
Szenische Deutungen von Giuseppe Verdis „Aida“ gibt es in Hülle und
Fülle. Man denke nur an Szenen, wo Triumphmarschierer exerzieren, das
Ballett zur Feier des Staates herumhüpft und Paradepeinlichkeiten die
Opernbesucher zu überrumpeln trachten. Die Arena in Verona bewegt
bekanntlich gewaltige Materialmassen auf der Bühne. Es gibt aber auch
Regisseure, die mit Provokationsgesten locken, Szenen in unser
Jahrhundert transplantieren oder zu wüsten Aufklärungsaktionen blasen.
Frankfurts Oper versetzte in der Gielen-Ära einst mit Hans Neuenfels den
Opernfreunden einen Gaskammer-Schock in der Schlussszene. Es scheint,
dass Verdi so ziemlich alles verträgt, auch wenn die heilige Opernkuh
mal gnadenlos auf den Seziertisch gezerrt wird und sich eine gründliche
Generaluntersuchung gefallen lassen muss, so im Konzept einer „Oper im
Taschenformat“ (Pocket-Aida), wie sie die Nürnberger Pocket Opera
Company einmal arrangiert, bearbeitet, verfremdet, reduziert und
umgemodelt hat.
Ob monumentale Architektur-Kulissen oder
Aida-Kammerspiel auf Abstraktionskurs, ob sich die Pforten des
ägyptischen Museums öffnen und die Bühne mit klobigen Requisiten
verrammelt wird – nicht selten lenkt der szenische Firlefanz vom
gehaltvollsten ab, was Giuseppe Verdi zu bieten hat: jenseits allen
Spektakels eine der intimsten, kammermusikalisch spirituellsten
Partituren, die je aus seiner kompositorischen Feder flossen.
Austragung für ein neues Endspiel um das „Lebendig-Begraben-Werden“ fand
diesmal in einwöchigen Aufnahmesitzungen konzertant im Studio statt, und
zwar in Rom im Februar 2015 im Auditorium des Parco della Musica - ein
2.800 Zuschauer fassender Konzertsaal. Hier konnten räumliche Effekte
(Chor und Trompeten hinter der Bühne) realisiert werden. So gelingt es
dem Produzenten Stephen Johns, die akustischen Konstellationen der
aufragenden Tempel und widerhallenden Grabmäler ohne Elektronik zu
installieren. Irgendwie erinnert diese Form der Verräumlichung an den
legendären „Stage producer“ John Culshaw, der einst Georg Soltis Wiener
Ring-Aufnahme (Decca) akustisch verlebendigt hat. Auch zählt Bernsteins
„Rosenkavalier“ Einspielung zählt zu seinen dramaturgisch-akustischen
Installationen.
Was Verdi musikalisch zu vergegenwärtigen hat,
all die feinen Kontrapunkte, das subtile Filigran, diese wundervoll
leuchtenden Farben, findet in Antonio Pappano einen hellwachen
Interpreten, der jenes prickelnde Gefühl zu suggerieren vermag, wie nur
bei großen Verdi-Dirigenten (Riccardo Muti) erfahrbar. Keine Frage:
Antonio Pappano dirigiert mit untrüglichem Gespür für die orchestralen
Delikatessen. Da knallen keine Tutti. So gelingt das Vorspiel zum
dritten Akt, wo Geigen con sordino, Flageoletts der Celli und eine Flöte
sich zu einem KIalng zartester Dynamik verbinden, im „estramente Piano“
so wie Verdi es vorschreibt. Nichts wirkt breitflächig hingewuchtet.
