Die Bühne, 11/2015
Peter Blaha
 
Intime Seelenschau
Die neue Aufnahme von Verdis Oper machen Anja Harteros, Jonas Kaufmann und Antonio Pappano zum Ereignis
 
Diese Studioaufnahme habe „das Zeug zum Referenzstatus", heißt es im Pressetext des Labels Warner, das Verdis Aida im Februar 2015 im Auditorium des Parco della Musica in Rom eingespielt hat. Doch Riccardo Mutis EMI-Aufnahme von 1974 mit Montserrat Caballé, Placido Domingo und Fiorenza Cossotto kann sie nicht vom Sockel stürzen, wenngleich sie ihr an Qualität und Bedeutung nahe kommt. Was dieser Neuproduktion den Referenzstatus streitig macht, sind Erwin Schrott als Ramfis und Ludovic Tézier als Amonasro. Für diese beide Partien standen Muti mit Nicolai Ghiaurov und Piero Cappuccilli seinerzeit zwei Sänger zur Verfügung, die einfach um Klassen besser waren. Erwin Schrotts Stimme fehlt es, speziell in der Tiefe, an einem festen Kern, auch gelingt es ihm kaum, seinen Bass auf Linie zu halten. Ludovic Tézier wiederum ist zwar ein hochmusikalischer Sänger, doch er müsste mehr aus sich herausgehen, stimmlich stärker attackieren, um verständlich zu machen, warum Amonasros Tochter Aida vor ihrem Vater einknickt und ihm verspricht, ihrem Geliebten, den Feldherrn Radames, das Geheimnis zu entlocken, wo er seine Truppen stationieren wird, wodurch sie ihn zum Landesverräter macht.

Das war's aber auch schon an Einschränkungen, denn aufs Ganze gesehen ist diese Neuproduktion eine echte Bereicherung der ohnehin recht stattlichen Aida-Diskographie. Und in manch kleiner Rolle ist sie geradezu spektakulär besetzt, etwa mit Eleonora Buratto als Priesterin, einer Sopranistin, die unter Riccardo Muti bereits die Amelia in Simon Boccanegra sang. Solch eine exquisite Stimme für so eine kleine Rolle aufzubieten ist wahrer Luxus. Erst recht gilt das für die drei Hauptpartien, allen voran für Jonas Kaufmann als Radames. Bei diesem Ausnahmetenor gehen musikalische Intelligenz, gesangliche Souveränität und stimmliches Charisma stets eine ideale Verbindung ein. Auch in diesem Fall: In jeder Phrase spürt er dem zugrunde liegenden Ausdruck nach und bringt ihn, sei er noch so widersprüchlich oder komplex, mit überragender Meisterschaft zu Gehör. Seine Souveränität erweist sich nicht zuletzt in der Arie „Celeste Aida". Die gefürchtete Schlussphrase mit dem hohen B am Ende, das die meisten Tenöre, weil es derart leichter zu singen ist, im Fortissimo herausschmettern, setzt Jonas Kaufmann so um, wie es Verdi tatsächlich fordert: Ohne Zwischenatem schwingt er sich zum hohen B hinauf und lässt es, allmählich ersterbend, ganz leise ausklingen — ohne hörbare Anstrengung, sondern in makelloser Schönheit.

Anja Harteros ist ihm diesbezüglich eine völlig ebenbürtige Partnerin. Ihre Aida besticht durch innig gestaltete Phrasen und schwebende Piani, ihr hohes C in der Nil-Arie erstrahlt in hellem, warmem Glanz. Erst recht findet sie im Schlussduett mit Jonas Kaufmann ergreifende Töne. Das Einzige, was man sich mitunter fragt, ist, ob sie auch auf der Bühne über genügend dramatische Kraft verfügen würde, um sich Gehör zu verschaffen, im Aufnahmestudio gelang ihr das jedenfalls famos. Auch Ekaterina Semenchuk versteht es, mit einer Fülle an Farben und subtilen dynamischen Abstufungen Amneris' besitzergreifende Liebe zu Radames hörbar zu machen. Gerade für diese Partie, die zuletzt so schwer zu besetzen war, ist die russische Mezzosopranistin heute erste Wahl.

Dass Aida, dem Triumphmarsch zum Trotz, im Grunde eine intime Oper ist, in der fast immer nur zwei oder drei Menschen auf der Bühne stehen, wird von Interpreten zwar oft beschworen, doch abgesehen von Nikolaus Harnoncourt hat das kaum ein anderer Dirigent bisher so deutlich gemacht wie Sir Antonio Pappano am Pult der prächtig spielenden Accademia Nazionale di Santa Cecilia Rom. Wo gefordert, schürt er mit höchster Intensität das dramatische Feuer, lässt das Blech dabei aber nie martialisch auftrumpfen, sondern mit großer Elastizität spielen. Noch mehr aber sind es die subtilen, lyrischen Klänge, die an dieser Aufnahme faszinieren, weil sie einen Blick ins Innerste der leidgeprüften Seelen werfen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Wie im Hauptmotiv von „Celeste Aida" zunächst die Flöte, bei der Wiederholung dann Klarinette, Fagott und Celli die Stimme umschmeicheln, macht deutlich, mit welch zärtlicher Liebe Radames Aida zugetan ist. So hat man das noch nie gehört, diesbezüglich setzt diese Aufnahme tatsächlich neue Maßstäbe!






 
 
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