
Nikolaus Harnoncourt war vor nun fast 15 Jahren gescheitert. Wenn auch –
natürlich – auf hohem Niveau. Seine "Aida"-Studioaufnahme sollte
Referenzcharakter bekommen. Bei aller historisch-informierten Sorgfalt,
die er mit den Wiener Philharmonikern der Partitur entgegenbrachte,
blieb das Ergebnis doch auf vokaler Ebene durchschnittlich. Antonio
Pappano dürfte nun die Ernte von Harnoncourts Anstrengungen einfahren.
Die neue, ebenfalls aufwändig im Studio produzierte Gesamtaufnahme ist
wie aus einem Guss, vielleicht die Subtilste seit Claudio Abbados
Mailänder (1982) und gleichzeitig die strahlendste seit Karajans
legendärer Wiener Produktion (1958). Alles schon ein paar Jährchen her.
"Aida" ist ein Werk der radikalen Kontraste – in jeder Hinsicht:
stilistisch, formal, artikulatorisch, dynamisch, harmonisch. Man blicke
nur zum Beispiel auf das Finale des ersten Akts mit seinen heftigen
Brüchen und Zuspitzungen. Oder auf den Beginn des Folgeakts. Vor allen
Dingen über die dynamischen Nuancen lässt sich da oft allzu leicht
hinweg spielen. Pappano und die unter seinem Chefdirigat zu einem
Orchester von Weltformat herangereifte römische Accademia Nazionale di
Santa Cecilia tun es nicht. Es ist ein ausgesprochenes Vergnügen ihrem
bewegend emotionalen Spiel zu folgen, der lustvollen Genauigkeit und
Sorgfalt, mit der sie der Partitur jede noch so subtile Variante
entlocken. Das luzide, überaus differenzierte Klangbild der Aufnahme,
die in elf Tagen der neuen römischen, von Renzo Piano erbauten
Philharmonie eingespielt wurde, tut das seinige dazu. Selbst die
Banda-Klänge, musiziert vom staatlichen Polizeiorchester, sind von
großer Leuchtkraft und Homogenität. Da erschließt sich einem auch ein
scheinbar so abgenudeltes Stück wie der Triumphmarsch über den Reiz des
Unbefleckten.
Pappanos Tempi sind forsch, ohne dass ihnen die
Mitte entglitte. Großartig, was der Engländer italienischer Provenienz
zum Beispiel in den Ballettmusiken an instrumentalen Feinheiten und
genauer Phrasierung herausarbeitet. Die zentrale Frage jeder "Aida" –
wie ist das tragische Paar? – beantwortet sich fast durch die Namen.
Mehr noch: Jonas Kaufmann straft alle Lügen, die ihm bisher die
Italianita aberkannten. Sein viriler Tenor erweist sich nämlich als
extrem geschmeidig, sinnlich. Die kraftvolle Attacke beherrscht er
ohnedies, umso verblüffender ist, wie delikat sein Radames die
Piano-Phrasen beherrscht, etwa am gefürchteten Ende des "Celeste Aida".
Keine Einwände... Auch Anja Harteros ist Aida. Ihr Sopran verfügt über
eine großartige Innigkeit, die auch noch im äußersten piano trägt.
Hinreißend auch ihre geschmeidig-elastischen Spannungsbögen. Gegen
Ekaterina Semenchuks Amneris dagegen lässt sich einwenden, dass der
intensiv slawisch timbrierte, kräftige Mezzosopran zu eigenwillig
vibriert. Erwin Schrott überzeugt als martialischer Ramfis, wohingegen
Ludovic Téziers Amonasro fast zu lyrisch intendiert wirkt.
Unbedingt erwähnt werden müssen schließlich die großartigen Chöre der
Accademia, die dieser Aufnahme nicht zuletzt so viel an Energetik und
Empfindsamkeit verleihen. Ein Hoch auf die gute alte – mittlerweile
leider so rar gewordene – Studioproduktion...
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