Badische Zeitung, 13. Oktober 2015
Alexander Dick
 
Triumphmarsch – ganz unbefleckt
Antonio Pappanos neue "Aida"-Gesamtaufnahme besitzt Referenzcharakter.
 
Nikolaus Harnoncourt war vor nun fast 15 Jahren gescheitert. Wenn auch – natürlich – auf hohem Niveau. Seine "Aida"-Studioaufnahme sollte Referenzcharakter bekommen. Bei aller historisch-informierten Sorgfalt, die er mit den Wiener Philharmonikern der Partitur entgegenbrachte, blieb das Ergebnis doch auf vokaler Ebene durchschnittlich. Antonio Pappano dürfte nun die Ernte von Harnoncourts Anstrengungen einfahren. Die neue, ebenfalls aufwändig im Studio produzierte Gesamtaufnahme ist wie aus einem Guss, vielleicht die Subtilste seit Claudio Abbados Mailänder (1982) und gleichzeitig die strahlendste seit Karajans legendärer Wiener Produktion (1958). Alles schon ein paar Jährchen her.

"Aida" ist ein Werk der radikalen Kontraste – in jeder Hinsicht: stilistisch, formal, artikulatorisch, dynamisch, harmonisch. Man blicke nur zum Beispiel auf das Finale des ersten Akts mit seinen heftigen Brüchen und Zuspitzungen. Oder auf den Beginn des Folgeakts. Vor allen Dingen über die dynamischen Nuancen lässt sich da oft allzu leicht hinweg spielen. Pappano und die unter seinem Chefdirigat zu einem Orchester von Weltformat herangereifte römische Accademia Nazionale di Santa Cecilia tun es nicht. Es ist ein ausgesprochenes Vergnügen ihrem bewegend emotionalen Spiel zu folgen, der lustvollen Genauigkeit und Sorgfalt, mit der sie der Partitur jede noch so subtile Variante entlocken. Das luzide, überaus differenzierte Klangbild der Aufnahme, die in elf Tagen der neuen römischen, von Renzo Piano erbauten Philharmonie eingespielt wurde, tut das seinige dazu. Selbst die Banda-Klänge, musiziert vom staatlichen Polizeiorchester, sind von großer Leuchtkraft und Homogenität. Da erschließt sich einem auch ein scheinbar so abgenudeltes Stück wie der Triumphmarsch über den Reiz des Unbefleckten.

Pappanos Tempi sind forsch, ohne dass ihnen die Mitte entglitte. Großartig, was der Engländer italienischer Provenienz zum Beispiel in den Ballettmusiken an instrumentalen Feinheiten und genauer Phrasierung herausarbeitet. Die zentrale Frage jeder "Aida" – wie ist das tragische Paar? – beantwortet sich fast durch die Namen. Mehr noch: Jonas Kaufmann straft alle Lügen, die ihm bisher die Italianita aberkannten. Sein viriler Tenor erweist sich nämlich als extrem geschmeidig, sinnlich. Die kraftvolle Attacke beherrscht er ohnedies, umso verblüffender ist, wie delikat sein Radames die Piano-Phrasen beherrscht, etwa am gefürchteten Ende des "Celeste Aida". Keine Einwände... Auch Anja Harteros ist Aida. Ihr Sopran verfügt über eine großartige Innigkeit, die auch noch im äußersten piano trägt. Hinreißend auch ihre geschmeidig-elastischen Spannungsbögen. Gegen Ekaterina Semenchuks Amneris dagegen lässt sich einwenden, dass der intensiv slawisch timbrierte, kräftige Mezzosopran zu eigenwillig vibriert. Erwin Schrott überzeugt als martialischer Ramfis, wohingegen Ludovic Téziers Amonasro fast zu lyrisch intendiert wirkt.

Unbedingt erwähnt werden müssen schließlich die großartigen Chöre der Accademia, die dieser Aufnahme nicht zuletzt so viel an Energetik und Empfindsamkeit verleihen. Ein Hoch auf die gute alte – mittlerweile leider so rar gewordene – Studioproduktion...






 
 
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