Opernglas, September 2014
M. Wilks
 
Ariadne auf Naxos
Eine ungewohnte »Ariadne auf Naxos« gab es im Sommer 2012 bei den Salzburger Festspielen zu erleben (OG 9/2012). Ganz im Stil eines spartenübergreifenden Projekts wurde Strauss' Oper in einer über drei Stunden langen Version gespielt, die der kaum bekannten, exakt 100 Jahre alten Urfassung nahe kam. Also eine bunte Mischung aus Oper, Schauspiel und Ballett, und zwar im ersten Teil mit Hugo von Hofmannsthals Bearbeitung von Molières Komödie „Der Bürger als Edelmann" (statt des üblichen Vorspiels), die episodisch von Strauss' gleichnamiger Orchestersuite untermalt wird. Im zweiten Teil dann die Oper in der Originalfassung, die für Kenner des Werkes im Detail einige interessante Unterschiede aufweist. Allerdings, und dieser Eindruck verstärkt sich bei der Wiederbegegnung der Produktion auf DVD, war die erste Fassung vergleichsweise schwach. Die bekannte Version von 1916 ist nicht nur prägnanter und dank der neuen Gesangspartie des Komponisten emotionaler, sondern vor allem im Vorspiel deutlich kurzweiliger als das oft belanglose Voranschreiten der Handlung in der 1912er-Version. Gleichwohl ist es Sven-Eric Bechtolf (Regie) und seinem Team um Marianne Glittenberg (Kostüme) und Rolf Glittenberg (Bühne) gelungen, die Urfassung aufzuwerten, indem sie Hugo von Hofmannsthal in das Stück einbauen, der seiner Angebeteten, der Witwe Ottonie, eine neue Oper vorstellt. Sie basiert auf Molières „Bürger als Edelmann" und nennt sich „Ariadne auf Naxos". Hugo erzählt so plastisch, dass die Geschichte um den reichen, aber ungebildeten Monsieur Jourdain scheinbar real wird. Dessen mangelnde Kultiviertheitverursachtdas Ariadne-Experiment (Vermischung von Oper und Tanzmaskerade). Regina Fritsch (Ottonie), Michael Rotschopf (Hofmannsthal), Cornelius Obonya (Jourdain), Thomas Frank (Komponist) und Peter Matić (Haushofmeister) spielen bravourös und tragen trotzder Schwächen der Originalfassung zum Gelingen bei. Mit einem repräsentativen, geschickt veränderbaren Raum und pfiffigen Kostümen bieten Marianne und RolfGlittenbergden perfekten äußeren Rahmen für ein Festspielexperiment — unter anderem mit zerstörten Konzertflügeln als wüste Insel und ein Leopardenfell für Jonas Kaufmann.

Der stärkste Unterschied zur üblichen »Ariadne« zeigt sich in der Partie der Zerbinetta, die in der Szene „Großmächtige Prinzessin" brillanter und letztendlich übertrieben virtuos angelegt ist. Elena Moşuc singt diesen aberwitzigen Part souverän — zwar nicht mit letzter Präzision, aber sie und ihr ausdrucksstarker lyrischer Sopran bieten eine große Show. Eher ungewöhnlich besetzt wurde die Titelpartie mit Emily Magee, die eben nicht über den typischen Silberglanz einer Strauss-Sängerin verfügt. Stattdessen überzeugt sie dank einer differenzierten, expressiven Darstellung, die aus der Ariadne einen Menschen aus Fleisch und Blut macht. Und auch Jonas Kaufmann als Bacchus entspricht nicht dem Klischee, das mit seiner Rolle oft assoziiert wird. Obgleich der Tenor über die heroischen Töne verfügt (und diese prachtvoll zu gestalten versteht), gewinnt er der Partie mit seinem Gespür für abgestuften Pianogesang etliche Facetten ab, die Bacchus nicht nur als „Testosteron-Sänger" zeigen, sondern auch als empfindsame Person. Marie-Claude Chappuis (Dryade), Eleonora Buratto (Echo) und Eva Liebau (Najade) gefallen als Nymphen, die Komödiantentruppe ist mit Gabriel Bermúdez (Harlekin), Tobias Kehrer (Truffaldin), Michael Laurenz (Scaramuccio) und Martin Mitterrutzner (Brighella) gut besetzt. Die Wiener Philharmoniker lassen ein weiteres Mal ihre Strauss-Kompetenz hören und werden von Daniel Harding zu einem sinnlichen Spiel angeregt.






 
 
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