
Diese Studioaufnahme habe „das Zeug zum Referenzstatus", heißt es im
Pressetext des Labels Warner, das Verdis Aida im Februar 2015 im
Auditorium des Parco della Musica in Rom eingespielt hat. Doch Riccardo
Mutis EMI-Aufnahme von 1974 mit Montserrat Caballé, Placido Domingo und
Fiorenza Cossotto kann sie nicht vom Sockel stürzen, wenngleich sie ihr
an Qualität und Bedeutung nahe kommt. Was dieser Neuproduktion den
Referenzstatus streitig macht, sind Erwin Schrott als Ramfis und Ludovic
Tézier als Amonasro. Für diese beide Partien standen Muti mit Nicolai
Ghiaurov und Piero Cappuccilli seinerzeit zwei Sänger zur Verfügung, die
einfach um Klassen besser waren. Erwin Schrotts Stimme fehlt es,
speziell in der Tiefe, an einem festen Kern, auch gelingt es ihm kaum,
seinen Bass auf Linie zu halten. Ludovic Tézier wiederum ist zwar ein
hochmusikalischer Sänger, doch er müsste mehr aus sich herausgehen,
stimmlich stärker attackieren, um verständlich zu machen, warum
Amonasros Tochter Aida vor ihrem Vater einknickt und ihm verspricht,
ihrem Geliebten, den Feldherrn Radames, das Geheimnis zu entlocken, wo
er seine Truppen stationieren wird, wodurch sie ihn zum Landesverräter
macht.
Das war's aber auch schon an Einschränkungen, denn aufs
Ganze gesehen ist diese Neuproduktion eine echte Bereicherung der
ohnehin recht stattlichen Aida-Diskographie. Und in manch kleiner Rolle
ist sie geradezu spektakulär besetzt, etwa mit Eleonora Buratto als
Priesterin, einer Sopranistin, die unter Riccardo Muti bereits die
Amelia in Simon Boccanegra sang. Solch eine exquisite Stimme für so eine
kleine Rolle aufzubieten ist wahrer Luxus. Erst recht gilt das für die
drei Hauptpartien, allen voran für Jonas Kaufmann als Radames. Bei
diesem Ausnahmetenor gehen musikalische Intelligenz, gesangliche
Souveränität und stimmliches Charisma stets eine ideale Verbindung ein.
Auch in diesem Fall: In jeder Phrase spürt er dem zugrunde liegenden
Ausdruck nach und bringt ihn, sei er noch so widersprüchlich oder
komplex, mit überragender Meisterschaft zu Gehör. Seine Souveränität
erweist sich nicht zuletzt in der Arie „Celeste Aida". Die gefürchtete
Schlussphrase mit dem hohen B am Ende, das die meisten Tenöre, weil es
derart leichter zu singen ist, im Fortissimo herausschmettern, setzt
Jonas Kaufmann so um, wie es Verdi tatsächlich fordert: Ohne
Zwischenatem schwingt er sich zum hohen B hinauf und lässt es,
allmählich ersterbend, ganz leise ausklingen — ohne hörbare Anstrengung,
sondern in makelloser Schönheit.
Anja Harteros ist ihm
diesbezüglich eine völlig ebenbürtige Partnerin. Ihre Aida besticht
durch innig gestaltete Phrasen und schwebende Piani, ihr hohes C in der
Nil-Arie erstrahlt in hellem, warmem Glanz. Erst recht findet sie im
Schlussduett mit Jonas Kaufmann ergreifende Töne. Das Einzige, was man
sich mitunter fragt, ist, ob sie auch auf der Bühne über genügend
dramatische Kraft verfügen würde, um sich Gehör zu verschaffen, im
Aufnahmestudio gelang ihr das jedenfalls famos. Auch Ekaterina Semenchuk
versteht es, mit einer Fülle an Farben und subtilen dynamischen
Abstufungen Amneris' besitzergreifende Liebe zu Radames hörbar zu
machen. Gerade für diese Partie, die zuletzt so schwer zu besetzen war,
ist die russische Mezzosopranistin heute erste Wahl.
Dass Aida,
dem Triumphmarsch zum Trotz, im Grunde eine intime Oper ist, in der fast
immer nur zwei oder drei Menschen auf der Bühne stehen, wird von
Interpreten zwar oft beschworen, doch abgesehen von Nikolaus Harnoncourt
hat das kaum ein anderer Dirigent bisher so deutlich gemacht wie Sir
Antonio Pappano am Pult der prächtig spielenden Accademia Nazionale di
Santa Cecilia Rom. Wo gefordert, schürt er mit höchster Intensität das
dramatische Feuer, lässt das Blech dabei aber nie martialisch
auftrumpfen, sondern mit großer Elastizität spielen. Noch mehr aber sind
es die subtilen, lyrischen Klänge, die an dieser Aufnahme faszinieren,
weil sie einen Blick ins Innerste der leidgeprüften Seelen werfen. Um
nur ein Beispiel zu nennen: Wie im Hauptmotiv von „Celeste Aida"
zunächst die Flöte, bei der Wiederholung dann Klarinette, Fagott und
Celli die Stimme umschmeicheln, macht deutlich, mit welch zärtlicher
Liebe Radames Aida zugetan ist. So hat man das noch nie gehört,
diesbezüglich setzt diese Aufnahme tatsächlich neue Maßstäbe!
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