
Eine im Studio sorgfältig erarbeitete Oper des klassischen Repertoires
ist zur Ausnahme geworden. Nur in der Barockmusik wurde der Opernfreund
auch in den letzten Jahren mit exzellenten Studioproduktionen regelmäßig
verwöhnt. Daher ist auch die Erwartungshaltung der nunmehr vorliegenden
Neuaufnahme hoch, wohl auch, weil Jonas Kaufmann hier sein Rollendebüt
als Radames gibt. Für alle, die es sofort wissen wollen: Kaufmann und
ebenso Ekaterina Semenchuk als Amneris singen ihre Rollen so, als
befänden wir uns mitten in der goldenen Ära der Oper der 60-Jahre. Auf
seine ganz persönliche Art ist Jonas Kaufmanns Radames auf einem
Qualitätsniveau mit Corelli oder Vickers anzusiedeln. Semenchuk klingt
sowieso wie die junge Cossotto und ist schlichtweg atemberaubend. Für
Liebhaber großer schöner Stimmen ein Muss.
Chor und Orchester der
Accademia Nazionale di Santa Cecilia treffen unter der
leidenschaftlichen Leitung von Antonio Pappano sowohl den richtigen
kammermusikalisch-intimen Ton und sorgen ebenso für die ganz große
Emphase in den politisch- öffentlichen Szenen. Pappano kommt das
Verdienst zu, dass sich diese Aufnahme in den Kanon der bedeutendsten
Aida-Aufnahmen fügen kann, obwohl die Besetzung nicht durchwegs höchsten
Ansprüchen genügt. Orchester und Chor vermitteln wirklich den Geist der
„neuen Musik, welche die Sprache der antiken exotischen Szenerie
verkörpert und deren Licht einfing“ (Pappano). Um diese „raffiniert
musikalische Komposition, die auf aristokratischer und politischer Ebene
funktioniert und perfekt die Bedrohlichkeit und den Pomp der
martialischen Passagen des Werkes ausbalanciert“ perfekt einzufangen,
war für Pappano der Aufnahmeort der Schlüssel zum Erfolg. Im Santa
Cecilia Saal im römischen Parco della Musica hat Pappano tatsächlich den
Ort gefunden, der die Atmosphäre ermöglichte, die diese Aida zu einer
aufregenden Sache machen.
Die Aufnahmebedingungen dürften optimal
gewesen sein. Und so kann man den Eindruck gewinnen, dass alle
beteiligten Solisten das Beste geben. Drei Rollendebuts sind zu
verzeichnen, Jonas Kaufmann als Radames, Ludovico Tézier als Amonasro
und Anja Harteros als Aida. Vor einigen Jahren hat EMI angekündigt,
diese Oper unter Pappano mit Kaufmann und Gheorghiu aufnehmen zu wollen.
Das kam dann leider, warum auch immer, so nicht zustande. Schade. Denn
dass Angela Gheorghiu von Stimmanlage, Timbre, Italianità, Stimmstrahl
die idiomatisch bessere Aida gewesen wäre, steht für mich außer Frage.
Harteros, die im deutschen Fach Maßstäbe setzt (in Lohengrin waren
Kaufmann und Harteros wahrlich ein „dream team“) und in lyrischeren
Strauss oder Wagner Rollen absolute Weltklasse ist, fehlen für die
ideale Aida Expansionsfähigkeit, der hohe Leucht-Strahl, ruhige
Stimmführung und so manche „exotische“ Farbe. In den Arien und den
weniger dramatischen Passagen der Duette freilich ist sie ganz große
Klasse.
Wie Jonas Kaufmann in der gesamten Partie des Radames.
Für dramatische Verdi Opern wären wohl aufgrund von Stimmfarben,
rasanter Entwicklung hinein ins Spinto bzw. hochdramatische Fach
Kaufmann-Netrebko das wahre dream team. Vom ersten Ton an, bis zum
heiklen diminuendo des hohen B im „Celeste Aida“, den heroisch
auftrumpfenden Passagen bis zur intimsten kleine Note, vermag Kaufmanns
Stimme am absoluten Zenit seiner Möglichkeiten alles mit hohem
Raffinement zu singen. Ich bin nicht mehr Fan von wem auch immer und
stehe daher auch nicht im Verdacht der Hofberichterstattung. Allerdings
ist Kaufmann in dieser Aida wirklich so, dass auch „ältere
Opernafficionados“, die sich noch an viel Glorioses erinnern können,
sich zurücklehnen und einen Prachttenor sondergleichen genießen können.
Stilistisch nicht ganz so ausgefeilt wie Bergonzi (wer ist das schon?),
bietet Kaufmann in dieser Aida das ganz große „Kino“. Die Stimme hat
mittlerweile wahrlich „cinemascope“ Dimensionen. Seine fabelhafte
Technik erlaubt ihm vom leidenschaftlich ungezügelten Ausbruch bis zur
zarten vokalen Geste im Finale einfach alles. Sein großes Duett mit
Amneris im 4. Akt ist für mich der Höhepunkt der gesamten Aufnahme. Da
fetzt es so richtig. Wie werden da erst die Fans jubeln.
Ludovic
Tézier als Amonsaro gefällt mir insgesamt gut. Er weiß die Gegebenheiten
des Studios gut zu nutzen, um die Klippen einer Partie, die er auf der
Bühne wahrscheinlich nicht oft singen wird, geschickt zu packen. Erwin
Schrott singt einen achtbaren Ramfis, wie oft etwas rauh im Ton und
machmal eigentümlich ältlich klingend. Der König des Marco Spotti, der
Bote des Paolo Fanale und die Priesterin der Eleonora Buratto ergänzen
in kleineren Partien ein spannendes Ensemble.
Antonio Pappano hat
diese Aufnahme seinem Vater Pasquale gewidmet, mit dem er die Partitur
nach eigenen Angaben über viele Jahre studiert hatte. Ihm als spiritus
rector der Einspielung ist Respekt, Hochachtung und Bewunderung zu
zollen. Diese neue Aufnahme wird da bin ich mir sicher, viele Freunde
finden und auch intensiv diskutiert werden. Beides ist gut so.
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