Der Neue Merker
Dr. Ingobert Waltenberger
 
Giuseppe Verdis AIDA – dirigiert von Antonio Pappano mit Anja Harteros und Jonas Kaufmann
Jonas Kaufmann setzt als Radames Maßstäbe in einer insgesamt beeindruckenden Neuaufnahme
 
Eine im Studio sorgfältig erarbeitete Oper des klassischen Repertoires ist zur Ausnahme geworden. Nur in der Barockmusik wurde der Opernfreund auch in den letzten Jahren mit exzellenten Studioproduktionen regelmäßig verwöhnt. Daher ist auch die Erwartungshaltung der nunmehr vorliegenden Neuaufnahme hoch, wohl auch, weil Jonas Kaufmann hier sein Rollendebüt als Radames gibt. Für alle, die es sofort wissen wollen: Kaufmann und ebenso Ekaterina Semenchuk als Amneris singen ihre Rollen so, als befänden wir uns mitten in der goldenen Ära der Oper der 60-Jahre. Auf seine ganz persönliche Art ist Jonas Kaufmanns Radames auf einem Qualitätsniveau mit Corelli oder Vickers anzusiedeln. Semenchuk klingt sowieso wie die junge Cossotto und ist schlichtweg atemberaubend. Für Liebhaber großer schöner Stimmen ein Muss.

Chor und Orchester der Accademia Nazionale di Santa Cecilia treffen unter der leidenschaftlichen Leitung von Antonio Pappano sowohl den richtigen kammermusikalisch-intimen Ton und sorgen ebenso für die ganz große Emphase in den politisch- öffentlichen Szenen. Pappano kommt das Verdienst zu, dass sich diese Aufnahme in den Kanon der bedeutendsten Aida-Aufnahmen fügen kann, obwohl die Besetzung nicht durchwegs höchsten Ansprüchen genügt. Orchester und Chor vermitteln wirklich den Geist der „neuen Musik, welche die Sprache der antiken exotischen Szenerie verkörpert und deren Licht einfing“ (Pappano). Um diese „raffiniert musikalische Komposition, die auf aristokratischer und politischer Ebene funktioniert und perfekt die Bedrohlichkeit und den Pomp der martialischen Passagen des Werkes ausbalanciert“ perfekt einzufangen, war für Pappano der Aufnahmeort der Schlüssel zum Erfolg. Im Santa Cecilia Saal im römischen Parco della Musica hat Pappano tatsächlich den Ort gefunden, der die Atmosphäre ermöglichte, die diese Aida zu einer aufregenden Sache machen.

Die Aufnahmebedingungen dürften optimal gewesen sein. Und so kann man den Eindruck gewinnen, dass alle beteiligten Solisten das Beste geben. Drei Rollendebuts sind zu verzeichnen, Jonas Kaufmann als Radames, Ludovico Tézier als Amonasro und Anja Harteros als Aida. Vor einigen Jahren hat EMI angekündigt, diese Oper unter Pappano mit Kaufmann und Gheorghiu aufnehmen zu wollen. Das kam dann leider, warum auch immer, so nicht zustande. Schade. Denn dass Angela Gheorghiu von Stimmanlage, Timbre, Italianità, Stimmstrahl die idiomatisch bessere Aida gewesen wäre, steht für mich außer Frage. Harteros, die im deutschen Fach Maßstäbe setzt (in Lohengrin waren Kaufmann und Harteros wahrlich ein „dream team“) und in lyrischeren Strauss oder Wagner Rollen absolute Weltklasse ist, fehlen für die ideale Aida Expansionsfähigkeit, der hohe Leucht-Strahl, ruhige Stimmführung und so manche „exotische“ Farbe. In den Arien und den weniger dramatischen Passagen der Duette freilich ist sie ganz große Klasse.

Wie Jonas Kaufmann in der gesamten Partie des Radames. Für dramatische Verdi Opern wären wohl aufgrund von Stimmfarben, rasanter Entwicklung hinein ins Spinto bzw. hochdramatische Fach Kaufmann-Netrebko das wahre dream team. Vom ersten Ton an, bis zum heiklen diminuendo des hohen B im „Celeste Aida“, den heroisch auftrumpfenden Passagen bis zur intimsten kleine Note, vermag Kaufmanns Stimme am absoluten Zenit seiner Möglichkeiten alles mit hohem Raffinement zu singen. Ich bin nicht mehr Fan von wem auch immer und stehe daher auch nicht im Verdacht der Hofberichterstattung. Allerdings ist Kaufmann in dieser Aida wirklich so, dass auch „ältere Opernafficionados“, die sich noch an viel Glorioses erinnern können, sich zurücklehnen und einen Prachttenor sondergleichen genießen können. Stilistisch nicht ganz so ausgefeilt wie Bergonzi (wer ist das schon?), bietet Kaufmann in dieser Aida das ganz große „Kino“. Die Stimme hat mittlerweile wahrlich „cinemascope“ Dimensionen. Seine fabelhafte Technik erlaubt ihm vom leidenschaftlich ungezügelten Ausbruch bis zur zarten vokalen Geste im Finale einfach alles. Sein großes Duett mit Amneris im 4. Akt ist für mich der Höhepunkt der gesamten Aufnahme. Da fetzt es so richtig. Wie werden da erst die Fans jubeln.

Ludovic Tézier als Amonsaro gefällt mir insgesamt gut. Er weiß die Gegebenheiten des Studios gut zu nutzen, um die Klippen einer Partie, die er auf der Bühne wahrscheinlich nicht oft singen wird, geschickt zu packen. Erwin Schrott singt einen achtbaren Ramfis, wie oft etwas rauh im Ton und machmal eigentümlich ältlich klingend. Der König des Marco Spotti, der Bote des Paolo Fanale und die Priesterin der Eleonora Buratto ergänzen in kleineren Partien ein spannendes Ensemble.

Antonio Pappano hat diese Aufnahme seinem Vater Pasquale gewidmet, mit dem er die Partitur nach eigenen Angaben über viele Jahre studiert hatte. Ihm als spiritus rector der Einspielung ist Respekt, Hochachtung und Bewunderung zu zollen. Diese neue Aufnahme wird da bin ich mir sicher, viele Freunde finden und auch intensiv diskutiert werden. Beides ist gut so.






 
 
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