NZZ, 4.12.2015
Christian Wildhagen
 
O Tal der Tränen, addio!
Diese «Aida» mit Anja Harteros und Jonas Kaufmann ist nicht nur die erste reine Studio-Produktion eines Hauptwerks der Oper durch ein Major Label seit Jahren – sie ist ein künstlerischer Wurf.

Man mag es kaum glauben: Dies ist die erste Studio-Produktion eines Hauptwerks der Operngeschichte durch ein Major Label seit Jahren – wobei die Betonung auf dem Wort «Studio» liegt. Zwar entstand diese Einspielung von Giuseppe Verdis «Aida» unter der Leitung von Sir Antonio Pappano (Warner Classics 0825646106639, 3 CD) im Umfeld einer Aufführungsserie im Parco della Musica in Rom. Doch die Produktion ist – anders als heute gerade bei Opern üblich – kein Zusammenschnitt aus einzelnen Konzerten, sondern ein eigens mit allen Mitteln des Mediums für die CD kreiertes «Hör-Kunstwerk».

Man kann es nicht anders nennen. Schon akustisch schaffen Pappano und die Tontechniker einen dynamisch ungewöhnlich weit aufgespannten Rahmen für die Wiedergabe, einen Klang-Raum, wie man ihn in dieser Tiefenstaffelung und intelligenten Anpassung an die Forderungen des Stücks seit John Culshaws «Sonic Stage» für den Solti-«Ring» selten gehört hat. Ein Zentralproblem der «Aida» löst sich damit wie von selbst, nämlich der Gegensatz zwischen öffentlichen und privaten Szenen, zwischen dem Staatsbombast der an der Grand Opéra geschulten Massenszenen und der zum Dreieckskammerspiel verdichteten Tragödie einer Liebe, die an ebenjener Staatsgewalt scheitert.

Dieser Gegensatz, eine Herausforderung für jede Bühnenproduktion, wie jüngst in Berlin zu erleben, wird hier überzeugend eingefangen, indem sich die «Hör-Bühne» bei Bedarf ins geradezu Breitwandig-Cineastische öffnet, um sich hernach wieder wie eine akustische Lupe auf die Protagonisten zu verengen. Überdies kostet Pappano die von Verdi vorgeschriebenen Raumeffekte voll aus, nicht nur im eher zeremoniell als plakativ vorüberziehenden Triumphmarsch, sondern vor allem in der wirklich «unterirdisch» tönenden Gerichtsszene des vierten Aktes. Die diesem Schau- oder besser: Hör-Prozess vorangehende Auseinandersetzung zwischen Ekaterina Semenchuk als Pharaonentochter Amneris und Jonas Kaufmann als Radamès ist auch musikalisch ein Höhepunkt der Aufnahme, ein wahrhafter Showdown, und kündet von dem vokalen Feuer, das namentlich in den Akten drei und vier immer höher lodert.

Semenchuk macht von Anfang an klar, dass die Rolle der Liebenden, die in wachsender Verzweiflung einen Unerreichbaren begehrt, die vielschichtigste Partie der Oper ist. Nie gibt sie dabei bloss die eifersüchtig grantelnde Dritte im Bunde: In ihrem herrlichen, bis in exponierte Lagen voll und sonor tönenden Mezzosopran spiegelt sich das Drama einer tödlich verletzten Frau, die bis zuletzt um den Geliebten kämpft. Allein ihr Fluch auf die Priester «A lui vivo la tomba!» lohnte den Kauf dieser Aufnahme. Deren kommerzieller Erfolg baut allerdings wohl mehr auf das aktuelle Traumpaar der Oper, Anja Harteros und Jonas Kaufmann.

Beide debütieren in ihren Rollen – was man anfangs auch hört. Kaufmanns «Celeste Aida» ist ein vokales Kunststück mit einem raren Pianissimo-B am Schluss; seinen charakteristisch verdunkelten Heldenton trifft er hingegen erst später, besonders eindringlich bei «Nel fiero anelito» im ekstatisch gesteigerten Duett mit Aida. Harteros gelingt zu Beginn bei «Ritorna vincitor» ein sängerisch ähnlich kontrollierter Hochseilakt; ein lebendiges und sogar sehr berührendes Charakterbild hört man dagegen erst in ihrer Nil-Arie «O patria mia». Welch breite Farbpalette beiden zur Verfügung steht, zeigen sie im visionär aufgehellten, auch vokal wie losgelösten Schlussduett, besonders schön bei dem «raggio dell'eterno dì», der hier ins finstere Pyramidengrab dringt.

Diese Vision wirkt auch deshalb so entrückt, weil Pappano zuvor keinen Zweifel daran lässt, dass dieses Ägypten ein Tal der Tränen und der Unfreiheit ist. Folgerichtig verleiht er selbst den Jubelchören mit den zupackend und bemerkenswert präzise agierenden Kräften der Accademia Nazionale di Santa Cecilia etwas vom Ton und von der Klanggewalt der bald darauf komponierten «Messa da Requiem» – ein starkes Statement.






 
 
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