
Jonas Kaufmann ist heute als Tenor konkurrenzlos. Er ist die Stimme des
neuen Jahrhunderts. Und wird besser, je besser die Mitstreiter sind.
Der Prüfstein ist das hohe B. Giuseppe Verdi notierte es am Ende der
Arie "Celeste Aida", eine Höchstnote, die dieser größte
Wahrheitsfanatiker unter den Musikdramatikern nach Mozart aber nicht als
Glanzpunkt verstand, sondern im leisesten Piano verhauchend klingen
lassen wollte.
Jonas Kaufmann, dem unbestrittenen Tenorissimo
unserer Tage, gelingen Phrase und Abschluss natürlich traumsicher. Er
tariert Kraft und Schmelz mustergültig, blendend unangestrengt, fein
abwägend aus. Und damit erreicht er jene schwebende Eleganz, die
insgesamt für die neue Gesamtaufnahme von Verdis Oper kennzeichnend ist.
Es ist eine in sechstägigen Sitzungen in Rom entstandene Studioaufnahme
(mit folgender konzertanter Aufführung im Auditorium Parco della
Musica), in der alle Finessen dieser heiklen Partitur auszuleuchten
versucht werden.
Denn "Aida" ist, entgegen der landläufigen
Meinung, die einen falsch verstandenen dröhnenden Triumphmarsch schon
für das Werk hält, ein Kammerspiel, in dem es um Balancen und Nuancen
des Klangs geht - siehe eben auch das hohe B. Die "privaten" Schicksale
indes verbinden sich durchaus mit "öffentlich-politischen" Haupt- und
Staatsaktionen, die offensiven Stimm- und Instrumentalglanz erfordern,
freilich nicht in einem pompös-plakativen Sinn, wie er viele
(Freiluft-)Inszenierungen prägt.
Die Raffinessen der
musikalischen Sprache buchstäblich zur Sprache zu bringen, die Verdi für
seine 1871 in Kairo uraufgeführte Oper auf der Höhe seiner Könner- und
Meisterschaft mit feinster Differenzierungskunst einsetzte: Darin
besteht die selten gelingende Kunst einer "Aida"-Interpretation.
Die Geschmeidigkeit von Phrase und Ausdruck Antonio Pappano und dem
Orchestra und Coro dell' Accademia Nazionale di Santa Cecilia gelingt
sie auf beispielgebende Art. Es geht um die Erhellung von Strukturen,
Schichtung der Klänge, Geschmeidigkeit von Phrase und Ausdruck, die
Delikatesse der Farbwerte. Dabei muss man die großen dramatischen Gesten
nicht zurücknehmen, sie erhalten aber in diesem ungewöhnlichen
Klangkontext neue Gewichtung: nicht wuchtige Kraftentfaltung per se,
sondern dramatische Wirkung aus der Kohärenz des Werkverlaufs.
Entscheidend dabei ist die Stimmigkeit der Sängerbesetzung, die hier
mehr als nur luxuriös ist. Und gerade Jonas Kaufmann zeigt, wie
unvergleichlich subtil und substanzreich in allen Lagen er seinen Tenor
einzusetzen weiß, welche Leuchtkräfte er ohne Druck entfaltet, über wie
viele Nuancen seine Stimme gebietet.
Dass er mit Anja Harteros
eine wunderbar schlanke, lyrische, der Leichtheit und Reinheit klar
fokussierten Singens verpflichtete Aida und in Ekaterina Semenchuk eine
kontrastreich agierende, dramatisch nicht überakzentuierte Amneris zur
Seite hat, macht diese Produktion so kostbar wie werkgerecht.
Und
sie fügt dem an sich schon immensen Werkkatalog des Münchner
Paradetenors wieder neue Facetten hinzu. "Gefräßig" ist er, was (neue)
Rollen betrifft. Ob deutsches, französisches oder italienisches Fach:
Mit traumwandlerischem Instinkt trifft Jonas Kaufmann die Tonlage(n)
seiner Partien. Das neue und wunderbar "erzählerisch" gestaltete
Puccini-Album, von "Edgar" und "Le Vili" bis "Turandot", ebenfalls unter
Antonio Pappano, bezeugt das parallel zur "Aida". Mit Offenbachs
Hoffmann, erstmals szenisch Wagners Stolzing ("Meistersinger") und
Verdis Otello kommen bald neue Schwergewichte hinzu, die Kaufmann
beileibe nicht stemmen, sondern mit der Kunst seiner
stimmlich-darstellerischen Variabilität mit Glaubwürdigkeit und Leben
erfüllen wird. Opernfreunde, was will man denn mehr?
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