Umso mehr werden die dramatischen Explosionen der Nilszene bis zum
Exzess hochgetrieben. Das Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa
Cecilia formt kultiviert die edlen Pianissimi, schwelgt in schönen
instrumentalen Farben. Schade nur, dass es bei Pappano nicht ohne
Striche abgeht. Bei ihm beläuft sich die Spieldauer auf 145 Minuten,
während die Wiedergabe des ungekürzten Aida- Originals im Decca
Mitschnitt aus dem Teatro alla Scala di Milano (Decca 074 3209 2 DVDs)
bei Riccardo Chailly runde 170 Minuten in Anspruch nimmt - ein lang
währendes Opernvergnügen. Freilich aus orchestralen Perspektiven wohl
genehm, wenn gleich der Radames von Roberto Alagna seinerzeit kaum im
vokalen Glorienschein glänzte. Die Wogen zustimmender Begeisterung
durfte er – nicht zuletzt seiner wenig glanzvollen hohen Register wegen
–in der Decca Einspielung nicht genießen. Die Katastrophe brach erst in
der zweiten Aufführung der Inaugurazione herein als er gnadenlos beim
berüchtigten „Celeste Aida“ ausbuht wurde. Alagna verlor die Nerven,
zeigte sich selbst die rote Karte, ging in die Kabine.
Umso mehr
macht der Radames von Jonas Kaufmann – er feiert in der Studioaufnahme
aus Rom in dieser Rolle sein Debut – die berüchtigten Arie „Celeste
Aida“ zum Ohrenschmaus. Geschmeidigkeit und tenoraler Glanz
unterstreichen das supreme gesangliche Profil – welch taufrische
packende Edition gibt dies dem römischen Feldherrn, der nicht nur in
exponierten Stellen über stimmliches Volumen gebietet, sondern auch mit
feinen Piani in den Bann zieht. Anja Harteros verteidigt stimmlich
beseelt und leidenschaftlich, fabelhaft in der Ausdruckskraft und
prächtig fokussierter Stimme, Giuseppe Verdi als einen der größten
Musikdramatiker. Ihre Duette mit Jonas Kaufmanns Radames zeugen von
faszinierender dramatischer Intensität – berührend die dynamisch subtil
ausgehörte Sterbeszene. Viel Zustimmung verdient auch Ekaterina Semechuk
als tragisch liebende Pharaonentochter Amneris, nicht zuletzt ihrer
substanzvollen tiefen Register wegen. Erwin Schrott schlüpft mit schöner
Bassstimme in die Rolle des Ramfis. Ausdruckskräftig spielt Ludovic
Tézier den Amonasro, während sich Marco Spotti der Belange des Königs
annimmt. Mit Paolo Fanale als Messaggero und Eleonora Buratto als
Sacerdotessa gibt es eine rollendeckende Besetzung. Ciro Visco hat den
Chor von Dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia trefflich
einstudiert.
Mit Jubelwucht vollzieht sich das Siegesbrimborium,
das in der konzertanten Fassung mit einigen ohrenfolternden Qualitäten
aufwartet. Da aufgrund finanzwirtschaftlicher Zwänge Einspielungen von
Opernwerken mittlerweile fast ausschließlich in Form von
Live-Mitschnitten realisiert werden, erscheint die Wahl fürs Studio
(vorausgegangen waren konzertante Aufführungen im Frühjahr 2015 in Rom)
als singuläre Entscheidung.
Die aufwendige „Hardcover Deluxe
Edition“ informiert über die Handlung, gibt Dirigenten wie auch
Protagonisten Gelegenheit, über werkspezifische Aspekte zu plaudern,
insbesondere über kollegiale Arbeitsbeziehungen während der
Entstehungszeit der Aufnahme. Wie Harteros singt Tézier seine Rolle zu
ersten Mal, ebenso gibt Kaufmann hier seinen ersten Radames. Für Antonio
Pappano war der Aufnahmeort ein Schlüssel: „Wir benötigten einen Raum
von beträchtlicher Größe, der genug Weite für die Grandezza der Musik
besaß und gleichzeitig Luft und Licht sowie eine Anmutung des
Geheimnisvollen für die vielen verborgenen Passagen der Musik bieten
musste. Die Atmosphäre dieses Werks ist ebenso essentiell wie schwer zu
fassen, doch tief in mir wusste ich, dass wir sie….in der Heimstatt
meines Orchesters einfangen könnten“.
So strahlt Verdis
Meisterwerk in schönen Farben, birst vor Leidenschaft, steht vokal wie
instrumental auf hohem Niveau.
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