekanntlich der Großinquisitor für sich. Eric Halfvarson als
todbringender Bote der Finsternis liefert den adäquaten Gegenpart zum
großartigen Matti Salminen. Robert Lloyd darf als Mönch (Karl V) am
Beginn des 2. Akts folgende Worte singen, die als Programm des ganzen
Stücks gelten: „Er wollte über die Welt herrschen und vergaß dabei den,
der im Himmel den Gestirnen ihren Weg weist. Sein Stolz war grenzenlos,
sein Wahn war groß. Gott allein ist groß, wenn er es will, macht er
Himmel und Erde beben.“ Welch unheimliche Parallele zu dem, was gerade
in Teilen dieser Welt geschieht.
Maria Celeng als Tebaldo,
Kiandra Howarth als Stimme vom Himmel und Benjamin Bernheim als Graf
Lerma ergänzen das wunderbare Ensemble. Die Konzertvereinigung Wiener
Staatsopernchor unter der Leitung von Jörn Hinnerk Andresen sorgt für
den Cinemascope Sound zur Bühne, die Massenszenen von Chor und
Statisterie sind handwerklich bestens choreographiert (Lia Tsolaki).
Sony bringt diesen Don Carlo und andere Opernproduktionen im
Vergleich zu anderen Labels sehr kostengünstig heraus. Eine BD mit 4
Stunden Musikvergnügen kostet kaum mehr als eine einzige herkömmliche
Vollpreis-CD. Ein Grund mehr, sich für das System Blu-ray zu
entscheiden, zumal der akustische und optische Zugewinn im Vergleich zur
DVD Standardtechnik stupend sind. Eine klare Kaufempfehlung.
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