NDR Kultur, 20.3.2009
Vorgestellt von Dieter Kranz
 
MADAMA BUTTERFLY
Zwar gibt es für Neuaufnahmen der "Madama Butterfly" eigentlich keinen dringenden Bedarf. Aber wenn man erfährt, dass Angela Gheorghiu und Jonas Kaufmann hier mit dem jungen Dirigenten Antonio Pappano und dem Orchester der Academia Nationale di Santa Cecilia zusammenwirken, dann darf man schon neugierig werden. Tatsächlich gelingt es der kapriziösen Diva und dem vielseitigen Tenor, das Werk dem Hörer frisch und neu zum Erlebnis zu machen.

Kritische Neubewertung allein durch die Stimme

Das geschieht freilich auf andere Weise als erwartet: Man kennt die ungewöhnliche Fähigkeit des Tenors Jonas Kaufmann, das Denken und Fühlen der Figuren Klang werden zu lassen. Aber solche musikalische Seelenerforschung ist bei Pinkerton nicht gefragt. Es hätte Kaufmanns Grundkonzept und seinen technischen Möglichkeiten viel mehr entsprochen, den "charming boy" zu charakterisieren, der nicht nur sein Verführungsvokabular durch buchstabiert, sondern auch ehrlich hingerissen ist von der fremdartigen Schönheit, die ihm da serviert wird. Aber unter der Leitung von Antonio Pappano tut er genau das Gegenteil. Wo es die Partitur nur immer erlaubt, kehrt er den grobschlächtigen Macho heraus, der sich auf keinen Fall den Spaß an dem eingefädelten erotischen Abenteuer verderben lassen will. Und damit erreicht er allein mit der Stimme dieselbe kritische Neubewertung des Pinkerton, die mit den Mitteln des Musiktheaters auf der Bühne schon viel früher durchgesetzt wurde.

In dieser ungleichwertigen Partnerschaft verteidigt die Butterfly der Gheorghiu ihre Menschenwürde von vornherein auf verlorenem Posten, so dass die große Schluss-Szene des ersten Akts (fälschlich "Liebesduett" genannt) einen Unterton von absurder Komik und Tragik bekommt, ohne dabei an Charme und Poesie zu verlieren. Die beiden scheinen zusammen und gleichzeitig aneinander vorbei zu singen.

Großes tragisches Format im zweiten Akt

Großes tragisches Format gibt Gheorghiu der Butterfly im zweiten Akt, vor allem in ihrer Arie. Und die nicht gerade an übertriebener Bescheidenheit leidende Sängerin kann auch ihre Behauptung beweisen, sie habe von Anfang an die Fähigkeit gehabt, nicht die Noten zu singen, sondern die Worte und die dahinter verborgenen Gefühle, wie in der kurzen Szene, in der für Butterfly die Welt zusammenbricht. "Alles ist zu Ende. Für mich gibt es nichts mehr." Das sind nur zehn Sekunden, aber die prägen sich dank der schlichten Wahrhaftigkeit der Gheorghiu ein als ein großer Moment existentieller Verzweiflung.

Pappanos Interpretation wird möglicherweise Widerspruch finden, denn sie ignoriert konsequent alles nur Gefällige. Wer jedoch bereit ist, sich auf eine ganz neue "Butterfly"-Deutung einzulassen, der wird in dieser einzigen Studio-Neuproduktion des Puccini-Jahres viel Anregendes finden.






 
 
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